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Neuer alternativer Schub für die Perestroika?

■ Eine Minderheit von Kooperativen in der UdSSR sucht den Kontakt zur alternativen Szene im Westen: „Wir brauchen eure Erfahrungen“ / Ein gemeinsamer Kongreß mit der Berliner Alternativen Liste soll den Austausch fördern

Köln (taz) - Längst hat Perestroika Grenzen, innere wie äußere, durchlässig gemacht. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg gab es soviel direkte Kommunikation zwischen der UdSSR und der BRD wie in den vergangenen Jahren. Gleichwohl braucht Perestroika weitere soziale Bewegungen und eigenständige Aktivitäten in allen Bereichen. Der wirtschaftliche Sektor spielt neben den politischen Bewegungen für Demokratie, Emanzipation und Ökologie die Schlüsselrolle: Die miserable Versorgungslage wird sich nur verbessern durch neue demokratische Arbeitsbeziehungen, wirkliche Kontrolle, tatsächliches Eigentum der Beschäftigten an den Produktionsmitteln. Vorreiter in dieser Entwicklung sind heute die Kooperativen und einige besonders weit entwickelte Staatsbetriebe.

Den einen Inbegriff neugewonnener Freiheit, den anderen der konzentrierte Ausdruck allen Übels - die Meinungen über die seit zirka einem Jahr gesetzlich zugelassenen sowjetischen Privatbetriebe gehen hier wie dort auseinander. Das Perestroika-Vorpreschblatt 'Moskowskie Novosti‘ lobt den kommerziellen Ehrgeiz der Self-made-Männer und -Frauen als vorbildlich für die gesamte Ökonomie; das Gros der Bevölkerung murrt gegen die in ihren Augen unmoralische Bereicherung der Kooperativmitglieder, nicht zuletzt, weil die attraktiveren Waren und Dienstleistungen des Privatsektors für Mann und Frau auf der Straße eine unerschwingliche Fata Morgana bleiben. Linke in Ost und West registrieren mit politischen Bauchschmerzen die muntere Entwicklung eines „kapitalistischen“ Sektors mit weitgehend ungesicherten Arbeitsverhältnissen und Rändern, die nicht selten ins Schiebermilieu hineinreichen.

Aber es existiert auch eine Minderheit von „alternativen“ Kooperativen, die mit den sozialen und politischen Bewegungen verbunden sind. Solche Kooperativen bauen eine eigene Infrastruktur beziehungsweise ökonomische Basis für die „informelle“ Szene (in der sich staatsunabhängige Gruppen tummeln), zum Beispiel durch ein Infozentrum über die Informellen (Kooperative Perspektiva), durch die systematische Sammlung von Material über die Kooperativbewegung (Kooperative Fakt) oder durch einen juristischen Service für Informelle und Kooperativen (Kooperative Justitia).

Darüber hinaus stellen sich die „Kooperativen mit sozialem Programm“, wie sie sich mitunter nennen, dem Problem der scharfen Differenzierung in der sowjetischen Gesellschaft, sprich: den Problemen der ärmsten Schichten. Behinderte zum Beispiel waren bis vor zirka zwei Jahren eine „unsichtbare“ soziale Gruppe in der Sowjetunion. Daß sie und viele alte Menschen mit 70 Rubeln weit unter dem Existenzminimum liegen, kann erst jetzt in der Heimat der Werktätigen thematisiert werden - unter den härtesten Versorgungsbedingungen und angesichts der bitteren Erfahrung, daß einige Leute mit zwielichtigen Geschäften in kürzester Frist zu „Kooperativmillionären“ geworden sind.

Neue Vereinigungen wie zum Beispiel die „Assoziation für soziale Programme“, die seit März 1989 besteht und acht große Kooperativen aus verschiedenen Teilen der russischen Föderation zusammenschließt, wollen deswegen unter anderem ein Infobüro einrichten. Dort sollen sich zum Beispiel Behinderte nicht nur Beratung und Hilfe holen können, es soll vielmehr ihr eigenes Projekt werden mit selbstbestimmten Arbeitsplätzen und politischen Strukturen. Daneben steht an, die Erfahrungen mit kooperativen Beziehungen und Selbstverwaltung auszuwerten und weiterzuenwtickeln zu einer neuen Qualität, die ansteckend wirken kann auf den Staatssektor und die Kooperativbewegung. Die „sozialen“ Kooperativen legen außerdem großen Wert darauf, in ökologische Programme zu investieren. Für alles das wünschen sie sich intensive Kontakte mit den Alternativen und aufgeschlossenen Gewerkschaftern im Westen. Immer wieder heißt es: „Wir brauchen eure Erfahrungen aus den Alternativbetrieben und andere Erfahrungen mit Selbstverwaltung. Wir brauchen High-Tech und eure Erfahrungen damit. Wir brauchen Kultur auf allen Ebenen - im Geschäftsleben, in der Politik - eine Kultur der Demokratie.“

Noch stecken solche Kontakte in den Kinderschuhen, kommen mehr oder minder zufällig zustande. Ein größerer Fokus wird vielleicht der von der AL Berlin beschlossene und bilateral vorzubereitende Kongreß im nächsten Frühsommer, auf dem sich „offizielle“, „informelle“ und westliche Alternative über Frieden, Ökologie, Emanzipation und Demokratie austauschen werden. Dieser Kongreß wird umrahmt werden von einem Programm, das hoffentlich dazu beiträgt, die Zusammenarbeit im kulturellen, ökologischen und sozialen Bereich zu vertiefen.

Steffi Engert/Grigori Pelman

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