: Der Schering-Konzern umarmt seine Kritiker
■ In der vergangenen Woche trafen sich Mitarbeiter des Schering-Konzerns und Pharma-Kritiker zum „persönlichen Gespräch“ Kritiker wie Schering-Mitarbeiter sprachen von einer erfolgreichen Diskussion, die in sachlicher Atmosphäre stattgefunden habe
„Ich bin der Wlasich.“ Sandfarbener Anzug, Schlips und Hosenträger passend, Vollbart. Locker begrüßt der Öffentlichkeitsarbeiter die ungewöhnliche Besuchergruppe. „Entlarvungsjournalist“ sei er gewesen, bevor er seine Arbeitskraft vor gut zehn Jahren dem Pharma-Konzern zur Verfügung gestellt habe. Seither widmet sich der geborene Österreicher Gert J. Wlasich hingebungsvoll der Aufgabe, seinem Brötchengeber jede Art der Entlarvung vom Hals zu halten. Das genaue Gegenteil hat sich das „Schering -Aktionsnetzwerk“, kurz SchAN, zur Aufgabe gemacht, ein Zusammenschluß von Pharma-Kritikern, die die Konzern-Oberen seit Jahren nicht nur in Berlin, sondern auch an den Scheringstandorten im Bundesgebiet mit Protestaktionen und der regelmäßigen Herausgabe ihres „SchAN-Infodienstes“ nerven.
Nach Jahren wechselseitiger An- und Vorwürfe vollzog man im vergangenen Herbst in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Pharma-Riesen einen für die Kritiker einigermaßen überraschenden Kurswechsel. Zum „persönlichen Kennenlernen“, säuselte die Leiterin der Abteilung Mechthild Weber in einem Schreiben an SchAN-Sprecher Henry Mathews, möge man sich doch mal zusammensetzen und die aufgelaufenen Probleme in aller Ruhe besprechen - ein fast schon unsittlicher Antrag, hinter dem die SchAN-Leute umgehend den Startschuß für eine Umarmungsstrategie witterten, wie sie auch andere Großunternehmen zunehmend zur Neutralisierung ihrer Kritiker favorisieren. Ein reger Briefwechsel über die Modalitäten, die Tagesordnung und die Teilnehmerzusammensetzung eines möglichen Treffens setzte ein, Bedingungen wurden gestellt und zurückgenommen, Telefonate geführt, Ansprechpartner benannt und abgelehnt.
Anfang Januar 1989 schickte der gelernte Gärtner Henry Mathews einen umfangreichen Themenvorschlag für ein erstes Gespräch in die Konzernzentrale in der Müllerstraße: Um Pestizidproduktion und -vertrieb sollte es gehen, um gen und biotechnologische Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, um Umweltschutzprobleme in der Konzernzentrale Berlin und den westdeutschen Filialen. Später wollte das SchAN die Liste um aktuelle Themen erweitert wissen, wie etwa die näheren Umstände und Konsequenzen eines Brandes auf einer Schering-Sondermülldeponie im niedersächsischen Klein Biewende oder die für Schering brisante, öffentliche Auseinandersetzung um Nebenfolgen der Antibabypille „Femovan“. In der vergangenen Woche war es dann soweit.
Unter den Augen der Öffentlichkeit (taz und SFB) saßen in der Müllerstraße acht SchAN-Vertreter - angereichert durch kritische Fachleute von außerhalb der Gruppe - und insgesamt elf, teils hochrangige Angestellte des Pharma-Konzerns in der altehrwürdigen Jugendstil-Bibliothek aus der Schering -Gründerzeit einander gegenüber. Die fast vierstündige Diskussion entwickelte sich zu einem Intensivseminar über die Risiken einer Pharma- und Pestizidindustrie, die an der Schwelle zum gen- und biotechnologischen Zeitalter wenig problembewußt neue Türen öffnet, obwohl schon die konventionellen Aktivitäten eine Fülle ungelöster Probleme mit sich bringen.
Die sechs geladenen Schering-Wissenschaftler bemühten sich über weite Strecken, auf detaillierte Informationswünsche adäquate Infos zu geben. Nicht immer gelang das. Insbesondere bei den Fragen des Gen- und Biotechnologie -Spezialisten Bernhard Gill nach Genehmigungen, Sicherheitsvorsorgemaßnahmen und Entwicklungsrichtungen in den diversen Genlabors mußte der Pharma-Forschungsleiter Professor Wolfgang Kehr des öfteren passen. Die offenen Punkte wurden später - als Zeichen der Ernsthaftigkeit wenigstens teilweise schriftlich beantwortet. Immer wieder bestand Kehr darauf, daß Gentechnologie für Schering, etwa bei der Entwicklung einer neuen Generation von Kontrazeptiva, bisher nur als Forschungsmethode, als Werkzeug eingesetzt werde. Es gehe (noch) nicht um „ein Produkt auf gentechnologischer Basis“. Zwar werde allgemein damit gerechnet, daß 1995 die ersten gentechnologisch veränderten Pflanzen auf dem Markt seien; bei Schering gehe es jedoch nur darum, „das Ohr am Puls der Zeit zu haben“ vollkommen selbstlos.
Zu einem harten, zeitweise polemischen Wortwechsel kam es, als der Entwicklungsleiter im Pharma-Bereich Professor Werner-Karl Raff zur Verteidigung der umstrittenen Antibabypille „Femovan“ herbeigerufen wurde. Als Gegenpart hatten die Besucher den Mediziner und verantwortlichen Redakteur des Ärzte- und Apotheker-Fachblatts 'arznei -telegramm‘ Ulrich Moebius mitgebracht. Moebius warf dem Konzern vor, die Frauen mit den „thromboembolischen“ Nebenwirkungen des als „supersanfte“ Pille angepriesenen Präparats allein zu lassen und die Häufigkeit von Thrombosen und Embolien im Zusammenhang mit der „Femovan„-Einnahme beständig unzulässig herunterzurechnen. Das erst vor zwei Jahren eingeführte „Femovan“ rage gegenüber anderen Präparaten „in der Risikodichte eindeutig heraus“, sagte Moebius. Für Raff ist das „Sensationsmache“.
Bleibt, noch einmal auf den smarten Herrn Wlasich zurückzukommen. Der nannte das Treffen nachher - übrigens in Übereinstimmung mit Henry Mathews - „erfolgreich“ und konstatierte eine „sachliche Atmosphäre“. Allerdings: Wlasich selbst war es, der sich im Verlauf des Gesprächs in regelmäßigen und immer kürzeren Abständen als veritabler Choleriker entpuppte, erst „richtig verwirrt“, dann „richtig bös“ wurde, schließlich auch noch den Kugelschreiber wütend aus der Hand schleuderte. Als Mathews noch einmal genaue Auskunft zu dem gerüchteweise erhobenen Vorwurf verlangt, Schering habe beim Deponiebrand in Klein Biewende die Luftschadstoffe zu spät und außerhalb der eigentlichen „Wolke“ gemessen, entgegnet Wlasich zornentbrannt: „Wir werden auch künftig kein Frauenhaus für permanent messende Laborantinnen bei der Deponie einrichten.“ Frau Weber wird sich gut überlegen müssen, ob „der Wlasich“ der richtige Mann ist für das „neue Denken“ im Umgang mit den Konzernkritikern.
Gerd Rosenkranz
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