Rechte Inter-Nationale

REPs und Front National sind die Enkel der politischen Neuordnung von 1945  ■ E S S A Y

Wenn Europa nun zartrosa-grün leuchtet, bleibt der reaktionäre Widerschein nicht aus: das häßliche „Europa der Vaterländer“. Nicht Heiner Geißlers rotbraunes Radikalengespinst (an das er selber nicht glaubt) geht um auf dem alten Kontinent, sondern unter dem aufgesprengten Beton des kalten Krieges stinken die „endgelagerten“ Leichen Alteuropas hervor. Die Entsorgung des nationalen Spaltmaterials klappte eben nur unter der schweren Hülle eines Abschreckungs-Sarkophargs. Wenn die Blockführer nicht mehr so genau hinschauen, nehmen alte und junge Anti -Europäer sogar den Umweg über die Parlamentsbänke in der europäischen Hauptstadt Straßburg. Gewiß hat das Erstarken einer nachfaschistischen Rechten in der Bundesrepublik „hausgemachte“ Gründe. Strauß ist tot, die Union entkräftet, eine rot-grüne Koalition zeichnet sich ab, und die Zukunft ist höchst ungewiß. Aber dieser Renationalisierungsversuch der westdeutschen Politik durch die REPs kann auch unter gesamteuropäischer Perspektive betrachtet werden, und dann sieht die Lage Ende der achtziger Jahre so aus: In den beiden fortgeschrittensten Antriebsländern der EG -Integration, in Frankreich und in der Bundesrepublik, dazu in weiteren Kernländern der EWG von 1957, in den Niederlanden, in Italien und in Belgien, haben es programmatisch und personell verjüngte rechtsextreme Parteien geschafft, das langlebige Monopol der „Mitte -Rechts“ und „Volkspartei“ zu brechen.

Sie schaffen es heute, den ja immer vorhandenen, bisher von jenen mitbedienten oder politisch heimatlosen „soziologischen“ Rechtsextremismus, auch parteimäßig zu organisieren, also einem Bodensatz autoritärer, nationalistischer und rassistischer Einstellungen politische Form zu geben. Das aktionistische, auch gewaltförmige und ideologische Potential der Rechten wird damit parlamentarisch vervollständigt. Damit sind sie „drinnen“ und „draußen“ zugleich: Sie verneinen den „antifaschistischen Grundkonsens“ nach 1945, aber sie stehen auf dem Boden der gegebenen Verfassungsordnungen im „normalen“ politischen Kräfteparallelogramm. Vom rechten Rand wirken sie weit in die Mitte, in die Volksparteien hinein. Nicht die „ewig gestrige“ DVU/NPD und nicht die altbackenen Sekten der „Extreme Droite“ machen heute das Rennen, sondern Neue Rechte. Die machen zwar aus ihrer Vergangenheit keinen Hehl (Schönhuber war in der Waffen-SS dabei, Le Pen hat algerische „Felachen“ in der Villa Sesine gefoltert), aber sie setzen auf die sozialen und vor allem kulturellen Verlierer in der No-Future-Generation der neunziger Jahre. REPs und Front National sind die Enkel der politischen Neuordnung von 1945 (und 1968!) und sie bauen Brücken zwischen den Generationen, zwischen den rechtsextremen Splittergruppen und zwischen halb rechts und ganz rechts. Der Prototyp dieser normalisierten und hoffähigen Rechten ist gar nicht dabei in Straßburg: Jörg Haider, Landeshauptmann in Kärnten und Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs. Hier formiert sich neben einer speziellen Version der „deutsch-französischen Freundschaft“ und einer Neuauflage der „Achse“ zwischen Deutschland und Italien die Idee eines Mitteleuropas von rechts - mithilfe des EG-Beitritts Österreichs, den Haider mit Macht ansteuert. Das Bindeglied zur ostmitteleuropäischen Peripherie wäre damit hergestellt, nach Ungarn, Jugoslawien und ins Baltikum, wo sich unter der Decke eines von den kommunistischen Regimen nur noch scheinbar gesteuerten Reformprozesses ins Sowjetimperium vergleichbare Renationalisierungstendenzen breitmachen.

An der nord- und südeuropäischen Peripherie ist das altfaschistische und neupopulistische, auch „steuerrebellische“ Potential noch auf dem Wege parteiförmiger (Re-)Organisation. Der Däne Glistrup hat, kaum haftentlassen, schon kräftig abgesahnt. Die alten Garden Frankos und Salazars, auch die griechischen Obristen haben alerten Technokraten Platz gemacht, die den modernen, übrigens auch ökopazifistischen Jargon schon üben und mit Interesse auf die Bastionen der neuen Rechten in Europa blicken. Diese liegen in den alten „fränkischen“ Kernlanden und in der Alpenregion. Die gegenwärtige Parlamentarisierung ist ein Kitt für diese Inter-Nationale der Nationalisten.

Doch konzeptionell wird es schwierig sein, die nationalen Rivalitäten zu überbrücken. Denn unter welcher „Europa-Idee“ sollen sich erklärte Anti-Europäer sammeln. Franz Schönhuber hat sein vereintes Europa ja schon hinter sich: Als Ausbilder von SS-Freiwilligen war er dem eigenen Bekenntnis nach stolz, neben die SS-Runen auch das Zeichen der Trikolore heften zu dürfen. In seiner Kompanie, die den Namen Karls des Großen trug, wurde gern die Marseillaise intoniert, und man verstand sich als „weiße Garde“, die Europa vor der roten Gefahr retten sollte. Solch fundamentaler Anti-Bolschewismus, beim französischen Fraktionskollegen Le Pen zu einer wahren Verschwörung aufgebauscht, reicht jedoch heute als transnationales Sammlungsmotiv nicht mehr aus. Die „Nation Europa“, wie sich eine neofaschistische Bewegung schon 1945 nannte, muß heutzutage moderner, also vor allem ökonomisch und kulturell begründet werden: Als ethnische Wertegemeinschaft, die sich befreiungsneutralistisch gegen die Supermächte, gegen die fernöstliche Wirtschaftskonkurrenz und die kulturelle „Überfremdung“ durch Wodka-Cola, aber eben auch und vor allem unter dem grünen Banner des Islam „selbstbehauptet“. Auf diese Weise auch wollen Schönhuber, Haider und Le Pen von der allgemeinen Europaverdrossenheit profitieren, die sich ja gern in anti-amerikanische und anti-kapitalistische Floskeln kleidet. Das gute alte Steckenpferd des „grünen Regenbogens“, das „Europa der Regionen“, ist bereits umgesattelt, als trojanisches Pferd in einer nach außen abgeschotteten Festung Europa die im inneren allen Völkern und Kulturen ihr Recht auf Eigenleben geben will.

Solche Ideen einer „multikulturellen Gesellschaft“ von rechts, die in den Gazetten der Neuen Rechten mit zum Teil unglaublicher Verstiegen- und Verworrenheit hin- und herüberlegt werden und im Grunde auf eine neue eugenische Reinigung hinauslaufen, interessieren freilich die stattliche Anhängerschaft von Franz Schönhuber und Jean -Marie Le Pen nicht die Bohne. Wenn's nach ihr geht, wird überhaupt nichts aus Europa, das ohnehin nur eine Chiffre ist für alle möglichen Verunsicherungen. Deren Quellen liegen in der Zerstörung sozialer Milieus, politischer Kultur und kultureller Traditionen, zum Beispiel der Männlichkeit: Die Mehrheit der rechtsextremen Wähler sind allerorts junge bis mittelalte Männer. Le Pen hat im Europawahlkampf seine Wähler aufgefordert, den Altparteien das „Fünfbuchstabenwort“ entgegenzuschmettern: L-e-P-e-n, unter Anspielung auf das einschlägige Fünfbuchstabenwort aus dem politischen Unterleibvokabular: M-e-r-d-e. Der Bauch ruft auf wider den politischen Kopf in Bonn, Paris und Straßburg, und jetzt hat sich, so scheint's, der volle Darm entleert. Jenen in den großen Volksparteien, die die verlorenen Schäfchen wieder einsammeln wollen, ist besser ein Riechfläschen mitzugeben bei ihrem Rettungsversuch in der politischen Kloake...

Was wird nun künftig gespielt in der angewachsenen, aber immer noch kleinen rechtsextremen Fraktion im linksverrückten Europaparlament? Le Pen, der nicht nur ein bekannter Kommunistenfresser und berüchtigter Feind Arabiens, sondern auch ein beinharter Deutschenhasser ist, wird wohl nur geteilte Freude über die deutsche Konkurrenz empfinden. Als SS-Freiwilliger und Resistance-Kämpfer haben sich die beiden seinerzeit bekämpft; getroffen haben sich die zur Zeit noch unersätzlichen Führer und Vorsprecher der Neuen Rechten wohl erst einmal - und in Straßburg dürften sich die Rivalen zumeist aus dem Wege gehen. Ihre Ambitionen sind ohnehin auf die Hauptstädte gerichtet. „La France d'abord“, Deutschland zuerst, auch München und Marseille sind noch interessant, aber Europa ist nur die Bande, über die sie spielen, um zu mehr Macht und Geld daheim zu kommen. Vorerst haben sie nur eine Bataille gewonnen - ein Warnschuß für die wirklich engagierten Europäer. Wird Zeit, daß der rosagrüne Aufbruch nach Europa endlich beginnt.

Claus Leggewie, Politologe an der Universität Göttingen