„Eine Chance - mehr nicht“

■ Interview mit der neuen AL-Europaabgeordneten Birgit Cramon-Daiber

Birgit Cramon-Daiber ist neue AL-Abgeordnete im Europaparlament. Die 45jährige Diplompädagogin ist seit Jahren in der Berliner Alternativ- und Frauenprojektbewegung aktiv. Sie arbeitet in der Europagruppe, die vergangenes Jahr von VertreterInnen von Netzwerk, Goldrausch, Weiberwirtschaft und selbstverwalteten Betrieben gegründet wurde.

taz: Lohnt es sich als Alternative überhaupt, Energie in die europäische Megabürokratie zu stecken?

Birgit Cramon-Daber: Ich denke, ja. Natürlich fördert der EG -Binnenmarkt zunächst nur die großen Wirtschaftsunternehmen. Für eine alternative oder basisdemokratische Regionalentwicklung ist bisher nichts vorgesehen. Aber weil dieser Prozeß eminente Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit, die Massenverarmung, die Umwelt hat, ist es notwendig, kritische Positionen zu entwickeln und damit an die öffentlichkeit zu gehen. Das Europaparlament bietet eine Chance, Dinge in die Diskussion zu bringen, mehr nicht.

Was hat es mit den europäischen „Sozialfonds“ und „Regionalfonds“ auf sich? Sind sie auch für Berlin nutzbar?

Diese Fonds sollen Maßnahmen im Bereich Bildung und Beschäftigung unterstützen und Investitionshilfe für strukturschwache Gebiete geben. Berlin ist in der EG als vorrangiges Gebiet anerkannt. Diese Fonds sind aber nicht sehr üppig ausgestattet, machen nur 13 bis 16 Prozent des Gesamthaushaltes aus. 1989 sind das 90 Milliarden Mark.

Die Hoffnung vieler Projekte auf EG-Knete ist also eher Illusion?

Der Sozialfonds ist sowieso nur eine Teilfinanzierung. Jedes Projekt muß zunächst vom Senat zu 50 Prozent gefördert werden, bevor es EG-Mittel beanspruchen kann. Eine EG -Förderung an den Institutionen des Landes vorbei gibt es nicht, ist also immer von den jeweiligen politischen Konstellationen abhängig. Hier wäre es nötig, andere Zugangsmöglichkeiten zu schaffen. Außerdem ist es ein sehr langwieriges, formalisiertes Verfahren und für Projektfinanzierung nicht sehr günstig, weil das Geld nicht auf einmal, sondern in Phasen ausgezahlt wird. Daran müßte man auch was ändern, vielleicht mit einem „Rotationsfonds“, um die Finanzierungslücken aufzufüllen.

Wo kann mensch sich in Zukunft über die neuen Richtlinien und Vergabekriterien für Euro-Gelder informieren?

Es gibt Bestrebungen innerhalb des Senats, hier ein EG -Beratungsbüro für Frauen aufzumachen. Und das Frauennetzwerk „Goldrausch“ plant, eine Beratungsstelle für Frauen aufzumachen. Ich möchte in Berlin als EG-Abgeordnete eine Informationsstelle einrichten und punktuell in meinen Zusammenhängen weiter mitarbeiten. Damit ich nicht in diesem nebulösen, abgehobenen Europaparlament verschwinde.

Interview: Ulrike Helwerth