Das Aus für den Berliner Polenmarkt

■ Der rot-grüne Senat hat die schillernde Ost-West-Begegnungsstätte verboten

Im Januar war er plötzlich da. Die polnische Regierung hatte die Ausreisebestimungen erleichtert, und jetzt zogen jedes Wochenede ein paar tausend Polen in Reisebussen oder im eigenen Polski Fiat gen Westen. Im Februar gab es den ersten Streit um den Polenmarkt, dann kam der neue Senat von SPD und AL und wies ihm einen neuen Platz zu: zwischen Nationalgalerie und Philharmonie. Doch jetzt hat sich auch Rot-Grün dem Druck von rechts gebeugt und den Markt am Dienstag verboten - aus „zollrechtlichen“ Gründen. Empörung in der Stadt, aber auch gemischte Gefühle angesichts der real existierenden Probleme, die der Markt aufwarf. - Siehe auch den Kommentar auf Seite 8.

An ihren schweren Reisetaschen und ihren Einkaufswägelchen sind die vier älteren Frauen leicht zu erkennen: Polinnen auf dem Weg zum „Polenmarkt“. Die schlechte Nachricht hat sie noch nicht erreicht: Der Markt ist jetzt offiziell verboten. Auf den ersten Blick sieht es auf dem staubigen, müllübersäten Brachland zwischen Matthäikirche und Philharmonie, am Rande des Berliner Tiergartens, aus wie jeden Tag. Aus den Kofferräumen von Ladas und Polski-Fiats werden Kristallvasen, Textilien, Zigaretten - die Stange 15 Mark - und Schnaps verkauft.

Auf den niedrigen Geländern sitzen PolInnen wie Hühner auf der Stange, ihre Waren vor sich auf dem Boden ausgebreitet. Neben fettglänzenden Krakauern und Butter werden auch Autowarnleuchten, Werkzeuge und Haushaltsnippes aller Art angeboten.

Zuletzt waren die Gorbatschow-Sticker der große Renner. Beim Besuch des Generalsekretärs explodierten die Preise für das Konterfei des Hoffnungsträgers auf über eine Mark - mit oder ohne Leberfleck auf der Glatze. Auch der Papst wird gern verkauft, auf Bildchen oder Briefbeschwerern, und immer „schweinebillig“, wie alles hier. Dazwischen dichtgedrängte Männerklüngel - Glücksspieler.

Beschlagnahmt

Aber etwas ist heute anders. Spannung liegt in der Luft, Leute stehen in Gruppen zusammen, mit ratlosen, enttäuschten Gesichtern. Kurz nach 10 Uhr sind Wannen aufgefahren, die Polizei hat Waren beschlagnahmt, rund 20 Leute mitgenommen, sagen AugenzeugInnen. Erst danach kam auf polnisch die Durchsage der Polizei: Touristen ist der Handel definitiv verboten.

Wie er allerdings unterbunden werden soll, weiß auch die Polizei noch nicht. „Wie wir das hier machen, müssen wir erst mal noch sehen“, erklärt ein Ziviler. Für einen uniformierten Kollegen auf Streife steht nur fest: „Wenn wir das hier nicht unterbinden, wächst uns das Chaos über den Kopf.“ Dann stünden demnächst vielleicht auch die Tschechen, Ungarn oder Russen da. Kleinhandel ist das für ihn schon lange nicht mehr. Da seien Gruppen am Werke, die den Nachschub geschäftsmäßig organisierten.

Wenn der Platz abgesperrt wird, werden die Geschäfte heimlich, in den Ecken der umliegenden Brachflächen und Parks oder einfach in Hauseingängen, weitergehen. Will die Polizei dann den Tiergarten besetzen?

„Entschieden wird beim Senat.“ Eine politische Lösung, eine Duldung oder gar Legalisierung des Status quo ist für den freundlichen Law-and-Order-Mann ganz ausgeschlossen.

Schade um den Markt, findet ein Berliner Spaziergänger. Schließlich habe er die Stadt um eine Attraktion bereichert. Touristenbusse aus der ganzen BRD drehten hier ihre Schleifen, deutsch-türkisch-polnische Völkerverständigung im rechtsfreien Raum. Freude bei den KäuferInnen über die Schnäppchen, Zufriedenheit bei den PolInnen, die für Westmark Dinge kaufen konnten, die sie zu Hause gar nicht oder nur im Valuta-Laden bekommen.

„Die Deutschen verlieren doch nichts“

Die 22jährige Matgorzata versteht nicht, was die BerlinerInnen plötzlich gegen die PolInnen haben. „Die Deutschen verlieren doch nichts, wir müssen doch bei der Einreise D-Mark vorweisen.“ Die Germanistikstudentin aus Lodz ist gekommen, um sich etwas für ihren Aufenthalt hier dazuzuverdienen. In den Bibliotheken sucht sie Material für ihre Diplomarbeit und würde gern noch einmal wiederkommen. 100 DM hat sie inzwischen auf dem Markt verdient, was sie nicht hier ausgibt, stopft zu Hause die Löcher in der Haushaltskasse.

Ein älteres Ehepaar aus der Nähe von Szeszin hat den Lada schon startklar. Die beiden wollen schnell weg, sie haben Angst vor der Ausländerpolizei, vor einem Stempel im Paß, der ihnen künftig die Einreise nach West-Berlin verwehrt. Man könne ja den Alkohol- und Zigarettenverkauf verbieten und kleine Standgebühren kassieren. Aber ein Verbot des Marktes scheint ihm ein harter Einbruch in die vielbeschworene deutsch-polnische Verständigung.

Ulrike Helwerth