Zu viele Autos oder zu wenig Benzin?

Polens Raffinerien sind hoffnungslos überfordert / Fatale Folgen: Die Wohnung als Benzinbunker, der Reservekanister als Mangelware / Regierungsprogramm soll Abhilfe schaffen - Effekte aber erst in zwei Jahren  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Ich fürchte, wir müssen uns bis 1991 noch auf die gewohnte Weise durchbeißen“, meinte Industrieminister Wilczek, von einem polnischen Journalisten auf die derzeitigen Zustände an Polens Tankstellen angesprochen. Die „gewohnte Weise“ ist für polnische AutofahrerInnen stundenlanges Anstehen für eine Tankfüllung - unter der Voraussetzung, daß sie überhaupt eine Zapfsäule finden, an der der Tankwart nicht ein Schild mit Polens gebräuchlichster Vokabel angebracht hat: „brak“ - gibt's nicht. Vor den Wahlen zum Beispiel gab es in ganz Stettin tagelang keine einzige Tankstelle ohne dieses Schildchen. In Westpolen durften damals die Autofahrer sogar für Diesel anstehen.

Im polnischen Sejm fragte der Abgeordnete Walenty Mackowiak irritiert, wie es komme, daß man die Preise erhöht habe, aber dennoch kein Benzin da sei. Im ersten Quartal dieses Jahres, antwortet Wilczak, habe man sogar das Angebot um 20 Prozent erhöht. Tatsächlich aber, so löste die Wirtschaftszeitung 'Zycie Gospodarcze‘ das ökonomische Rätsel, seien Polens Raffinerien nicht in der Lage, die Interventionskäufe, die Wilczek aufgrund der verfahrenen Lage gegen Devisen hatte tätigen lassen, entsprechend schnell zu verarbeiten. Hinzu kommt noch ein zweiter Faktor: Tatsächlich nämlich hat sich in den letzten acht Jahren das Angebot an den Tankstellen um 13 Prozent erhöht.

Da in der gleichen Zeit der Benzinverbrauch zum Beispiel in Japan sogar gesunken ist, wäre das unter normalen Umständen eine gute Methode, einer Energiekrise vorzubeugen, wie sie jetzt in Polen herrscht. Doch die Umstände sind nicht normal. Denn in der gleichen Zeit hat sich die Zahl der PKWs auf Polens Straßen um 90 Prozent erhöht. Somit steht nun pro PKW nur noch die Hälfte der Benzinmenge von 1980 zur Verfügung.

Energiesparende Maßnahmen, wie sie in westlichen Industrieländern von den Herstellern ergriffen wurden, um den Treibstoffverbrauch einzudämmen, haben auf Polen keine Wirkung: Dort sind meist polnische, sowjetische, tschechische und DDR-Fahrzeuge auf dem Markt, die, obwohl sie relativ langsam beschleunigen, einen horrenden Treibstoffverbrauch aufweisen. Selbst der kleine „Polski Fiat“ mit seinen 26 PS verbraucht mit über sieben Litern auf hundert Kilometer mehr als mancher westliche Mittelklassewagen. Daß in Polen im Vergleichszeitraum auch die Zahl westlicher Modelle drastisch gestiegen ist, ändert am Endergebnis wenig, weil es sich zumeist um Autos aus zweiter Hand handelt, die häufig sogar schon über zehn Jahre alt sind.

An der angespannten Lage auf dem Treibstoffmarkt änderte die Aufhebung der Reglementierung, die Zuteilung von Benzin auf Karten, im Dezember letzten Jahres nichts. Im Gegenteil: Zuvor konnten die AutofahrerInnen sicher sein, ihren Anteil zu erhalten - sei es auch mit gelegentlichem Schlangestehen. Heute gibt es für den letzten einer beispielsweise 200 Meter langen Schlange keine Garantie, nicht vergeblich angestanden zu sein. Die PolInnen reagierten auf die neue Lage, wie es die VerbraucherInnen in ähnlichen Situationen immer tun: mit Hamsterkäufen. Und das Industrieministerium reagierte, wie es ein polnisches Ministerium immer tut, wenn es überfordert ist: mit einem Verbot.

Fortan war es verboten, Benzin in mitgebrachte Kanister zu füllen. Getankt wurde nur in den Tank. Verloren haben Polens Autofahrer dadurch nur Zeit. Statt ihrer Hamstervorräte auf einen Schlag einzukassieren, waren sie nun gezwungen, nach jedem Auftanken in der häuslichen Garage das kostbare Naß aus dem Tank in Kanister abzulassen und sich noch einmal anzustellen. Das übermäßige Vertrauen des Ministers in die Unbestechlichkeit seiner Tankwarte führte dazu, daß so mancher Taxifahrer in diesen Zeiten seinen Wagen neben der Garage parkte, weil er seinen Abstellschuppen in eine Art überdimensionalen Molotowcocktail verwandelt hatte.

Der Minister schlug zurück: Er erhöhte die Preise. Für kurze Zeit entspannte sich die Situation, und nun dürfen Polens Autofahrer wieder ihre Kanister hervorholen. Das Ergebnis ist ganz danach. Aus Angst, der Minister werde wieder die Preise erhöhen, gibt es jetzt erst recht Hamsterkäufe. Zum Benzinmangel kommt jetzt noch der Mangel an Reservekanistern. Und besser, so mußte Wilczek zugeben, wird's allenfalls ab 1991.

Dann nämlich will Wilczek die Treibstoffverarbeitung in Polen von jetzt maximal 17 Millionen Tonnen jährlich auf 26 erhöhen. Erreicht werden soll diese Kapazitätserhöhung mit Hilfe von Joint ventures, die vorwiegend in den Freihandelszonen in und um Stettin und Danzig angesiedelt werden sollen. Mit ihrer Hilfe sollen dann die bestehenden Raffinerien ausgebaut und modernisiert werden. In Plock und Danzig seien die entsprechenden Verträge „so gut wie unterschrieben“, erklärte Wilczek.

Damit sich das Geschäft für die westlichen Partner auch lohnt, ist vorgesehen, daß diese ein Drittel ihrer Produktion exportieren, zwei Drittel hingegen im Land verbleiben. Gegen den Ausbau der Raffinerien hat sich bereits Widerstand aus der Bevölkerung gemeldet, doch die Investitionen seien, so betont Wilczek jedenfalls, umweltneutral. Das 800-Millionen-Dollar-Geschäft zur Gesundung des polnischen Treibstoffmarktes wird in einem Bereich mit Sicherheit ökologisch positive Auswirkungen haben. Bisher nämlich wurde bleifreies Benzin in Polen nicht hergestellt, sondern aus dem Westen importiert und nur gegen Devisen verkauft. Das soll sich nun ändern: Der Löwenanteil jener zusätzlichen neun Millionen Tonnen jährlich ab 1991 ist bleifreies Benzin. Zugleich hat Polen gerade mit Fiat einen Vertrag über die Lieferung von neuen Motoren abgeschlossen, die in zwei Jahren in jenes neue Kleinwagenmodell eingebaut werden sollen, die zur Zeit gerade in Planung sind. Diese Motoren, so Wilczek, seien auch bereits für bleifreies Benzin geeignet.

Anpassen wird sich Polens Autoindustrie dann auch in anderen Bereichen an Westeuropa: Die Preise werden freigegeben, und zugleich wird Konkurrenz unter den Tankstellen eingeführt. Die Oktanzahl des in Polen verkauften Benzins soll dann auch an die westeuropäische Norm angeglichen werden. Für die nächsten Jahre ist jedoch mit einer Verbesserung kaum zu rechnen. „Wenn im ersten Quartal eine 20prozentige Angebotserhöhung - verbunden mit einer hundertprozentigen Preiserhöhung - nicht ausgereicht hat, den Markt zu beruhigen - warum sollte es dann im Sommer und Winter anders aussehen?“ fragte 'Zycie Gospodarcze‘.