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Ute und Melanie Loh: Wie war es wirklich?

Bald Revisionsurteil in Zypern gegen die beiden Vergewaltigungsopfer, die ihren Vergewaltiger töteten / Der taz liegt ein Gedächtnisprotokoll über den Tathergang vor, das die Schwester von Ute Loh nach Gesprächen mit den beiden Frauen aufzeichnete  ■  Von Gunhild Schöller

Berlin (taz) - Vielleicht noch in dieser Woche, spätestens am Montag wird das Urteil im Berufungsverfahren gegen Ute und Melanie Loh auf Zypern verkündet. Mit einem Freispruch für die beiden Frauen, die ihren Vergewaltiger töteten, rechnet mittlerweile niemand mehr. Zu drastisch war der Schuldspruch in erster Instanz mit drei bzw. vier Jahren Freiheitsstrafe, da ihre Notwehr vom Gericht nicht anerkannt wurde. Nach dem in Nordzypern angewandten britischen Verfahrensrecht waren die Frauen bloße Statistinnen - sie hatten keine Gelegenheit, den Tathergang aus ihrer Sicht zu schildern. Man berücksichtigte nur die Aussagen der Frauen, die sie unmittelbar nach der Tat, noch unter Schock, bei der Polizei abgegeben hatten, und die deshalb unvollständig waren. Auf ein Kreuzverhör wollten die VerteidigerInnen wegen der Sprach- und Übersetzungsprobleme, die sich dann ergeben hätten, nicht einlassen. Der taz liegt ein Protokoll vor, das die Tat aus der Sicht von Ute und Melanie Loh wiedergibt - aufgeschrieben von Gisela Loh nach langen Gesprächen mit ihrer Schwester und ihrer Nichte im Gefängnis von Nikosia, zum ersten Mal eine detaillierte Beschreibung der Tatnacht am 23. März.

Gegen 19 Uhr legen sich Ute Loh und ihre Tochter Melanie in ihrem Zelt in die Schlafsäcke. Plötzlich ist durch das Fliegengitter ein Mann im Zelteingang zu sehen. Er reißt das Zelt auf, das dabei zusammen- und auf die beiden Frauen fällt. Mit einem Eisenstock, an dessen Spitze ein Haken befestigt ist, drischt er auf das Zelt und auf die beiden Frauen ein, die im Stoff gefangen sind. Sie halten ihre Arme schützend vors Gesicht, und es gelingt ihnen, sich aus dem Stoff zu befreien. Der Angreifer, der türkische Zypriot Özmen Tulga - nach zwei Jahren Militärdienst im Kampf bestens trainiert - schlägt Ute Loh zuerst so heftig auf den Kopf, daß sie gleich stark blutet, dann schlägt ihr einen Schneidezahn aus. Er reißt ihr die Hose vom Leib, grabscht an ihre Brust und bedroht sie mit einer Zeltstange. Mit zwei gespreizten Fingern sticht er in Richtung ihrer Augen, stößt die Zeltstange in Richtung ihres Mundes - beide Schläge kann Melanie Loh in letzter Sekunde abwehren. Da greift er die Tochter an, reißt auch ihr die Kleidung vom Leibe, wirft sich auf sie und vergewaltigt sie dreimal. Gleichzeitig fordert er von Ute Loh „Money!“ Sie holt Scheine in türkischer Lira. Özmen Tulga zählt sie, während er Melanie Loh weiter vergewaltigt, steckt einige in die Tasche seiner heruntergelassenen Hose und schlägt den Rest zurück in die Hand von Ute Loh.

Während der Vergewaltigungen schlägt und bedroht er Melanie Loh mit der Zeltstange, schlägt auch die wimmernde Ute Loh. Die Frauen verhalten sich die ganze Zeit über möglichst ruhig. Der Vergewaltiger scheint sie ganz in seiner Gewalt zu haben. Da kommt Ute Loh, von den heftigen Schlägen auf den Kopf benommen, wieder zu Besinnung und ergreift ebenfalls eine Zeltstange, gleichzeitig kann sich Melanie losreißen. Jetzt beginnt der Kampf auf Leben und Tod. Die beiden Frauen verletzten die Genitalien von Özmen Tulga. Tulga schlägt sie mit seinen Fäusten und der Zeltstange so heftig, daß sie immer wieder bewußtlos werden. Ute Loh beißt ihn in den Penis - er schlägt ihr zwei Schneidezähne aus. Melanie Loh traktiert ihn mit ihren Fäusten - er beißt in ihre Hand, läßt ihre Finger nicht mehr los, so daß sie glaubt, sie wären ab. Gemeinsam versuchen Mutter und Tochter ihre Hand zu befreien. Deshalb hatte der getöte Vergewaltiger so viele Wunden auch am Mund.

Özmen Tulga versucht die ganze Zeit, sich von seiner herabgelassenen Hose zu befreien, die seine Kampf- und Bewegungsfähigkeit einschränkt. Die Frauen merken, wie ihre Kräfte durch die Verletzungen und den Kampf immer weiter nachlassen. Da sehen sie den Gürtel im Sand liegen, legen ihn von hinten um seinen Hals und ziehen zu.

Sie wissen nicht, daß er tot ist - aber er ist jetzt kampfunfähig. Sie fürchten, er könnte wieder zu sich kommen und sie töten. Zurück am Zelt (oder was davon übriggeblieben war), greifen sie nach Kleidungsstücken, da sie ja nackt sind und schleppen sich verletzt und unter Schock stehend ins Dorf. Während des gesamten Weges muß sich Ute Loh erbrechen. Sie gehen zu dem Haus, wo sie schon einmal waren, Tee getrunken und Wasser geholt hatten: in das Haus der Familie Tulga. Ute Loh schreit: „Polizia! The man must be helped! He wanted us to kill!“ Die Verständigung ist schwer, niemand spricht Englisch. Schließlich kommt einer, der gut Englisch spricht und fährt mit zwei Polizisten und Melanie Loh an den Strand.

Ute Loh erfährt erst im Gefängnis von Famagusta, daß der Mann tot ist. Noch heute leidet Ute Loh unter ihren Verletzungen. Nach der Tat zeigte sie eindeutige Symptome eines Schädelbruchs, der von einem unfreundlichen Arzt in einer schlampigen Untersuchung nicht diagnostiziert wurde. Eine dringend nötige Untersuchung und Therapie fand bisher nicht statt.

Völlig harmlos dagegen liest sich die Beschreibung der Tat im Urteil, das in erster Instanz erging und das die Familie Loh ins Deutsche übersetzen ließ. „Er hat erst die Angeklagten angegriffen und später hat er mit der Angeklagten Nummer 2 (gemeint ist Melanie Loh) Geschlechtsverkehr gehabt. Die Parteien haben mit den Eisenstangen sich gegenseitig geschlagen. (...) Die Angeklagten haben außer Kopfverletzungen und Zähne keine ernsten Verletzungen. Der Angreifer dagegen war im Genitalbereich schwer und tödlich verletzt. Die Angeklagten haben den Angreifer mit einem Gürtel stranguliert, als er kampfunfähig schwerverletzt auf dem Boden lag.“ Keine Beweise - so die RichterInnen - sei erbracht, daß Tulga die Frauen habe töten wollen. Deshalb seien die Frauen schuldig.

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