: „Nach 27 Jahren kann ich zurück nach Namibia“
Rund 45.000 Flüchtlinge aus Namibia kehren gemäß der UNO-Resolution 435 aus vielen Ländern Afrikas, aus Europa und Südamerika in ihre Heimat zurück / Größte Luftbrücke des afrikanischen Kontinents / Neben Freude auch Unsicherheit ■ Von Hans Brandt
Pretoria (taz) - Geisterhaft tauchen die weißen Zelte aus dem Dunkel. Wie Schatten huschen Menschen von einem Zelt zum anderen. Vor Sonnenaufgang Mitte Juni können die Temperaturen im Winter der südlichen Halbkugel hier bis an den Gefrierpunkt sinken. Die Wachsoldaten haben ihre Gewehre über die Schulter gehängt, die Hände tief in die Taschen gesteckt, den Mantelkragen hochgeschlagen. Frauen und Männer haben sich dicke Decken um die Schultern gelegt. Aber ihre Hände sind steif von der Kälte und es fällt schwer, das Gepäck zu den wartenden Bussen zu schleppen.
Die etwa 300 Zeltbewohner im Makeni-Lager außerhalb von Lusaka, der Hauptstadt Sambias, kommen aus Namibia, obwohl sie das Land zum Teil seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben. Makeni, ein Lager des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR), ist ihre letzte Station auf dem langen Weg zurück in die Heimat. Die UNO-Resolution 435, sieht die Rückkehr aller Flüchtlinge aus dem Exil vor. Mitte Juni wurde mit der Repatriierung begonnen. Für 170 Leute in Makeni ist heute der große Tag angebrochen. Im Licht einer Taschenlampe werden ihre Papiere ein letztes Mal überprüft.
Odyssee
Hans Johansson, ein bärtiger Schwede, ist für die Abwicklung der Repatriierung aus Sambia verantwortlich. „Die Leute sind sehr dizipliniert und geduldig“, meint er. „Sie verstehen unsere Probleme und beklagen sich nicht.“ Denn Probleme gibt es ständig. Einer der drei Busse heute morgen hat kaum 400 Meter hinter sich gebracht, als er direkt vor den Toren des Lagers stehen bleibt. Der Anlasser streikt, also müssen alle aussteigen und schieben.
Die Passagiere nehmen es gelassen. Ihre Rückkehr gleicht ohnehin einer Odyssee, markiert von wiederholtem Warten in schier endlosen Schlangen. Erst die Registrierung der Rückkehrer, dann die Impfung. Dann die Einteilung in Gruppen von etwa 150 Personen, die täglich aus dem 450 Kilometer westlich Lusaka gelegenen Nyango-Lager der Swapo nach Makeni gebracht werden. Dann Abgabe des Gepäcks, Ausgabe der Bordkarten, Überprüfung der Papiere.
Am Flughafen: wieder warten. Handgepäck wird durchsucht. Koffer werden auf dem Flugfeld aufgereiht, um vor der Verladung von ihren Eigentümern identifiziert zu werden. All das stört die Vorfreude nicht. Im Bus werden Freiheitslieder gesungen. Die Leute tragen Festkleidung, die Frauen farbige Tücher und bunten Schmuck, die Männer den sorgfältig gepflegten Anzug. „Wir sind sehr, sehr glücklich, daß wir nach Namibia zurückkehren können“, sagt Albertina Itenge, die über 60 Jahre alte Leiterin dieser Gruppe. „Wir sehnen uns nach unseren Familien, Freunden und Genossen in Namibia. Unser Land war in den Händen der Kolonialisten. Jetzt haben wir es zurückgewonnen.“
Johansson genießt die Arbeit mit den NamibierInnen trotz aller Probleme. „Dies ist eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens“, sagt der Schwede strahlend. „Ich bin glücklich, daß ich das Lachen dieser AfrikanerInnen auf dem Weg in ihre Heimat miterleben kann.“
Neben Freude: Angst
Der Vorfreude steht allerdings Unsicherheit gegenüber: Was erwartet die Rückkehrer in Namibia? „Ich bin vor zehn Jahren aus Namibia geflüchtet“, sagt Frau Itenge. „Fünf Jahre war ich in Angola, fünf in Sambia. Ich weiß nicht, wo ich wohnen werde. Angeblich ist mein altes Haus zerstört, mein Land von anderen übernommen.“
Ähnlich empfindet Penny Hisheefa, eine junge Lehrerin, die in Finnland und Sambia studiert hat. „Ich glaube, ich habe noch Angehörige in Namibia, aber genau weiß ich es nicht“, sagt sie. „Seit ich 1975 das Land verließ, hatte ich keinen Kontakt mehr.“ Sie sei gegangen, um bei der Befreiung Namibias zu helfen. Sie kann damals kaum älter als 15 gewesen sein. Jetzt kehrt sie mit einem kleinen Kind zurück.
„Wir sind gelandet in Grootfontein in Namibia“, kündigt die gepflegte Stimme der Stewardeß an. Jahrelang lebten diese Leute in ärmlichen Lagern. In ungewohntem Luxus kommen sie zu Hause an. „Namibia, ich kann es kaum glauben“, raunt eine junge Frau ungläubig.
Diese Gruppe besteht größtenteils aus Frauen mit kleinen Kindern. Doch eine Gruppe von 20 jungen Männern, die sich etwas abseits halten, gehört auch dazu. mit erhobenen Fäusten, Freiheitslieder singend, marschieren sie fast im Siegesmarsch auf das Flugfeld.
Grootfontein
Sehr einladend sieht Grootfontein allerdings nicht aus. Dies ist die größte Garnisonsstadt der Südafrikaner im Norden Namibias. Bis zu 30.000 Soldaten und Angehörige haben sich hier zur Zeit des Krieges gegen die Swapo aufgehalten. Grootfontein liegt weit entfernt von den am dichtesten besiedelten Gebieten im Nordosten und Nordwesten Namibias. Aber hier gibt es einen Anschluß an die Eisenbahn, der Militärflughafen bietet die einzige Landemöglichkeit für Großraumflugzeuge im Norden des Landes. Deshalb ist Grootfontein einer von drei Zielflughäfen in Namibia für die größte Luftbrücke in der Geschichte Afrikas.
„Dies ist eine besonders komplexe Operation“, meint Nicolas Bwakira, UNHCR-Vertreter in Namibia. „Wir müssen etwa 45.000 NamibierInnen zurückbringen - 350 bis 400 Flüge aus Angola, Sambia, Botswana, aus Europa, Nord- und Südamerika.“ Die meisten Flüchtlinge kommen aus Angola, nur etwa 4.500 aus Sambia. In fünf UNHCR-Empfangslagern verbringen sie ihre ersten Tage in Namibia. Dann werden sie unter Mitwirkung der Kirchen zu ihren Familien in ihre Heimatdörfer gebracht.
Aber davor: die Zollkontrolle. Den Rückkehrern wird deutlich, daß Südafrika noch immer großen Einfluß in Namibia hat. Muskulöse burische Polizisten durchsuchen ihr Gepäck, weiße Beamte prüfen ihre Papiere, Soldaten röntgen ihre Koffer. Auf dem Weg zum Empfangslager in Mariabronn fahren sie durch eine riesige Militärbasis.
Dennoch bietet Grootfontein auch eine freudige Begrüßung. Auf dem Weg durch den Ort werden die Busse von etwa fünfhundert DemonstrantInnen begrüßt. Überall sind die Swapo -Farben Blau, Rot und Grün zu sehen. Jubelnd wird den Rückkehrern zugerufen. In Mariabronn, einer Missionsstation außerhalb von Grootfontein, stehen Dutzende von Besuchern am Tor und hoffen, ein lang vermißtes Familienmitglied zu erkennen.
Warten auf die RückkehrerInnen
Solche Szenen wiederholen sich in allen Empfangslagern in Namibia. Manche Besucher haben Glück. „Meine Schwester und einen Cousin habe ich schon wiedergefunden“, sagt ein junger Lehrer außerhalb des Döbra-Lagers bei Windhuk, der Hauptstadt Namibias. Für ihn ist ihre Rückkehr ein konkretes Zeichen der Hoffnung. „Die Menschen sehnen sich nach Freiheit. Wir haben lange gelitten. Mein Vater wurde vor meinen Augen vom südafrikanischen Militär erschossen.“ Doch er ist zuversichtlich, daß Swapo die Wahl gewinnen wird.
Andere haben beim Warten weniger Glück. „Ich habe bisher noch niemanden wiedererkannt“, sagt ein junger Mann. „Aber wenn ich meine Familie nicht finde, muß ich eben jeden Tag kommen. Bis Ende August sollen die Leute kommen.“
Trotz der Freude des Wiedersehens zögern einige Rückkehrer davor, die von UNO-Soldaten bewachten Lager zu verlassen. Vor allem im Norden Namibias werden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen noch immer zahlreiche Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung verübt. Die meisten Vorwürfe richten sich gegen die berüchtigte Sondereinheit der Polizei „Koevoet“ (Brecheisen). Der UNO-Sonderbeauftragte in Namibia, Martti Ahtisaari, hat solche Beschwerden an den südafrikanischen Generalverwalter Louis Pienaar weitergeleitet. Pienaar weist die Vorwürfe jedoch zurück.
Swapo sichert sich ab
Die Swapo versucht sich indessen offenbar so gut als möglich gegen Eingriffe der Südafrikaner in den Unabhängigkeitsprozeß abzusichern. Gruppen durchtrainierter junger Männer und Frauen sind mit den UNHCR-Flügen in Namibia angekommen. In Windhuk marschierte eine Gruppe junger Leute vom Flugzeug. Jeder hatte eine kleine Swapo -Fahne in der Hand, eine junge Frau an der Spitze trug ein Porträt des Swapo-Präsidenten Sam Nujoma. Diese Gruppen vermeiden den Kontakt mit der Presse, halten sich zurück und treten sehr diszipliniert auf.
Südafrikanische Beamte vermuten, es handele sich um Guerilleros der Swapo. Bwakira schließt das nicht aus. „Alle Namibier haben das Recht, aus dem Exil zurückzukehren“, sagt er. „Wenn ehemalige Freiheitskämpfer die Waffen niederlegen, steht es ihnen frei, mit dem UNHCR zurückzukehren.“ Er betont jedoch, es sei ein friedlicher Prozeß. „Wir bringen keine Kämpfer zurück, um zu kämpfen, sondern damit sie sich friedlich am Wahlkampf beteiligen können.“
Einer der disziplinierten jungen Männer im Döbra-Lager will nicht auf die Möglichkeit eingehen, daß er ein Kämpfer sein könnte. „Wir haben Namibia nicht verlassen, weil wir im Exil Urlaub machen wollten“, sagt er. „Das hatte einen Sinn, nämlich die Vorbereitung der Befreiung Namibias. Die Frage, ob man sich also an Befreiungsaktivitäten beteiligt hat, ist vollkommen unzutreffend.“ Auf jeden Fall erwartet er, daß Swapo in der für Anfang November geplanten ersten freien Wahl haushoch gewinnen wird.
Für die Führung ist die Rückkehr leichter
Bisher sind etwa 6.000 Flüchtlinge aus dem Ausland zurückgekehrt. Doch sie sind, wie Frau Itenge sagt, „die Massen der Swapo“, das Fußvolk. Die Ankunft der ersten prominenten Swapo-Führer Mitte Juni in Windhuk wird ganz anders inszeniert als die tägliche Luftbrücke. Das Flugzeug hat die Swapo selbst gechartert. 5.000 Unterstützer der Organisation sind die 40 Kilometer zum Flughafen von Windhuk gefahren, um die Führer zu begrüßen. Eine lange Schlange Autos steht bereit, um sie in die Stadt zu bringen. Die Polizei hat den Flughafen abgeriegelt. Nur offizielle Gäste und die Presse haben Zugang.
Zuerst kommt eine Chorgruppe in Swapo-Farben vom Flugzeug. Während sie Freiheitslieder singen, folgen die drei wichtigsten Führer, Mitglieder des Politbüros: Hage Geingob, der die Swapo-Wahlkampagne leiten wird; Theo-Ben Gurirab, Sekretär für internationale Angelegenheiten; und Hidipo Hamutenya, Informationssekretär. Geingob kniet nieder und küßt den Boden Namibias. „Mein Traum ist erfüllt worden“, sagt er. „Nach 27 Jahren bin ich zurück.“
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