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SCHWITZENDE MÄRTYRER

■ „Sequentia Köln“ - Zweite Folge

Gerade als die Jungfrau Maria mit einem besonders zarten dolce verehrt werden soll, donnert das Gewitter von draußen ein infernalisches ma non troppo dagegen! „Wenn die Tage lang sind, im Mai, gefällt mir der süße Vogelsang in der Ferne...“, dichtete der Troubadour Jaufre Rudel im 12.Jahrhundert. Und im Juni sind die Tage bekanntlich noch länger, besonders abends, wenn man die Vögel in eigenartig penetranten Quinten singen hört und vor lauter hochgestapeltem Mittelalter schon graue Haare bekommt.

Das Schmachten von ferne, das Rekrutieren der „kriegerischen Kirche“, die alle Kutten voll zu tun hat, ihre Schäflein kreuzzugsweise in heiliges Blut zu tauchen (nebenbei: 22 Millionen Menschen starben durch die „Wallfahrten“), die angeblich jungfräuliche Mutter Maria, die offenbar damals vollauf damit beschäftigt waren, in Seenot geratene Pilger aus dem Wasser zu ziehen, sind einige der Themen am Dienstag abend. „Sequentia Köln“ startet bei ihrem zweiten Konzert in der Auenkirche zu „Reisen in den Orient“ und diesmal sind sie nicht nur quotiert - je fünf Frauen und Männer - sondern bringen vielversprechenderweise auch noch fünf Instrumente mit. Die sorgen zumindest für klangfarbliche Abwechslung, zumal Patricia Neely ihre „Fiedel“ (an den wenigen Stellen, wo sie darf) mit erfrischender Entschlossenheit bestreicht. Das Harfengeplänkel von Benjamin Bagby wirkt dagegen manchmal wie der Regen, aus dem man in die Traufe kommt: dünn, aber ständig rieselnd.

Im Klagelied „Jerusalem“ wird ausgiebig bedauert, daß es den Kämpfenden aus der Champagne nicht gelungen ist, aus der heiligen Stadt einen französischen Stadtstaat zu machen; der Anführer, Graf Henri, ist gefallen, seine Mutter, Marie de Champagne, „Schirmherrin der Künstler“, stirbt ebenfalls. Und mir wird auch bald ganz komisch: Als wir wieder einmal zu den Waffen aufgerufen werden, um Jerusalem „zurückzuerobern“, heißt es plötzlich: „Mensch, habe Mitleid mit Gott! Steh auf! Schwitze, o Märtyrer in dem großen Zusammenstoß...“, woraufhin sich einem der schmissige Rhythmus dieses Stücks in den Gehörgängen umdreht.

Die dick aufgetragenen Erzählungen des „Abenteurers“ Oswald von Wolkenstein werden unter dem Wechsel- und Duettgesang von Barbara Thornton und Benjamin Bagby direkt zu witzigen Moritaten: Ihnen ist die Angeberei und Anbeterei wie auf den Leib geschrieben. Dies ist auch musikalisch der interessanteste Teil, denn in verschiedenen Kombinationen singspielen sie sich durch das Wolkensteingejammer, beleben anschaulich seine Plage mit den Flöhen. In Solopartien und Zwischenspielen kommen Instrumente und Stimmen voll zur Geltung - für Barbara Thornton allerdings wenig schmeichelhaft: Sie singt (obwohl die vorzügliche Karen Young das viel besser könnte) unverständlicherweise minutenlange Sopransoli, die ihr sichtlich zu hoch sind. Dabei begleitet sie die schwierigsten Passagen mit nervend theatralischer Hysterie in der Mimik.

Der zweite Programmteil enthält neben den erwähnten Themen auch orientalische Liebeslyrik, die sich sämtlich an das biblische Hohelied anlehnt (einem der ältesten Zeugnisse erotischer Literatur übrigens). Dieses palästinensische Tandaradei singen sie abwechselnd solistisch und in Gruppen, doch leider sehr tranig rezitiert. Barbara Thornton knödelt mühsam im Sopran, die stagnierende Phonstärke macht müde, und zur dynamischen Einbahnstraße gesellen sich des öfteren

-Vorsicht, bissiger Schlußakkord! - eiernde Enden.

Wie heißt es doch in Jaufre Rudels Troubadourlied: “...das, was ich will, ist mir so sehr verwehret...“

Christian Vandersee

„Sequentia Köln“, ProgrammIII, „Musik am Hofe Alfons des Weisen“ am 30.Juni um 20.30Uhr, Auenkirche.

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