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Hoch leben die Märtyrer der „Volksbefreiungsarmee“

■ Ost- und westdeutsche Fernsehansichten zum Pekinger Massaker

Rotten von Konterrevolutionären“ zogen plündernd durch die Stadt. Eine kleine Gruppe von Gangstern hat Staatseigentum zerstört. Die Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee sind keine wild um sich schießende Mörderbande, sondern „Märtyrer“, die sich „geopfert haben für die Aufrechterhaltung der Ordnung“, getötet von einer „extrem kleinen Minderheit von Konterrevolutionären“.

So jedenfalls verkündet es das gut halbstündige Machwerk Die Wahrheit über den konterrevolutionären Aufstand vom 3. und 4.Juni. Daß nun auch Berliner und DDR-Bürger sich ein objektives Bild von den Ereignissen in Peking machen können, nicht auf die verzerrende Berichterstattung von westlichen China-Korrespondenten angewiesen sind, die 3.000 Tote einfach erfunden haben, dafür sorgte in den vergangenen Tagen das DDR-Fernsehen. Gleich dreimal wurde seit Sonntag zur besten Sendezeit den Pekinger Machthabern die Möglichkeit gegeben, ihre Propagandaversion über das Blutbad wiederzugeben. Die Absicht sei es, so hatte SED-Politbüro -Mitglied Egon Krenz, ohne „Verzerrung“ und „objektiv“ die Bilder zu verbreiten, wie sie vom chinesischen Fernsehen „gegeben wurden“.

Was dann jedoch auf den Zuschauer zwischen Dresden und Rügen niederprasselt, stellt an lügenhafter Verdrehung und Dreistigkeit der Propaganda wohl alles in den Schatten, was DDR-Zuschauer von ihren eigenen Medienschaffenden zugemutet wird. Es ist schwer zu glauben, daß die DDR-Fernsehmacher auch nur eine Silbe dessen glauben, was da in seiner ganzen Infamie verbreitet wird. Denn das Propaganda-Machwerk, das, wie es am Ende bedeutsam heißt, von der „Nachrichtenabteilung des Befehlstabs der zur Durchsetzung des Ausnahmezustandes“ zur Verfügung gestellt wurde, gibt sich bisweilen keine Mühe zu übertünchen, wie die Wahrheit einfach ausgeblendet wurde. Als etwa gleich zu Anfang des vierteiligen Streifens Studenten singend auf einem besetzten Bus gezeigt werden, drehen die Armeefilmer einfach den Ton weg. Kein Wunder, meistens wurde in den Tagen vor dem Massaker in Peking die Internationale geschmettert. Auch mit den Aufnahmen verhält es sich nicht anders. Natürlich sprechen in dem Streifen nicht die Demonstranten. Sie sind ohnehin nur „Gangster“, „Konterrevolutionäre“ und „Randalierer“. Statt dessen kommen Armeeoffiziere zu Wort, die vom Kampf um Erhaltung der Ordnung berichten, von der Bergung ihrer getöteten „Märtyrer“. Immer wieder wird aufgezählt, wieviele Armeefahrzeuge von den „Gangstern“ angezündet wurden. Doch die Kamera vermittelt nie einen direkten Eindruck von Kampfhandlungen, denn dabei würden die Verbrechen gewahr, die von der Volksbefreiungsarmee am eigenen Volk verübt wurden. Statt dessen werden Demonstranten aus der Feldherrenperspektive gezeigt. Offenbar von einem Hochhaus ist „big brother watching“ - mit einem Zoom, das sich auch nicht scheut, einfach auszublenden, wenn der Kommentar nicht mehr mit den Bildern übereinstimmt.

Daß sie mit diesem Rückfall in stalinistische Propaganda -Methoden den DDR-Fernsehzuschauern glauben machen könnten, das Massaker in Peking habe nie stattgefunden, halten die Ostberliner Fernsehmacher sicher selbst für unwahrscheinlich. Wichtiger ist offenbar die Lektion, die das greise Politbüro auch der aufbegehrenden Jugend im eigenen Land mitteilen will. „Konterrevolution ist Blut“, röchelt DDR-Fernseh-Stalinist Karl-Eduard von Schnitzler (Der schwarze Kanal), offenbar um Mißverständnissen vorzubeugen, vor Beginn der Sendung am Mittwoch abend ins Mikrofon. „Sie soll Volkswillen ins Gegenteil verkehren.“

Doch dazu ist in der DDR nur noch ein Umschalten am Fernseher notwendig. Denn der Brennpunkt der ARD hatte mit Winfried Scharlau und Peking-Korrespondent Jürgen Bertram eine wesentlich fundiertere Analyse zu den Ereignissen im Reich der Mitte zu bieten. In einem erschütternd guten Beitrag führte Bertram drastisch vor Augen, mit welcher Penetranz die regierenden Greise in Peking nun eine ganze Nation der Gehirnwäsche unterziehen wollen. Bestand in der Vergangenheit sicher viel Anlaß, über die Fernsehberichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen zu mäkeln, so war das der erste Auftakt zu einer Reihe von Analysen, die sich jetzt hoffentlich an Fakten und nicht an Wunschbildern orientieren.

Eine Selbstkritik von Bertram (O-Ton: „keine kommunistische Selbstkritik, sondern die eines Journalisten“) läßt in der Zukunft auf ein fundierteres China-Bild im bundesdeutschen TV hoffen. „Wir haben uns einfach von den Erfolgen der Dengschen Reformpolitik blenden lassen“, meinte der Peking -Korrespondent. Das hätte in den Augen vieler Journalisten die repressiven Äußerungen zur Politik einfach „überstrahlt“.

Jürgen Kremb

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