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Erst Wirtschafts-, dann Reformpleite?

Die sowjetischen Reformer suchen einen Ausweg aus der Krise  ■ K O M M E N T A R

Auch Gorbatschow nützt es nichts mehr, für die Versorgungsmängel in der Sowjetunion die Stagnation unter Breschnew entschuldigend ins Feld zu führen. Das Haushaltsdefizit ist nämlich erst in den letzten Jahren auf 100 Milliarden Rubel angewachsen. Und die Läden sind so leer wie schon lange nicht zuvor. Wenn nicht energische Reformen durchgesetzt werden, so tönt es im sowjetischen Blätterwald, ist der Bankrott der Wirtschaft und des Staates nicht mehr aufzuhalten. Ob nun die „Revolution von unten“ (Jelzin) beschworen wird oder ein „Rechtsruck“ (Abalkin) zu erwarten ist, in einem sind sich die Refomer einig: Angesichts dieser Krise geraten das politische System und die Reformbemühungen bald grundsätzlich in Gefahr.

Uneinig sind sie, wenn es um die Rezepte zur Lösung der Krise geht. Zwar stimmen alle zu, das Haushaltsdefizit zu reduzieren, durch „vielfältige Eigentumsformen“ den „Sozialistischen Markt“ zu entwickeln, den Kommandomethoden der Wirtschaftslenkung den Rücken zu kehren und den Republiken mehr Selbständigkeit zu gewähren, doch dann gehen die Meinungen weit auseinander. Während die einen „außerordentliche Vollmachten“ für die Regierung fordern, lehnen die anderen genau das ab. Schon träumen die Reformökonomen in den baltischen Republiken von einer radikalen Preisreform und der Konvertibilität neu zu schaffender Währungen.

Die Regierung doktert allerdings bisher nur an den Haushaltsdefiziten herum. Immerhin wollen nun manche Ökonomen radikal dem Geldüberhang zu Leibe rücken. Der ist nämlich schuld an einer Inflation, die in den leeren Regalen ihre „Form“ gefunden hat. Da der Staat immer noch die Preise (niedrig) festsetzt, wird die knappe Ware (teurer) unter dem Warentisch verkauft. Neben der Reduktion der Rüstung, dem Verzicht auf industrielle Großprojekte und der Wiederzulassung von geistigen Getränken (deren Besteuerung immerhin über 30 Milliarden Rubel ins Staatssäckel gebracht hat) will der Ökonom Schmeljow für 15 Milliarden im Ausland aufgenommene Dollar Konsumgüter importieren, um den Geldüberhang abzuschöpfen. Zwar würde dies manchen Sowjetbürger kurzfristig Freude machen und die Perestroika versüßen, mehr als ein Aufschub für die Lösung der Wirtschaftsprobleme und ein bißchen mehr Popularität für Gorbatschow brächte die Verwirklichung dieser Idee jedoch nicht. Denn um die Preisreform kommen die Reformer nicht herum. Je länger sie warten, desto krasser werden die sozialen Folgen in allernächster Zukunft sein: Arbeitslosigkeit und zunehmende Verarmung der an der unteren sozialen Skala stehenden Schichten der Bevölkerung.

Erich Rathfelder

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