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Die SPD auf der Suche nach einem Profil

Die Partei hat keine Themen, um die Stagnation zu überwinden / Alle Augen richten sich auf die Kommission „Fortschritt 90“, die am SPD-Regierungsprogramm feilt / Doch in diesem Schattenkabinett geht es mehr um Finanzen als um Visionen  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

„Parteitheoretisch ist es für die SPD niederschmetternd, wenn sie von dem Niedergang der Regierung nicht profitiert.“ So formuliert es ein Bonner CDU-Funktionär, nicht ein Sozialdemokrat.

Irritationen hat das bescheidene Abschneiden der SPD bei der Europawahl intern wohl schon hervorgerufen. Doch die herbe Schelte in Partei und Fraktion für den Wahlkampf erschöpfte sich vorwiegend in Methodenkritik: Die Slogans seien „inhaltsleer“ gewesen. Nur wenige sprechen aus, daß diese Schwäche tiefere Ursachen haben könnte. „Man muß doch Themen haben“, klagt der Bundestagsabgeordnete Albrecht Müller, „Themen, die es den eigenen Leuten einsichtig machen zu kämpfen.“

Nur welche? Die Verantwortlichen im Ollenhauer-Haus retteten sich gleich nach der Wahl in einen neuen Slogan, der nichts besagt und alles verheißt: „Mehr Profil.“ Die Wunderwaffe Profil soll in der Kommission „Fortschritt 90“ geschmiedet werden, jener 22köpfigen Arbeitsgruppe mit Oskar Lafontaine an der Spitze, die seit November an einem SPD -Regierungsprogramm feilt. Da sitzen alle jene zusammen, die nach dem erhofften Machtwechsel etwas werden wollen: zum Beispiel Wolfgang Roth, Rudolf Dreßler, Ingrid Matthäus -Maier, Renate Schmidt.

„Mehr Mut zu Fortschritt 90“, diese Losung gab Geschäftsführerin Anke Fuchs bereits am Tag nach der Europawahl aus - als gelte es nur, ein neues Plakat zu beschriften. Die Kommission mit dem flotten Kürzel „F90“ werde Vorstellungen präsentieren, „an denen sich die Gesellschaft abarbeiten“ könne, kündigte Anke Fuchs vollmundig an. Abarbeiten tun sich vorerst nur die Mitglieder dieses Schattenkabinetts. Sie sollen für die Bereiche Sozialpolitik, Wirtschaft, Ökologie, Haushalt, Frauen-Gleichstellung und Europapolitik „Eckpunkte“ setzen und das heißt vor allem: die Finanzierung klären.

Denn auf dem Weg zu „Fortschritt 90“ sitzt den GenossInnen noch die „Angst 80“ im Genick: das Trauma, von der Union als Verschuldungs- und Steuererhöhungspartei denunziert zu werden. „Wir gehen mit einem Regierungsprogramm in den Wahlkampf, das solide finanziert ist“, schwört die Finanzpolitikerin Ingrid Matthäus-Maier bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Das Stichwort, das aus den Kommissionsberatungen am häufigsten an die Öffentlichkeit dringt, hat denn auch mehr mit Solidität als mit Mut zu tun: Es heißt „aufkommensneutral“. Zu deutsch: Programme sollen nichts extra kosten, oder - wie eine Kritikerin höhnt - sie sollen „niemandem weh tun“.

Aufkommensneutral wird die Reform der Unternehmensbesteuerung sein: Die Wirtschaft wird insgesamt nicht mehr zur Kasse gebeten als unter der Unionsregierung. Aufkommensneutral, das gilt ebenso für den Kommissionsvorschlag eines „ökologischen Steuer- und Abgabensystems“. Dieses Vorhaben wird als Hit des sozialdemokratischen Brainstormings gepriesen, als „Kernstück unserer Politik“, so der Umweltpolitiker Harald B. Schäfer. Im Bundestagswahlkampf soll das Ökoprogramm für klare Konturen gegenüber der Union sorgen.

Bekannt ist darüber bisher folgendes: Nach dem Motto „Umwelt hat ihren Preis“ sollen Unternehmer und Verbraucher durch ein System finanzieller Belastungen und Entlastungen zu umweltverträglichem Verhalten gedrängt werden. Wie in „kommunizierenden Röhren“ (Matthäus-Maier) werde dabei ein Steuervolumen von 30 Milliarden Mark umgeschichtet, mit einem drastisch erhöhten Energiepreis als treibender Kraft dieser Umwälzanlage.

Zum Beispiel: Die Kfz-Steuer wird abgeschafft und auf die Mineralölsteuer umgelegt, um dadurch zwar nicht den Autobesitz, aber das Autofahren madig zu machen. Denn der Benzinpreis wird kräftig steigen. Als sozialer Ausgleich wird den Arbeitnehmern die Kilometerpauschale erhöht, die dann aber auch Radfahrern zugute kommen soll.

Ob bei allen diesen Rechnereien eine tatsächliche Umweltentlastung herauskommt, ist eine offene Frage. Zusätzliche direkte Abgaben planen die Sozialdemokraten nur für wenige Bereiche, zum Beispiel für die Massentierhaltung. Da ist das Konzept klar: Durch die Abgabe würde diese Tierhaltung unrentabel; die zusätzliche Staatseinnahme soll der ökologisch orientierten Landwirtschaft zufließen. Bei den aufwendigen Ökosteuern ist hingegen offen, wem die Sozialdemokraten am kräftigsten ins Portemonnaie greifen werden.

Den Unternehmern jedenfalls nicht: Für besonders energieintensive Betriebe kündigte Umweltpolitiker Schäfer bereits an, es werde „Sonderkonditionen bei der Energiepreisgestaltung“ geben - „wie bisher auch“. Der private Verbraucher könnte hingegen in seinem Geldbeutel unter einer SPD-Regierung keine kommunizierenden Röhren, sondern ein schlichtes Loch finden. Etwa, wenn das Autofahren teuer, die Bundesbahn aber nicht gleichermaßen billiger wird. Dies ist der heikelste Punkt, wenn es an die Popularisierung dieses Programms geht, so sehen es auch Mitarbeiter der Kommission.

Doch damit tut sich zugleich eine Bühne auf für Oskar Lafontaine, geübt in der Popularisierung von Verzichtsideologie. Wie sensibel die Materie ist, zeigt eine Kritik an dem Umweltpolitiker Schäfer: Als „didaktisch ungeschickt“ wird ihm angekreidet, daß er kürzlich mit „seiner“ Benzinpreiserhöhung unverblümt an die Öffentlichkeit ging.

Über derart taktische Erwägungen hinaus: Rudolf Dreßler, dem Sozialpolitiker im Schattenkabinett, paßt die ganze Richtung nicht. Die Kommission setze keine neuen Prioritäten, wie die soziale Umverteilung nach sieben Jahren Kohl-Regierung rückgängig gemacht werden könne. Dreßler fordert verbindliche Entscheidungen über eine Pflegeversicherung, soziale Grundsicherung und den Umbau der Gesundheitsreform. Das Geld liege doch auf der Straße, erklärte Dreßler. Zumindest läge es im Rüstungsetat, doch auch da haben die Sozialdemokraten bisher keine wesentlichen Umverteilungen im Visier.

Nicht grundsätzlich anders also als die amtierende Bonner Regierung werden die „F90er“ am 11.August Kabinett spielen. Auf dieser entscheidenen Sitzung fallen die Finanzentscheidungen für die einzelnen Ressorts. Und wenn dann noch jemandem eine Vision für das ausgehende 20.Jahrhundert einfällt, wird die designierte Finanzministerin sagen: „Ich kann doch nicht zusätzliche Schulden machen.“

Umstritten wird das Programm mit Sicherheit sein, auch innerhalb der Partei. Trotzdem soll es erst im Februar offiziell verabschiedet und veröffentlicht werden. Dann hat die SPD nicht nur ihr neues Grundsatzprogramm verabschiedet (Dezember), sondern dann hat Lafontaine auch seine Landtagswahl hinter sich (28.Januar).

Böse Zungen vermuten, der mögliche Kanzlerkandidat habe seine Image-entscheidende Wahl so früh terminiert, um nicht wegen „F90“ ins Trudeln zu geraten. Man kann es aber auch sehen wie Dieter Spöri, „F90er“ aus Baden-Württemberg. Er hofft, die Wähler könnten die SPD nicht nur für die Zuckerbrote, sondern auch für die Peitsche lieben: „Identifikation mit der SPD als Kraft, die auch unbequeme Lösungen durchsetzen kann.“

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