piwik no script img

„Seht, wie die hier die Polen behandeln“

■ Der nachfolgende Text stammt aus der polnischen Zeitung 'Tribuna Ludu‘ und wurde dort am 27. Juni dieses Jahres veröffentlicht / In fett gesetzten Buchstaben warnt das KP-Parteiblatt: „Polizei greift zu brutalen und rechtlosen Methoden!“

Dieser Artikel ist der erste, der das Thema „Polenmarkt in der polnischen Presse aufgreift. Obwohl sich der Autor kritisch mit der Polizei auseinandersetzt, gibt er seinen Landsleuten die Schuld für die „antipolnische“ Stimmung in Berlin. Über die kritische Versorgungslage in Polen verliert er kein Wort.

„Die Nachricht erreichte uns von Witold Kaminski, dem Vorsitzenden des seit einigen Jahren in West-Berlin tätigen polnischen Sozialrates, eine Art Selbsthilfeorgan der polnischen Asylanten in dieser Stadt: 'Kommt her und seht, wie die hier Polen behandeln.‘ Im Westberliner Zollamt in Kreuzberg versammelte sich eine zig Leute starke Gruppe unserer Landsleute. Sie waren gekommen, um die Rückgabe ihres Gepäcks zu fordern, das Zöllner ihnen abgenommen hatten.

Sie sind in einem bemitleidenswerten Zustand: nervlich völlig erledigt, ratlos, noch ganz betäubt von dem, was ihnen zugestoßen ist. Aus den chaotischen Aussagen versuchen wir zu rekonstruieren, was eigentlich geschehen ist. Alle wurden am Freitag, dem 23. Juni, brutal aus den S-Bahnzügen in West-Berlin herausgeholt. Für die Polizisten war jeder verdächtig, der sich mit einem polnischen Paß auswies. Ohne die geringste Erklärung wurde das gesamte Gepäck konfisziert. Wer Widerstand leistete oder eine Erklärung verlangte, wurde mit Gewalt auf die Seite geschafft - ebenso Frauen. Wie meine Gesprächspartner erzählten, erhielten nicht alle, denen das Gepäck abgenommen wurde, auch eine Quittung dafür. Schwer zu sagen, wieviel Polen von der Razzia der Westberliner Polizei betroffen waren. Im Zollamt Kreuzberg befanden sich am Montag, wie ein zuständiger Beamter erklärte, über 700 Stück Gepäck. Zur Abholung meldeten sich bis dahin lediglich etwas über 40 Personen. Das waren diejenigen, die seit Freitag entweder bei Verwandten oder Bekannten Schutz gefunden hatten oder die bei Witold Kaminski Hilfe fanden. Oder die sich entschlossen, die Nächte im Park zu verbringen. Die meisten der auf diese unerwartete Weise um ihren Besitz Gebrachten sahen keinen anderen Ausweg als die sofortige Rückkehr nach Hause unter Zurücklassung selbst ihrer persönlichen Gepäckstücke.

Ganz offensichtlich hat die Westberliner Polizei nach der Entscheidung des Senats über das Verbot des Straßenhandels in der Stadt keine Lust mehr, mit den Polen 'Katz und Maus‘ zu spielen, wie das in den letzten Tagen beobachtet wurde. Polen wurden von einem Platz zum anderen gejagt, legten ihre Sachen dann einfach woanders wieder aus...

Die Polizeiaktionen - brutal und weit entfernt von rechtsstaatlichen Methoden - trafen auch völlig unbeteiligte Personen. Helga Samrau Krzyz war nach West-Berlin gefahren, um sich mit ihrer in der BRD studierenden Tochter zu treffen. Sie hatte einige Geschenke und Leckereien aus Polen für sie mitgebracht, die seit Freitag nun im Zollamt Kreuzberg lagern. Andrzej Sliwonik war mit einem Freund sogar von Bialystok hergekommen, um ein Auto zu kaufen. Beide warten immer noch auf die Herausgabe ihrer Sachen. Die Zollbeamten arbeiten nämlich langsam.

Es ist mir nicht gelungen herauszufinden, wieviele der requirierten Gegenstände solche waren, die darauf schließen lassen, daß sie des Handels wegen nach West-Berlin eingeführt wurden. Ein Zollbeamter stieß mich von der Tür zu dem entsprechenden Raum und gab mir zu verstehen, daß man hier von Journalisten die Schnauze voll habe. Wenn man selbst annimmt, daß viele solche darunter waren, kann das dann die von der Polizei angewendeten Methoden erklären?

Ich stellte diese Frage der gerade im Zollamt eintreffenden Vorsitzenden der Alternativen Fraktion im Abgeordnetenhaus, Frau Heidi Bischoff-Pflanz, deren Intervention zu verdanken ist, daß zumindest ein Teil des Gepäcks zu seinen Besitzern zurückfand. Sie teilte meine Ansicht, daß die Einhaltung von Gesetzen nicht mit ungesetzlichen Methoden durchgesetzt werden kann. Diesen 'Skandal‘ will sie demnächst vor den Senat bringen. Schließlich möchte ich noch einen Gedanken formulieren, den ich allen ans Herz legen möchte, die jetzt nach West-Berlin fahren wollen: Bleibt lieber zu Hause. Man ist in dieser Stadt nicht gut auf uns zu sprechen. Daran sind wir größtenteils selber schuld.“

Jerzy Weber

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen