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Der Deutsche im Verkehr

■ Ein Pamphlet

Auf fünftausend USA-Meilen, selbst im Trassen-Dschungel, in den Monster-Städten des Ostens, in New York, Boston, Washington, Philadelphia, Baltimore, keine einzige Lichthupe; ins Hirn stößt hier ohnehin niemand. Bei meist 55, maximal 65 miles per hour, kontrolliert von der „cruise control“, dem Feststellgas, bei gleichbleibenden Abständen eher ein gemächliches Gleiten. Selbst Wechsel über sechs, über acht Spuren, von links außen nach ganz rechts, sind keine Kamikaze-Unternehmen, Einordnungsversuche sowieso nicht. Man läßt und wird gelassen. Automobiler Stoizismus. Es ist das reine Vergnügen - soweit Autofahren überhaupt vergnüglich sein kann.

Brutaler Szenenwechsel. Frankfurt Flughafen. Wieder die bundesdeutschen Autobahnen, die bundesdeutschen Bundesstraßen, die bundesdeutschen Städte. Vielleicht sollte man besser sofort aufgeben, wie jene amerikanischen Gäste, die ihren Mietwagen manchmal schon nach wenigen Kilometern verstört zurückgeben, von panischer Angst vor den verfolgenden Killerhorden gepackt. Auf jeden Fall: Jetzt reicht's! Und zwar so sehr, daß es auch für ein Pamphlet reicht. Bloß keine weiteren Statistiken, keine wohltätigen Appelle! Statt dessen der reiche Schatz unserer Erfahrungen, eingesammelt und gesehen mit dem bösen Blick. Vor allem keine unnötigen Differenzierungen mehr! Die anderen unverbesserten Zonen Mittel-, West- und Südeuropas, die Pädagogik der Eidgenossen, romanische Rasanzen, französisches Automobil-Billard, italienische Auto -Jongleure, ignorieren wir getrost. Denn dem Deutschen gebührt nun einmal im Verkehr die Palme. Maxime: Eine volle Übertreibung ist bei ihm erst die halbe Wahrheit. Der Deutsche im Verkehr ist

ein asozialer Fetischist

Zwar fährt er nicht mehr als die anderen Automobilneurotiker dieser Erde; mit ihnen teilt er vielmehr den kollektiven Wahn aller Bewegungsidioten, daß Strecken, die irgendwie gefahren werden können, keinesfalls gehend zurückzulegen sind. Schwerlich aber liebt jemand so sehr wie er jenen mit Lack bespritzten Blechbehälter, der sich Auto nennt. „Ich fahre - also bin ich“, lautet für ihn der ontologische Existenzbeweis des transzendentalen Automobilismus. Und während die akademischen Vertreter der Dingpsychologie noch rätseln, was denn nun just ein Auto zum bevorzugtesten aller Objekte des Fetischismus qualifizieren könne, weiß er von sich und seinem Eigentum: „Mir geht nichts über Es! Mein Auto ist Alles und alles andere Nichts!“

Geprägt von dem Gefühl, daß die Welt der Menschen bedrohlich und die Gesellschaft immer ein zutiefst befremdendes Unternehmen bleibt, sucht er gerne Schutz in seinem blechernen Gehäuse - nach dem bekannten Satz eines noch bekannteren Dichterphilosophen, der neulich den großen Preis des Allgemeinen Literarischen Automobilclubs erringen konnte: „Das Auto ist das Haus des Seins.“ Hier kann er für sich sein und gleichzeitig - wohlgemerkt nicht gemeinsam! - wie alle anderen. Gesellschaft als Ansammlung hermetisch abgeschlossener Auto-Atome, als scheinsozialisierte Privatheit - das ist die Form von Vergesellschaftung, die er allenfalls noch erträgt. Und wenn dabei unvermeidlicherweise auch Gleichheitsprinzipien mit ins Spiel kommen, so ist er zwar dafür, daß alle überall gleichermaßen Auto fahren. Welches Auto sie aber fahren, in dieser Frage zeigt sich seine ganze bis zum Äußersten getriebene Individualität. Sein abstraktes Geld, wie beschafft auch immer, transformiert sich in eine konkrete Marke und in ein, in sein Modell. Für sich seiend, kann er sich zeigen. In der Sache des Personenkraftwagens weiß sich, nach des Autophilosophen Hegel Grundregel, die Person. So wird ihm, schon während er sein Auto an seinen freien Tagen wäscht, wienert und wichst, die Gnade der Selbstbegegnung zuteil: Er selber ist es, der sich aus dem Spiegel seines gespritzten Blechs eingegenblickt.

Was die Psychosomatik seiner Fetischistenseele dann näherhin, zumal in ihren unbewußten Tiefen, bewegt, wollen wir bei seinem doch vergleichsweise schlichten Gemüt nicht über Gebühr komplizieren; gleichwohl sind einige Fingerzeige zur spezifischen Ausprägung der bekannten Entwicklungsneurosen bei ihm angebracht.

Alles Orale zum Beispiel ist beim Deutschen bekanntlich weitgehend auf die Flüssigkeitsaufnahme beschränkt. So spielt sich denn auch beim Deutschen im Verkehr die Inszenierung seiner diesbezüglichen Neurosen vorwiegend vor den Zapfsäulen und mit den Einfüllstutzen ab. Was er vorne eingefüllt hat, kann er sodann hinten nach den Gesetzen der ihn seit je beherrschenden analen Impusle stinkend und knatternd von sich geben. Indessen unterliegt er seit je ja auch einer besonders strengen Reinlichkeitsdressur, wie man schon an den Waschzwängen, die er nicht sowohl dem eigenen Körper als dem eigenen Auto entgegenbringt, beobachten kann. Beim Fahren wiederum wird es ihn mit besonderer Befriedigung erfüllen, daß er hier endlich einmal nahezu unsichtbar, ohne die sonst üblichen ekligen Häufungen, wiewohl weiterhin stinkend und flatulierend, seine Geschäfte erledigen kann. Und den überraschenden Gipfel seiner analneurotischen (Kompro-)Mißbildungen erlebt er, wer hätte das gedacht, gerade dort, wo er, diese Speerspitze des ökologischen Fortschritts, immer weniger auf seine Kosten zu kommen scheint: an der Katalysatorfront. Denn der Katalysator ist gleichsam zur durchlässigen Windel seiner analen Lust geworden: Mit ihm kann er endlich sauberbleiben und doch weitermachen. Freilich mag man sich fragen, ob er mit dem Auspuffrohr in sozusagen rückwärts gewandter Weise nicht auch seinen etwa noch vorhandenen phallischen Impulsen gehorche. Wohl wahr. Doch ebenso gewiß wird er, bevor er es zu eigentlichen phallischen Erlebnissen bringt, seine überbordende Potenz in Orgien ganz anderer Natur zu demonstrieren wissen. Der Deutsche im Verkehr ist

ein Zwangsneurotiker

der Geschwindigkeit

Frei will er, wie er in seiner Geschichte zu wiederholten Malen bewiesen hat, zumindest politisch kaum sein. Ganz im Gegenteil sind seine Ansprüche hier von staunenerregender Bescheidenheit. Doch die Schwundstufe der Freiheit, die ihm das Autofahren gewährt, geht ihm über alles. Die Menschen und Bürgerrechte versteht er dabei nach seinen Möglichkeiten als „freie Fahrt für freie Bürger“. Und die gelegentlichen Versuche, ihn mit moderatem Tempo in die Solidargemeinschaft der Völker zurückzuführen, weist er als Generalangriff auf seine Souveränität rigoros zurück. Wenn er aus der Fremde heimkehrt, dann kehrt er heim in der Autofreiheit Reich. Mächtige allgemeinautomobilistische Bürgerrechtsvereinigungen, aber auch die Selbsthilfeorganisationen der Wirtschaft und die Fremdhilfeinstitutionen der Ministerien unterstützen ihn hier. Und alle zusammen geben ihm das Gefühl, daß er frei und doch machtgeschützt sei.

Die sogenannte „freie Fahrt“ aber, und damit ist er dann doch wieder näher an seiner Geschichte, untersteht selbstverständlich einem kategorischen Imperativ: dem der größtmöglichen Geschwindigkeit. Die Vorgaben der Tachometermaxima, die er nicht etwa als astronomische Übertreibungen identifiziert; die Reklame-Suggestionen der Auto-Machos erfüllt er mit peinlichem Gehorsam. Von den Mysterien der Physik ist ihm nur die irregeleitete Erkenntnis geblieben, Energie sei die Masse seines Autos, multipliziert mit der Geschwindigkeit im Quadrat. „Ich fahre, also bin ich noch wirklicher“, ist der Komparativ siner automobilistischen Existenz. Und so erlebt er auch seine Ekstasen, seine sonst selteneren Orgasmen. Unverhofft wird er hier gar zum rauschhaften Menschen - zumal unter Stereoeinfluß, wo er sowohl mit beiden Beinen tanzend als zwanghaft sein Beschleunigungsbein durchdrückend, zu einer Art Dionysos des Verkehrs avanciert. Für den Deutschen ist der Verkehr die „Fortführung des

Krieges mit anderen Mitteln“

Dafür, daß er sich im Verkehr von Mensch zu Mensch nicht mehr ganz humaneren Umgangsformen entziehen kann, hält er sich im Verkehr von Auto zu Mensch und von Auto zu Auto schadlos. Entgegenkommen, gar Freundlichkeit oder Großzügigkeit sind ihm zutiefst fremd. Die Co-Automobilisten betrachtet er prinzipiell als Konkurrenten und Gegner, mit denen er nach den Gesetzen des Straßenkampfes ums Dasein verfährt. Bestenfalls sind sie lästige Hindernisse, die er möglichst schnell aus dem Weg räumt. Kurz: Manchester -Automobilismus.

Die Gegnergruppen sind vielfältig und von unterschiedlicher Provokationsmacht. Die Fußgänger sind die harmlosesten und langsamsten, deswegen aber auch die lästigsten. Ihnen wird er, wo immer sie sich ihm entgegenstellen, tunlichst Beine machen: auf optischen Straßenbarrikaden, die sie Überwege nennen; auf Parkplätzen, die sie mit Bürgersteigen verwechseln; auf ehemaligen Stadtautobahnen, die sie inzwischen für Fußgängerzonen halten. Jagdszenen von Oberholstein bis nach Niederbayern. Wer wird sich schon mit den feierabendlichen Killer-Videos zufriedengeben wollen! Im Erfolgsfalle werden sich die nötigen mildernden Umstände für den Fahrer, versteht sich - schon finden lassen: Die fahrlässige Tötung als lässig vom Fahrer besorgte Tötung. Die Igel, die Frösche, die Rehe, die Katzen, die Hunde, die dabei neben etwelchen Juni- und Senioren anfallen mögen, werden besser gleich in den Abdeckereien am Straßenrand untergebracht.

Gegnergruppe zwei: die Radfahrer. Schon etwas schneller, zumal in den autofeindlichen Innenstädten, wo sie rücksichtslos an ihm vorbeiziehen, während er in der Stauhölle brät, aber ihm fast so ausgeliefert wie die Fußgänger und nur um so besser zu intimeren Formen der Feindschaft geeignet. Wir kommen darauf mit dem gebotenen Sicherheitsabstand noch zurück.

Gegnergruppe drei schließlich, das ist seinesgleichen, fatalerweise im Prinzip ebenso schnell wie er und sicherheitspolitisch leider gleich gut geschützt (Die Sondergruppe der Motorradfahrer - noch schneller, dafür aber gerechterweise wieder gefährlicher lebend - können wir hier vernachlässigen: Ihnen gegenüber, zumal wenn ihre aggressive Nekrophilie das ganze Land zum Austragungsort einer Großveranstaltung macht, kommen dieselben Formen klassenkämpferischer Solidarität wie auf niedrigstem Niveau gegenüber den Radfahrern in Betracht). Bei seinesgleichen nun herrschen die Gesetze des Konkurrenz-Automobilsmus uneingeschänkt. Der Belege sind viele, allzu viele. Wir sehen uns exemplarisch nun den Vorgang des Überholens an.

Fälschlich wird er immer noch für einen Ausnahmevorgang gehalten; in Wahrheit ist er längst der normale Modus automobilistischer Fortbewegung: Nach dem bekannten Benthamschen Gesetz der größtmöglichen Beschleunigung für die kleinstmögliche Zahl muß es nun einmal Überholer und Überholte geben. Undenkbar jedenfalls, daß der Deutsche im Verkehr, wie es in anderen Zivilisationen der Brauch sein mag, in gleichbleibendem Abstand neben oder gar hinter seinen Co-Automobilisten führe. „Ich habe es eilig, also bin ich eine bedeutende Person„; vor allem: „Ich überhole, also bin ich am wirklichsten“, lautet der Superlativ seiner autosuggestiven Lebensführung. Und der berühmte Satz Zarathustras: “...ich lehre Euch die Über-Holung“, ist ihm, auch wenn er ihn nicht kennt, allemal aus der Seele gesprochen. Hier ist er bei der Sache; hier kennt er nichts mehr. Das sogenannte „defensive Fahren“ aber ist ihm mindestens ebenso zuwider, wie er in seiner bisherigen Kriegsgeschichte stets gerne offensiv reagiert hat. Ja, selbst wo der Überholvorgang, auf das Ganze einer Kolonne gesehen, keinen nennenswerten Raumgewinn bringt, führt er ihn als der Zwangsneurotiker, der er nun einmal ist, ohne Zögern aus.

Beabsichtigen zwei oder drei gleichzeitig das gleiche wie er zu tun, dann wird er es zuerst mit dem Abdrängen versuchen. Hilft das nicht mehr, dann nähert er sich zunächst liebevoll der vorausfahrenden Stoßstange an. Erste Warnstufe: die Lichthupe, selbstverständlich. Aus gelegentlicher leidvoller eigener Erfahrung weiß er, wie suggestiv diese Lichtschleuder - zu erwägen wären von den Automobilherstellern auch Laser-Strahlen - im Rückspiegel ist. Zweite Stufe für Hartnäckige: die akustische Hupe, weniger elegant, zugegeben, aber, sei sie nun ein ekliges Getön oder ein Trompetenstoß wie von kathargischen Kriegselefanten, zweifellos höchst effizient. Dritte Stufe für Unbelehrbare: der Soßstangenkuß. Spätestens danach kehren sie zurück ins Glied, aber wohlgemerkt nicht ohne angemessene Bestrafung: ein abruptes Schneiden oder, wenn die voraufgegangene Begegnung besonders intensiv war, ein heilsames Ausbremsen, das dem Gegner klarmachen kann: „Lieber Freund, du lebst gefährlich!“ Was die Juristen noch eine „Nötigung“ nennen, wird dabei gerne in Kauf genommen. Und sollte es hin und wieder zu einem Unfall kommen, so wäre er doch nur eine Exekution.

Freilich, wenn Überholer und Überholte sich unverhofft in der klassenlosen Gesellschaft der Staus widerfinden und der Deutsche im Verkehr angeekelt rechtsseitig eben diejenigen wiederfindet, die er gerade so chancenlos hinter sich gelassen hat, dann wird auch er nicht unter allen Umständen den Glauben an den Sinn seiner zwangsneurotischen Aktivitäten aufrechterhalten können. Aber derlei Gedankenblässe vergeht in den sich anstauenden Fahrgewittern spätestens beim nächsten Beschleunigungsprozeß. Der Deutsche im Verkehr ist

ein autoritärer Anarchist

Auf allen seinen Rechten besteht er ebenso stur, wie er alle seine etwaigen Pflichten souverän ignoriert. Auf eine Vorfahrt zu verzichten, kommt ihm nicht in den Sinn; dafür klaut er sie um so lieber. Einordnungsversuche von Neuankömmlingen, die die Stirn haben, auch am Verkehr teilnehmen zu wollen, unterbindet er rigoros; selbst drängelt er sich ohne jeden Verzug und auch ohne Einladung ins Verkehrsleben hinein. Während er sich beim Überholen jede riskante Freiheit nimmt, wird er unzeitig entgegenkommende andere Überholer mit unwausweichlicher Härte bestrafen: Die Fehler machen für ihn selbstverständlich immer die anderen. Nachsicht ist ihm ein Fremdwort, Ungeduld seine bevorzugte Tugend. Die Fremddisziplin, die er fordert, ist allenfalls proportional dem Mangel an Selbstdisziplin, unter dem er nicht leidet. Und wenn er schon einmal nicht der Übeltäter sein kann, dann ist er um so lieber im Namen der Ordnung der Polizist.

Trifft er gar wie bei den fahrradfahrenden Straßenkämpfern, die in unverfrorener Weise die von ihm so entbehrten Freiräume nutzen, auf demonstrative Formen fremder Anarchie, dann wird er mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln der Rechtsbelehrung für die Wiederherstellung der Ordnung zu sorgen wissen. Hat ihn beispielsweise erst einmal jemand richtig geärgert und seinen Neid gehörig provoziert, dann wird er ihn bei der nächstbesten Gelegenheit liebevoll eng passieren, sozusagen Blech an Haut: Was will der Kratzer, der ihm dabei widerfahren mag, schon sagen, so heikel er sonst mit seinem allerheiligsten Blech ist, wenn er dafür aus zwei Fahrradkreisen eine Acht formen kann! In den Einbahnstraßen, seien sie nun echt oder unecht, rechtswidrig oder rechtmäßig genutzt, wird er den Radfahrern ganz unmittelbar entgegenkommen und die frontale Begegnung mit ihnen suchen. Und mag der Deutsche im Verkehr sich gelegentlich in der Öffentlichkeit über die Anarchoszene auf den Straßen beklagen, so kann er sich doch des ruhigen Bewußtseins erfreuen, daß er mit seinem Auto die weitaus schlagkräftigere pädagogische Mehrzweckwaffe zur Verfügung hat. Der Deutsche im Vehrkehr ist

von abgründiger Dummheit

Daß sich sogar ihm in Stausituationen die Sinnfrage in bezug auf seine Beschleunigungs- und Überholprozesse stellt, hatten wir schon vermerkt. Aber man sehe sich doch noch ein paare weitere Indizien seiner automobilistisch rapide reduzierten Intelligenz an, und man wird nicht bestreiten können, daß Vor- und Frühformen verkehrsbedingter Idiotie ihm nicht mehr fern sind.

Da ist etwa eine Ampel, die von Rot auf Grün springt: Der Kolonnenfahrer wird entweder freiwillig mit höchster Abreibungsquote durchdrehen und von seinen Nachfahrern jäh zur Startordnung gerufen werden. Alle vereint aber werden so schnell bei der nächsten Ampel ankommen, daß die Abruptheit ihrer Bremsvorgänge allenfalls der blödsinnigen Eile ihres Aufbruchs entspricht. So gerne der deutsche im Verkehr bei Steuern und Benzinpreisen sonst rechnet - die Rechnung, daß er sich an- und ausrollend sowohl den Raketenstart wie die Vollbremsung sparen könnte, will nun einmal nicht in seinen verbretterten, bestenfalls mit Schmieröl gefüllten Kopf.

Oder man sehe sich zum seligen Ende gar eine von allen Seiten mit Ampeln gespickte Kreuzung an: Zuverlässig wird er, ohne auch nur den geringsten Vorteil davon zu haben, selbst dann noch hineinfahren, wenn er schon sieht, daß er sie nicht mehr rechtzeitig für die andere Grünphase räumen kann: Restbestände eines atavistischen Herdentriebes, die hier ein einziges Mal über den Kampf aller gegen alle obsiegen, legen ihm diese Abschlußmanöver nahe; der Sog der Vorfahrer ist einfach für seine Weitsicht zu groß. „Do not enter the box until your exit is clear“, wie es im großen Britannien auf den großen Straßenkreuzungen heißt? „Enter the box as far as your exit is unclear“, würde er sagen, wenn er beim Autofahren noch lesen, denken und sprechen könnte.

So ergibt sich denn das schöne Resultat, daß er Auto an Auto, Auge an Auge, Zahn an Zahn seinen Co-Automobilisten gegenübersteht, ohne noch vorwärts oder zurück zu können. „Nichts geht mehr“, ist der Satz, dem sein deutsches Verkehrsroulette ohne Wenn und Aber gehorcht. In Kürze, beim Anbruch der Hauptreise- und Rasezeit, wird er es - süchtig, asozial, neuotisch, aggressiv, autoritär, anarchistisch und eben abgründig dumm, wie er ist - zweifellos mit Begeisterung wieder spielen.

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