piwik no script img

Der blonde Hans vom Ostertor

■ Im Viertel wird zur Zeit ein Kinderfilm gedreht / Arbeitstitel: Hitlerjunge Herbert

An der Häuserfront Ecke Weber-/Theodor-Körner-Straße hängen wieder mal Nazi-Plakate. „Jugend dient dem Führer - Alle Zehnjährigen in die HJ“, die übliche Pose, der stechende Blick aus tiefblauen Augen geradewegs zum Herrn empor. Ein paar Schritte weiter, auf dem Hofpflaster gegenüber von Haus Nummer 19 spielen Kinder mit dem Ball. Brennball und Völkerball, all die Spiele, die die Jahrzehnte, die Weltkriege und die Generationen überdauert haben.

Artige Kinder sind das, ordentlich, wenn auch ein wenig laut. Adrett, wie sie ausschauen. Die Jungs in kurzen Lederhosen, mit Kniebundstrümpfen und Pollundern, den Seitenscheitel links, ganz nach Manier der Hitler-Jugend. Und erst die Mädchen: Lisbeth, Marie und Irmgard, so

frisch aus dem BDM-Lager, glockenklares Lachen aus sauberen Gesichtern, strohblondes Haar zu zwei Zöpfen fest gebunden, die weißen Ringelsöckchen zum bunten Trägerkleidchen. Schön, wie sie spielen in der kleinen Straße vor den Butzenhäusern. Bis der Blockwart wie aus heiterem Himmel sich vor ihnen aufpflanzt, die braune Mütze auf dem massigen Schädel und sie anschnauzt. „Ruhe, verdammt noch mal!“ Und in die atemlose Stille, noch einen Schritt auf die Kinder zu: „Könnt Ihr nicht anständig grüßen!“

Keine Klappe, kein Ende in Sicht. Die Geduld der kleinen Darsteller wird auf eine harte Probe gestellt. Zwölf Drehtage sind angesetzt für den dreißig-Minuten-Beitrag in der ZDF-Kinder-Serie „Bettkantengeschich

ten“. Die Bremer Produktions firma Rohde-Dahl steuert die Geschichte des Hitlerjungen Herbert bei, der zwischen der stillen Zivilcourage seiner Eltern und dem blinden Gehorsam bei der HJ hin-und hergerissen ist.

Drehdialoge: Ruhe bitte. Warte, da kommt noch ein Auto. Ich höre noch was. - Zwölf fünf, die erste. Der Blockwart in Nahaufnahme: Ruhe verdammt noch mal. Könnt Ihr nicht anständig grüßen! - Noch mal das Ganze. Etwas selbstverständlicher den letzten Satz. Macht den ersten Schnitt beim ersten Schritt. So wir drehen weiter. Absperren bitte, wir drehen. - Zwölf fünf, die zweite. Ruhe, verdammt noch mal. Könnt Ihr... Halt, noch mal. Nicht so zynisch, grüßen ist das selbstverständlichste. Mit der Bewegung, vielleicht vorher noch

einen Schritt. Ruhe, wir drehen. Zwölf fünf, die dritte. Ruhe verdammt noch.... Nee, das war jetzt ein Mißverständnis. Nur ne kurze Bewegung. Okay, läuft. - Zwölf fünf die vierte. Ruhe, verdam...

Die filmische Begegnung mit der Vergangenheit hatte bei den Außenaufnahmen immer wieder mit den Unwägbarkeiten des Lebens zu kämpfen. Daß da plötzlich eine schwarze Katze ins Bild lief, brachte die Regie noch nicht aus der Fassung.

Der große, weiße Hund aber, der so ziellos durch die Szenerie strolchte, paßte mit seinem Outfit nicht ins Konzept. Ganz zu schweigen von Mutter und Sohn, die ohne vorherige Warnung die Tür vom Haus gegenüber aufmachen und mir nichts dir nichts zum Einkaufen losstechen.

Andreas Hoetzel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen