„Denk mal sozial, wenn Du selbst am Arsch bist“

■ Tenever: Je höher die Häuser, um so rechtsradikaler die Wahlergebnisse / Momentaufnahmen aus Bremens Klein-Manhatten

Tenever-Zentrum heißt der Mitelpunkt des Ortes: Ein sinnhafter Name. Denn das „Zentrum“ der Satellitenstadt liegt völlig abseits, noch einmal mehrere hundert Meter weg von der eigentlichen Ortsmitte. Und die selbst ist völlig abseits, abseits jeder Einbindung in städtische Strukturen. Ein Dorf aus Hochhäusern, drei leere Kneipen, zwei vergitterte Supermärkte, kein Restaurant, geschweige denn Kino oder Theater. Hier, im „Tenever-Zentrum“ um die Koblenzer Straße herum, haben Republikaner und DVU zusammen 15,4 Prozent der Stimmen bekommen.

„Mich überrascht das“, sagt Rüdiger Buck, Leiter des Gewoba -Büros in Tenever. „Von Ausländerfeindlichkeit spüre ich hier eigentlich nichts.“ Und auch die Sozialarbeiterin im AWO-Treffpunkt kann sich das so recht nicht erklären. Hier laufen Sprachkurse für Aussiedler. Da ist es wohl schon mal vorgekommen, daß Kinder die Tür aufrissen und hereinbrüllten: „Scheiß Russen“, und irgendwo werden die das schon herhaben, aber: Ausländerfeindlichkeit „generell“, das sei in Tenever nicht spürbar. Und auch Gewoba-Mann Buck ist vom Wahlergebnis überrascht: „Die Leute haben sich ja seit Jahren an die Ausländer gewöhnt.“

Das mag so sein: Schon 1981 stellte das Statistische Landesamt in einer Untersuchung über Osterholz-Tenever fest: „Insgesamt hat sich die Ausländerzahl in Tenever im Zeitraum von März 1980 bis zum März dieses Jahres etwa verdoppelt und beläuft sich jetzt auf gut 1.200.“ Das waren etwa 10 Prozent der Wohnbevölkerung. Und schon damals bezog jeder fünfte Teneveraner Sozialhilfe.

Tenever, das ist mehr als das Demonstrativ-Bauvorhaben. Das sind auch nette Einfamilienhäuschen in ruhiger Lage, das sind Neue-Heimat-Viergeschoß-Bauten, das ist die Egestorffstiftung mit dem idyllischen Park für etwa 600 Altenheimbewohner. Nur jeder zweite Teneveraner lebt in den Blocks, der Kaiserslauterner, Wormser-, Neuwieder -, Koblenzer-'Ludwigshafener Straße. Und hier ist der Anteil der Ausländer weiter gestiegen. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber die Daten zur Europawahl liefern einen Anhaltspunkt: Am 17. Juni waren 6.674 Menschen im Demostrativbauvorhaben gemeldet. Wahlberechtigt, soll heißen deutsch und über 18, ist nicht einmal jeder zweite: 3.221.

Im und um das „Tenever-Zentrum“ herrscht Ruhe. Von der Bank vor dem Schwimmbad aus sind 450 Wohnungen zu zählen. Jeweils 15 über-, und dreißig nebeneinander. Selbst auf den Balkons sitzt an diesem sonnenschönen Sommertag fast niemand. Lediglich Kinder auf Rollschuhen sorgen für ein bißchen Leben auf dem Boulevard. Die Marktschänke ist leer, ebenso Penny, der türkische Imbiß und der Friseur. „Die sitzen alle hinter ihren Vorhängen und glotzen Video“, sagt ein Teneveraner, den es auf eine Currywurst in den Imbiß verschlagen hat. Gearbeitet wird in Tenever nicht. Wie auch. Gibt es doch hier ganze 700 Arbeitsplätze.

Das öffentliche Teneveraner-Stadteil-Leben findet anderswo statt. Etwa zwei Kilometer stadteinwärts, an der Züricher Straße. Hier hat Woolworth einen speziell sortierten Ramschladen, hier gibt es eine Eisdiele, hier ist die Endstation der Linie eins. „Warum in Tenever die Rechten soviele Stimmen kriegen? Das fragen sie doch nicht im Ernst“, sagt die 56jährige Martha T., die mit ihrem schwerhörigen Vater ins Eiscafe gekommen ist. „Gucken Sie sich doch mal um. Wie sauber Bremen war. Und wie das verkommen ist.“ Sie selbst hat, nochmal zähneknirschend, CDU gewählt. Denn: „Der Schönhuber, der ändert doch auch nichts. Der fängt doch nur die Leute mit seinen Sprüchen. Aber er hat ja auch recht. So darf es hier nicht weitergehen.“ Nein, ausländerfeindlich, will Martha T. nicht sein. Aber das mit den Aussiedlern, so nicht. „Ich bin vor 25 Jahren aus der DDR gekommen. Da mußten wir uns alles erarbeiten.“ Und die „Russen und Polacken“, die kriegen alles. Ein Schlafzimmer, die Küche ist eingerichtet, haben nach kurzer Zeit ihren Fiat 126 gegen einen Mercedes eingetauscht. Und 3.000 Mark für einen Sprachkus obendrein. „Die kommen hier her und machen den Fetten, obwohl unsere Kassen leer sind.“ Ihre Enkelin sitzt in der Grundschule Andernacher Straße mit 16 Ausländerkindern und nur „sechs oder sieben deutschen in einer Klasse. Die will da gar nicht mehr hingehen.“

Nebenan, in der Kneipe „24 hours“, sitzt eine 43jährige, SPD-Mitglied, sagt sie, und wundert sich genauso über die Fragestellung. „Von den Türken kommt das jedenfalls nicht. Das ist wegen den Russen und Polen. Die kriegen alles hinten reingeschoben.“ Die Türken, das sind nette gastfreundliche Leute, sagt sie, und: „ausländerfeindlich bin ich nicht,“ um dann wenig später, als die türkische Bedienung gegangen ist, zu ergänzen: „Ich bin jedenfalls froh, in einem Betrieb zu arbeiten, in dem keine Ausländer sind.“

Klaus P., der sich das Gespräch eine Weile aus der Distanz angehört hat, kommt an den Tresen: „Meine Freundin, die hat sich letztens in einem Imbiß beworben. Sollte zehn Mark die Stunde kriegen. Da kam 'ne Polackin und hat gesagt ich mach's für fünf. So ist das.“ Und sein Kumpel Ernst: „Ich hab auch Republikaner gewählt, obwohl ich mit denen nichts am Hut habe. Nur damit diese Arschlöcher mal merken, daß auch ein anderer Wind wehen kann.“ Und ganz besondere Freude macht ihm die Feststellung der SPD -Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs, Schönhuber sei ein Rattenfänger: „Dann bin ich ja eine Ratte. Die wird schon sehen. Nächstes Mal sind es 14 Prozent, die denen einen vor den Koffer scheißen.“

In der anderen Keipe, im „Tenever-Treff“, da „sitzen die Polacken und saufen Bourbon-Whiskey. Da darf man sich nur mit dem gezücktem Messer hintrauen. Die zögern nicht lange. Die schlagen zu.“ Sagt Ernst. Im Tenever-Treff wird polnisch gesprochen und Bier getrunken. Aber die dort sitzen sind anscheinend froh über einen Deutschen, der mit ihnen das Gespräch sucht. So wie Jan, der seit neun Jahren in der Bundesrepublik wohnt und sich gerade heftig mit einem nur polnisch sprechenden Landsmann aus Wroclaw streitet. „Der“, sagt er, „will, daß ich für ihn eine Zigarette schnorre, soll er doch selbst machen.“ Früher, sagt Jan, war es einfacher für ihn. Aber jetzt. „Die jetzt kommen, das sind doch zur Hälfte Schummler.“ Auch nach neun Jahren ist sein Dialekt noch unüberhörbar. Und die Deutschen, die gucken ihn inzwischen schief an. Aber: „Macht nix. Ich mache meine Arbeit, der Rest ist mir egal.“ Egal ist ihm aber nicht, daß frühere Bekannte aus Lodz kommen und sich selbstverständlich in seiner Wohnung einquartieren wollen. „Die telefonieren für 3.000 Mark im Monat. Und ich muß zahlen.“

Schlafzimmer, Mercedes Sprachkurs, Schulunlust der Enkelin, Selbsterfahrenes und Legenden, das Gefühl ungerecht behandelt zu werden: Neid als Katalysator für rechte Wahlerfolge. Dichtung vermischt sich mit Wahrheit, zumindest dieser: Im letzten Jahr hatte die Gewoba etwa 300 leerstehende Wohnungen. 150 wurden von Aussiedlerfamilien belegt. Und in die zwei bis drei Zimmer-Wohnungen sind nach und nach bis zu 16 Personen, sind Verwandte, Freunde eingezogen. Das schafft Probleme mit den Nachbarn. Gewoba -Mann Buck: „Man darf es eigentlich gar nicht sagen. Aber um des lieben Friedens Willen kriegen die Aussiedler dann zuerst eine Wohnung. Wir können sie ja nicht unter die Weser -Brücken schicken.“ Die Folge: Andere Teneveraner rücken auf der Warteliste immer weiter nach hinten, müssen bereits bis zu einem Jahr auf eie Wohnung warten. Sagt Republikaner -Wähler Ernst: „Da quatschen die immer, wir sollen sozial denken. Denk mal sozial, wenn Du selbst am Arsch bist.“

Holger Bruns-Kösters

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