: Gorbatschow sät Zwietracht am Rhein
Jeder Schritt Gorbatschows in Paris wurde mit seinem Auftritt in der BRD verglichen ■ K O M M E N T A R
Von den „vielen Antagonismen“ sprach Gorbatschow in Paris, die durch herkömmliches Blockdenken „ertränkt“ werden. Unter solchen Andeutungen verstehen Politiker im Westen heute noch ausschließlich die wiederaufkeimenden Widersprüche im sowjetischen Vielvölkerstaat oder in Osteuropa. Indessen ist ihnen der Kreml-Herr schon wieder ein Stück voraus. Sein Paris-Besuch in dieser Woche enthüllt ein vor kuzem noch während seines BRD-Aufenthalts weitgehend übersehenes machtpolitisches Meisterstück. Seine Antagonismen sucht Gorbatchov selbstverständlich nicht nur im eigenen Lager. Jetzt nämlich hat er Zwietracht zwischen Bonn und Paris gesät - ganz ohne großes Auffallen.
Welch ungeheure Provokation, daß sich Gorbatschow in Paris sehr wohl mit Schriftstellern und Gelehrten trifft, die Geschäftsleute des Landes aber links liegen läßt. War es nicht in der Bundesrepublik genau umgekehrt! Da stehen sie nun, die Mächtigen der V. Republik, gieren nach wirtschaftlicher Anerkennung im Angesicht des DM-Kolosses BRD und bekommen im Moskauer Spiegel erneut nur die brüchige Maske aus alten Revolutionstagen zu sehen. Damit aber können sie sich nicht einmal beklagen, so sehr haben sie dieses Image selbst gepflegt. Den Bundesdeutschen geht es durchaus ähnlich. Lieber noch als die Anerkennung wirtschaftlicher Leistungen, die sich ja bezahlen lassen, sähen sie sicher, wenn Gorbatschow sie beispielsweise zu den intellektuellen Pionieren einer ökologischen Wende zählen würde. Doch die „geistige Revolution unserer Epoche“ sucht der Sowjet in Paris und nicht in Bonn.
Beispielhaft zeigt Gorbatschow Franzosen und Deutschen ihre widersprüchlichen Spiegelbilder. Und schon beginnt ein neuer Streit am Rhein. Jeden Schritt Gorbatschows in Paris verglich die französische Presse mit seinem Auftritt in der BRD. Alles taten die Protokollfüherer Mitterrands, damit sich Bilder wie beim Marktgang des Staats- und Parteichefs in Stuttgart rund um den Eiffelturm nicht wiederholten. Deutlicher denn je ist geworden, daß die Freundschaft zwischen Mitterrand und Kohl am Rhein nicht ausreicht. Sonst könnte 'Le Monde‘, Frankreichs halboffizielle Pressestimme, die Bundesdeutschen nicht pauschal zu „Gorbimanen“ machen. Sonst würden Bundesdeutsche vielleicht etwas repektvoller vom großen Revolutionstheater Mitterrands sprechen, das noch vor uns liegt.
Georg Blume
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