Mit Rassisten muß man reden

Die Sozialpädagoginnen Lida van den Broek und Ida Sabelis (Amsterdam), die seit vielen Jahren anti-rassistische Workshops durchführen, zum „alltäglichen Rassismus“  ■ I N T E R V I E W

taz: Mich hat überrascht, wie ihr euren Workshop aufgebaut habt. Ich dachte, ihr fangt erst mal an mit einer Analyse, was ist Rassimus, was ist Faschismus?

Ida Sabelis: Wir starten mit einer Art von Analyse, aber mehr mit dem, was wir unter Rassimus verstehen. Wir sprechen nicht über Definitionen von Rassismus und Faschismus, denn solche Definitionen gibt es schon genug. Die Sache, über die wir wirklich arbeiten wollen, ist der individuelle Teil von Rassismus. Wir wollen sehen, wie wir als Weiße erzogen werden, Rassisten zu sein. Wie wollen rausfinden, wie das passiert, und dann überlegen, wie man das loswerden kann.

Also fangt Ihr mit der Überlegung an, daß jeder ein Rassist sein kann?

Ida: Ja, aber einer unserer Ausgangspunkte ist auch, daß wir keine Schuldzuweisung machen wollen. Früher haben wir unsere Seminare zum Teil damit angefangen: Wir sind alle Rassisten, gebt es nur zu, und dann können wir weiterarbeiten. Das hat nicht geklappt. Die eine Hälfte der Gruppe ist aufgestanden und wollte sich nicht die Schuld zuweisen lassen, die andere Hälfte ist schuldbewußt sitzengeblieben. Wir wußten aber aus der Frauenbewegung schon, daß man mit Schuldgefühlen nur schwer arbeiten kann. So fangen wir nun mit der Sozialisation an: Wie wird uns schon als Kindern ein unterdrückerisches Verhalten beigebracht?

Ihr habt heute gesagt, hinter jeder rassistischen Äußerung steckt eine gute Absicht? Was meint ihr damit?

Ida: Rassistische Äußerungen bedeuten, daß Leute Schuldzuweisungen machen. Aus eigenen Unterdrückungserfahrungen und Frustrationen heraus reagieren Leute rassistisch, weil es ja immer einfacher ist. So wie ein Kind seine Puppe schlägt oder in die Ecke schmeißt, ist es einfacher, Leuten, die zum Beispiel aufgrund einer anderen Hautfarbe als anders zu erkennen sind, die Schuld zuzuweisen.

Was aber ist die gute Absicht hinter einer Äußerung wie „Es gibt einfach zuviele Türken in Berlin“?

Lida van den Broek: Nur jemand, der Angst hat, daß es für ihn keine Wohnung gibt, hat Angst, daß Ausländer ihm die Wohnung wegnehmen. Es gibt immer eine direkte Verbindung zu einem Problem, das die Person hat. Im Grunde sagt derjenige, der eine rassistische Äußerung macht, auch: Ich möchte das Problem lösen. Seine Art es zu lösen ist dann zu sagen, die anderen sind schuld. Dafür verwenden wir einfach die Bilder und Vorurteile zum Beispiel über Schwarze, die wir schon seit unserer Kindheit im Kopf haben.

Wie soll ich mich nun verhalten, wenn ich so einen rassistischen Vorfall erlebe, zum Beispiel in der U-Bahn oder ein Arbeitskollege macht eine rassistische Bemerkung. Soll ich dann sagen, der Typ ist eben ein Schwein, wie kann er so etwas sagen, oder wie soll ich mich verhalten?

Lida: Wenn du wirklich etwas verändern willst, dann hilft es nicht zu sagen, er ist ein Schwein. Denn dann ist und bleibt er ein Schwein. Wenn du etwas ändern willst, dann mußt du mit diesem Menschen reden und rausfinden welches Problem dahintersteckt. In Holland gab es auch viele Leute, die eine faschistische Partei gewählt haben. Viele davon hatten eine Menge Probleme. Vertreter verschiedener anderer Parteien und antifaschistischer Komitees haben dann angefangen, mit diesen Leuten zu reden, und sie gefragt, warum habt ihr diese Partei gewählt, und was sind die Probleme, die dahinterstecken. Die Leute beklagten sich über alle möglichen Dinge, und allein die Tatsache, daß ihnen jemand zuhörte, veränderte ihr Verhalten. Im nächsten Jahr stimmten 50 Prozent von ihnen nicht mehr für die Faschisten

-bloß weil man ihnen einmal zugehört hatte.

Seid ihr also der Meinung, daß Reden und Diskutieren mehr bringt als auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren?

Lida: Nein, man muß beides machen. Wenn etwas passiert ist, kann eine Demonstration das richtige Mittel sein, um zu zeigen, daß etwas geschehen muß. Aber durch eine Demonstration wird sich nicht viel ändern, denn Rassismus ist nicht nur etwas Großes, Institutionalisiertes, sondern auch etwas Kleines, Alltägliches, was jedermann betrifft. Man muß Rassimus also einerseits auf der institutionalisierten, politischen Ebene bekämpfen und ebenso auf der individuellen Ebene, so wie wir es in unserern Workshops tun.

Ich sehe mich nun aber völlig überfordert, weil ich mir alle Probleme anhören muß und sie leider auch nicht lösen kann.

Lida: Die eine Sache ist da, was du auf der individuellen Ebene machen kannst, eine andere Sache das, was auf der institutionellen Ebene passieren muß. Nun sieht es so aus, als ob Wohungsnot und Arbeitslosigkeit etwa mit den Ausländern zu tun hätten, was natürlich nicht stimmt. Wir müssen also deutlich machen, daß es das Problem der Wohnungsnot ist und nicht das des Rassismus. Wir wollen mit dem Training natürlich nicht sagen, okay, ihr müßt jetzt auch noch die Wohnungsnot beseitigen. Was wir sagen, ist: Jeder kann im Alltag etwas gegen Rassismus tun.

Interview: Frauke Langguth