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Eine seriöse politische Kraft

In einer internen Stellungnahme für seine Partei analysierte Peter von Oertzen, Mitglied im Bundesvorsstand der SPD, die Entwicklung der Grünen  ■ D O K U M E N T A T I O N

Die Behauptung, es gebe innerhalb der Grünen „zwei Richtungen“, ist falsch. Selbst wenn man „Realos“ und „Fundis“ als einheitliche, geschlossen auftretende Richtungen betrachtete (was mir irrig zu sein scheint), sind vor und auf dem letzten Parteitag zwei weitere Strömungen organisiert in Erscheinung getreten: Die sogenannte „Aufbruch„-Gruppe (Antje Vollmer und andere) sowie die sogenannte „undogmatische Linke“ (das ehemalige MdB Reents aus Hamburg, das MdB Ludger Vollmer und andere). Beide Strömungen sind aufgrund der von vielen Mitgliedern als unproduktiv empfundenen „Realo„-„Fundi„-Konfrontation im Zunehmen begriffen. Der Parteitag hat keineswegs deutlich gemacht, daß sich bei den Grünen zwei Richtungen unvereinbar und verbittert gegenüberstehen. Die knapp verlorene Vertrauensabstimmung des Bundesvorstandes war nur zum Teil eine Richtungsentscheidung. Es stimmt allerdings, daß der harte Kern der Parteirechten (J. Fischer, Kleinert, Knapp, Schily und andere) ebenso wie der harte Kern der Parteilinken (Ebermann, Ditfurth, Trampert und andere) aus fraktionsegoistischen Gründen versucht haben, diesen Eindruck zu erwecken: So sprechen die einen von einem „Durchbruch der Realos“ und die anderen von einer „Niederlage“ der Linken. Unbestreitbar ist auch, daß die große Mehrheit des „Aufbruch„-Kreises für das Mißtrauensvotum und die große Mehrheit der undogmatischen Linken dagegen gestimmt hat. Aber schon auf oder unmittelbar nach dem Parteitag haben führende Vertreter beider Strömungen (A. Vollmer, Beck-Oberdorf. L. Vollmer und andere) erklärt, daß sie die Abstimmung nicht als ein Votum für eine bestimmte politische Richtung wissen wollen. Vernachlässigt werden darf nicht das strukturelle Hauptproblem der Grünen: Die Beziehungslosigkeit der verschiedenen Politikebenen. Bundesebene, die elf Landesverbände und die Orts- und Kreisverbände arbeiten nebeneinander her. Die Richtungsstreitigkeiten „oben“ werden „unten“ abgelehnt oder nicht nachvollzogen oder schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Die meisten Landesverbände arbeiten nicht im Rahmen der durch die Medien hochgeredeten „Realos„-„Fundis„-Konfrontation. Ihre Probleme bestehen eher im Gegensatz zwischen Amateuren und Profis, von ehrenamtlicher und bezahlter politischer Arbeit. Diese Spannungen existieren prinzipiell in allen demokratischen Parteien; bei den Grünen werden sie aber durch die dogmatischen Regeln und Rotation und Unvereinbarkeit von parlamentarischem Mandat und Parteiamt noch verschärft. Dazu kommt die Vernachlässigung der Parteiorganisation in materieller und personeller Hinsicht. (Diejenigen Mittel, die etwa die SPD in ihre eigenen politische Organisation steckt, zum Beispiel die drastischen Abgaben der Mandatsträger, gehen bei den Grünen in ihre „Ökofonds“ moralisch achtbar, aber organisationspolitisch geradezu selbstmörderisch.) Das paradoxe Ergebnis ist, daß die Amateure bei den Grünen noch dilettantischer und die Profis noch abgehobener und elitärer sind als bei den anderen Parteien. Daß alle „Realos“ noch wirklich an einer „evolutionären Weiterentwicklung unserer Gesellschaftsordnung“ interessiert sind, muß bezweifelt werden. Der rechte Flügel der Grünen hat gesellschaftspolitische Vorstellungen, die der Späth-CDU oder der FDP näher stehen als den mittleren oder linkeren Strömungen der SPD. Und daß die Linke bei den Grünen sich in einer „fundamentalen Ablehnung der bestehenden Ordnung“ erschöpfe, „das Mittel der Gewaltanwendung nicht ausschließe“ und „jede politische Mitverantwortung“ ablehne, ist schlicht falsch. Für die „undogmatische Linke“ gilt es überhaupt nicht, und auch für den harten „Fundi„-Kern nur zum Teil. In Wirklichkeit, und wenn wir nicht nur bloß formalorganisatorische, sondern inhaltlich-politische Maßstäbe anlegen, ist die „Strömungs„-Landschaft der Grünen sehr vielfältig. Grob gesprochen können wir unterscheiden:

1. Harte „Realos“, die in sich mehrere Positionen umfassen: Ökolibertäre und Ökoliberale, die jede ökosozialistische Richtung prinzipiell ablehnen, und die in der CDU und wertkonservativen Kreisen eher den natürlichen Bündnispartner sehen als bei SPD und Gewerkschaften (Th. Schmid, Knapp, Kretschmann), gemäßigte Reformpolitiker (Kleinert) und Machtpragmatiker (Fischer), die je nach Situation mal nach rechts und mal zur Mitte hin taktieren, und die zum Teil für eine „grüne FDP“ plädieren und sich direkt an „Yuppi„-Wähler oder „Mitte„-Wähler wenden wollen.

2. „Kritische“ Realos, die eine realistische Reformpolitik mit „linken“ Programmpunkten vertreten. In einer Reihe von Landesverbänden ist diese Strömung einflußreich.

3. Die „Aufbruch„-Gruppe. Sie hat ihr taktisches Hauptziel zum Jahresende erreicht: Der Bundesvorstand muß eine Urabstimmung unter den Mitgliedern der Partei über verschiedene politische Programmentwürfe durchführen. Die Positionen reichen von gemäßigten Realpolitikern bis zu undogmatischen Linken und linken Feministinnen.

4. Die undogmatische Linke (sie nennt sich selbst „linkes Forum“) besteht aus erklärten Ökosozialist/innen, die aber Strategie- und Politikunfähigkeit der harten „Fundi„-Gruppe kritisieren. Sie schließen zum Beispiel eine Kooperation mit der SPD nicht aus, wollen aber die SPD nach links drängen, indem sie von ihr verlangen, ihre eigenen „linken“ Beschlüsse auch tatsächlich durchzuführen - was für die SPD sehr peinsam werden könnte. Diese Strömung umfaßte auf dem Parteitag rund 15 Prozent der Delegierten.

5. Auch die harten und organisierten „Fundis“ im engeren Sinne sind nicht einheitlich: Radikalökologen wie Ditfurth oder grüne Anachronisten wie Christian Schmidt (Hamburg) sind im Grunde gegen jede Übernahme politischer Mitverantwortung. Andere, wie die Ökosozialisten Ebermann oder Trampert, verfolgen mehr die Strategie, die Grünen auf Kosten der SPD zu stärken. In der Gesamtpartei hat diese Gruppe bisher von der zugespitzten Konfrontation „Realos„ -„Fundis“ gelebt. In dem Augenblick, in dem die Partei diese künstliche Frontstellung nicht mehr akzeptiert, würden die „Fundis“ als die Minderheit von vielleicht zehn bis 15 Prozent erscheinen, die sie tatsächlich sind. (...) Bleibt die Frage, ob sich aus dieser Zustandsbeschreibung eine Prognose über die zukünftige Entwicklung der „Grünen“ ableiten läßt. Dabei sollte bedacht werden, daß es in den Sozialwissenschaften und erst recht in der praktischen Politik allenfalls Wahrscheinlichkeiten gibt. Dies einmal vorausgesetzt, scheint mir die Vermutung, die Integration der verschiedenen Strömungen bei den Grünen stehe vor dem Scheitern, ziemlich unwahrscheinlich zu sein. Mir scheint die Annahme wesentlich näher zu liegen, daß sich aus kritischen Realpolitikern, „Aufbruch„-Kräften und „Undogmatischen“ - unterstützt durch kooperationsbereite „Realos“ und „Fundis“ eine breite tragfähige Mitte-Links -Koalition bildet, die 70 bis 80 Prozent der Parteitagsdelegierten umfassen würde. Aus der Sicht der Sozialdemokratie würde eine solche Entwicklung bedeuten, daß die Grünen sich bis zu den Bundestagswahlen als eine programmatisch einigermaßen klare, handlungsfähige und damit seriöse politische Kraft reorganisieren könnten. Der Charakter der Grünen wäre dann der einer ökologischen, pazifistischen, feministischen, basisdemokratischen linken Partei mit deutlichen links -sozialdemokratischen und linkssozialistischen Akzenten. Eine solche Konstellation wäre für die SPD sehr heikel. Sie könnte unter Umständen bedeuten, daß eine Wendung der Partei zur „Mitte“ hin mit einem erheblichen Vertrauensverlust nach „links“ bezahlt werden müßte. Wenn hingegen „links“ von der SPD keine ernstzunehmende „grüne“ Alternative mehr bestünde, brauchte sie auf solche Reaktionen kaum noch Rücksicht zu nehmen. Der Versuch, eine zutreffende Prognose des Schicksals der Grünen zu stellen, ist für die sozialdemokratische Strategie von großer praktischer Bedeutung.Januar 1989

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