: DDR als bundesdeutscher Ökomarkt
■ Töpfer verteilt Appetitanreger an Umweltminister Reichelt / DDR-Umweltbewegung will mitreden
Mit Pilotanlagen zur Reinhaltung von Luft und Wasser im Wert von 200 Mio. DM wird DDR-Umweltminister Reichelt Ende der Woche aus der BRD nach Hause fahren. Die Umweltbewegung in Ost und West begrüßt diesen Ansatz, kritisiert aber, daß die DDR-Führung Umweltdaten zur geheimen Kommandosache erklärt. Töpfer aber macht das nicht zum Thema, sondern will durch diese Geschenke der Bundesdeutschen Umwelt-Industrie Wege zum Verkauf ihrer Anlagen in die DDR zu ebnen.
„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, denkt sich das Politbüro der DDR. Solange wir die Umweltdaten nicht veröffentlichen, haben wir unsere Ruhe. Aber damit ist es vorbei, denn dann müßten die Westantennen wieder abgebaut werden, die Umweltbewegung nach Bauzen gesteckt und im Osten eine Mauer gegen die gegen Perestroika gezogen werden.
Das Dilemma der Umweltpolitik der DRR liegt in der Geimhaltung. Seit 1982 unterliegen alle Umweltdaten einer Sperre. Diese Geheimniskrämerei geht soweit, daß nicht einmal der Beschluß des Ministerrates darüber publiziert wurde. „Alle macht den Räten“ steht aber im Plural und bezieht sich nicht exclusiv auf den Minister Rat, dachte sich das grüne Netzwerk Arche und veröffentlichte in diesem Jahr das Geheimdokument.
Die Datensperre führte zu einem absurdem Theater auf mehreren Bühnen: Wissenschaftliche Konferenzen spielen sich wie Phantomveranstaltungen ab, weil über konkrete Daten nicht gesprochen werden darf. Die DDR ist in drei Geheimhaltungskategorien eingeteilt, in der dritten Stufe bleiben die Daten 15 Jahre unter Verschluß. Zwei Drittel der DDR fallen unter Kategorie drei. Praktisch Folge: Smogalarm in West-Berlin, keine Warnung hinter der Mauer. Arche und AL fordern ein mauerübergreifendes Warnsystem.
Für die Umweltbewegung in der DDR hat die Geheimhaltung die gleichen Folgen wie die staatliche Desinformation bei uns nach Tschernobyl: Sie mißt selber. Die Ergebnisse: Im großen Chemiekombinat Bitterfeld liegt der Schwefeldioxyd sechsmal über dem DDR Grenzwert, Stickoxyde zehnfach darüber.
Im Gemüse aus den Kleingärten um das Hüttenwerk in Helmstedt finden sich erhöhte Blei- und Kupferwerte. Der Elbzufluß Mulde übererfüllt das Plansoll mit Quecksilber um das 100.000fache. Die Lösung für Nitratüberdüngung: im HO -Geschäft gibt es Wasserflaschen zu Anrühren der Babynahrung.
All das erfahren die DDR-Bürger nicht aus ihren Zeitungen, sondern über das Westfernsehen. Über Bitterfeld, die größte Dreckschleuder, lief der von der DDR-Umweltbewegung gedrehte Video-Film auch im Westen. Neulich wurde der „Arche“ wieder eine Videokamera beschlagnahmt. In der DDR sind inzwischen über hundert Umweltgruppen aktiv. Zum Tschernobyltag verteilten sie zum Beipiel Flugblätter an die Bauarbeiter des neuen AKW bei Stendahl, für ihre Reisen unterhalten sie ein eigenes Büro. Bevorzugtes Ziel ist die UdSSR wegen der sozialistischen Argumentationshilfe. Immerhin, entgegen den sonstigen Gewohnheiten gab der Generalforstmeister Rudolf Räthnick über Radio DDR gestern bekannt, daß 44,4 Prozent des Waldes geschädigt sei.
Dr. Hans Reichelt blockt aber nicht nur in seinem eigenen Land. Die Grünen würden gern ein umweltpolitisches Syposium mit der DDR durchführen. Mit der UdSSR lief der erste Versuch bei Gorleben, im Herbst geht es in Moskau weiter. Nach Tschernobyl stieß der grüne Vorschlag zunächst auch im DDR-Politbüro auf Resonanz. Die grüne Bundestagsabgeordnete Karitas Henschel bedauert jetzt in einem Brief an Reichelt, „daß es bis heute trotz vielfacher Anstrengungen nicht gelungen sei, auch nur irgendeine Stellungnahme aus der DDR zu erhalten.“
Beim letzten Treffen der beiden Umweltminister kamen die Verhandlungen nicht voran, weil die DDR Umweltfragen mit politischen Forderungen verband: Die Elbgrenze sollte in die Mitte verlegt werden. Inzwischen tut man praktisch so, als sei diese Frage geregelt.
Ausgelassen werden diesmal alle „Fragen, die den westdeutschen Export beeinträchtigen könnten: die Folgen des Uranabbaus in der DDR (leichte Radongase fliegen Hunderte von Kilometern). Atompolitik überhaupt bleibt draußen vor, denn die DDR will den Atomstromanteil von zehn auf 30 Prozent bis zum Jahr 2000 erhöhen. Auch davon soll die westdeutsche Industrie profitieren.
Profitieren wird von den 200 Millionen Mark, die Töpfer seinem Amtsbruder Reichelt jetzt mitgibt, aber auch die westdeutsche Wirtschaft. Denn die Anlagen werden im Westen gekauft. Gestern besuchte Reichelt Lurgi, eine Hoechst -Tochter. Dennoch Ost-West-Umweltschutz ist keine Einbahnstraße. Dialektisch erwirbt Niedersachsen käuflich vier Kläranlagen der DDR, „klein, aber pfiffig“, die die Abwässer von zehn bis 100 Menschen klären und mit je 25.000 Westmark bezahlt werden müssen.
Wieland Giebel
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