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Kanzler Kohl im Ausgleich

■ Kohl schaltet sich in Grenzdiskussion ein: „Betonung von Rechtsstandpunkten noch keine praktische Politik“ / Kanzler nicht für Waigel, aber auch nicht gegen ihn / Aufrechnung mit Polen

Bonn (taz) - Helmut Kohl tritt zwei Schritte von CSU-Chef Waigel zurück und geht einen auf ihn zu. Im sich zuspitzenden Streit um Waigels Äußerung vom rechtlichen Fortbestand des Deutschen Reichs in seinen Grenzen von 1937, hat der Kanzler gestern in Bonn Stellung bezogen. Jenen, wie etwa Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, die Waigel dafür kritisieren, gab Kohl vorsichtig recht: Er erklärte, eine „Darlegung der staats- und völkerrechtlichen Lage“ dürfe „nicht in einen künstlichen Gegensatz zum Bemühen um eine Verständigung mit Polen gebracht werden.“ Zwar stünden die staats- und völkerrechtlichen Positionen der Bonner Außen- und Deutschlandpolitik nicht zur Disposition, allerdings lenke die Betonung von Rechtsstandpunkten „ungewollt“ vom Kern der Deutschen Frage ab. Dies sei keine praktische Politik im Interesse der Einheit Deutschlands.

Der CSU, deren Landesvorstand am Montag einhellig Waigels Haltung begrüßte, und den Vertriebenenverbänden läßt der Kanzler aber eine Hintertür offen: Für ihn bleibe die deutsche Frage rechtlich und politisch offen. Und die Bonner Deutschland- und Ostpolitik sei durch die bestehenden Verträge und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bestimmt. Damit spielt Kohl darauf an, daß juristisch die Anerkennung der polnischen Westgrenze in einem endgültigen Friedensvertrag noch aussteht.

Seinem Sowohl-als-auch fügte der Bundeskanzler noch eine Rechnung bei: Einerseits sei im deutschen Namen „gerade auch dem polnischen Volk Furchtbares angetan worden.“ Andererseits dürfe allerdings auch nicht vergessen werden, „daß später von Polen Schlimmes an Deutschen geschehen“ sei.

In der Debatte um die Waigel-Rede meldeten sich am Dienstag auch noch andere zu Wort. Durch „stramme nationalistische Töne“ wolle der CSU-Vorsitzende den „Republikanern“ das Wasser abgraben, sagte die FDP-Politikerin Hildegard Hamm -Brücher. Nach Meinung der bayerischen Sozialdemokraten hat Waigel dem Aussöhnunsprozeß einen „schweren Schaden zugefügt“.

Ferdos Forudastan

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