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Verwirrt-betr.: Peter Gängs "Fragen an die bundesdeutsche Linke", taz vom 1.7.89

betr.: Peter Gängs „Fragen an

die bundesdeutsche Linke“,

taz vom 1.7.89

Gewiß ist die Verwirrung, die Peter Gäng angesichts der Vorgänge in China und überhaupt in den sozialistischen Ländern“ befallen hat, eher sympathisch als der Geist, den die darübergesetzte Karikatur zum Ausdruck bringt. Aber ist die Verwirrung schon gründlich genug? Ist das geringe Echo in der Linken, was immer das heute noch ist, nicht auch einem untergründigen Gefühl geschuldet, jahrelang eine Politik mit Wohlwollen bedacht zu haben, deren blutige Rückseite jetzt zum ersten Mal in unser TV-Bewußtsein eingedrungen ist? Ist es nicht ein Gefühl der Mitverantwortung, das hier stumm macht?

Ist diese blutige Seite wirklich nur das Ergebnis „alter Männer“ (war die Altersweisheit im Osten nicht eher anerkannt als bei uns?), oder war und ist sie nicht immer ein mögliches Ergebnis eines Weltbildes, in dem Menschen nur als Masken innerhalb einer Klassenkampf-Dramaturgie gehandelt werden. Rüttelt das Massaker von Peking nicht in Wirklichkeit an Kernbereichen dessen, was sich sozialistische Theorie nennt und was das große historische Experiment „Sozialismus-Kommunismus“ betrifft, und wird es nicht Zeit, darüber nachzudenken?

Ich glaube im übrigen nicht, daß sich die geschichtliche Entwicklung einfach als Rücklauf auf den Kapitalismus zeichnen läßt. Was sich heute unter dem Dach des Globalbegriffes „Kapitalismus“ befindet, ist schon ziemlich was anderes als Marx darunter verstanden hat. Vielleicht muß man überhaupt die Vorstellung fallen lassen, daß es real je so etwas wie einen Systemwettstreit von Kapitalismus und Sozialismus gegeben hat. Während der Begriff Kapitalismus einen doch hauptsächlich beschreibenden Charakter hatte, ist der Begriff Sozialismus doch eigentlich immer einer geblieben, in dem sich das Element des Zukunftsentwurfs und des Versprechens mit dem Element der Rechtfertigung bestimmter Zustände und mit dem deskriptiven Element gemischt haben.

Dabei finde ich es eher eigenartig, wenn Peter Gäng von einem Traum „Sozialismus und Freiheit“ spricht, weil darin doch das Eingeständnis steckt, daß der Sozialismus quasi erst durch eine zweite revolutionäre Operation menschenwürdig und menschenfreundlich gemacht werden muß.

Hans Fischer, Würselen

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