ZEITVERGLEICHE

■ Die Uraufführung der Oper „Mirabeau“ von Siegfried Matthus

Revolution in Ost-Berlin, Zeitungsjungen werfen Flugblätter in die Menge - jedenfalls in den Zuschauerraum der Deutschen Staatsoper Unter den Linden, wo am Freitag (gleichzeitig mit Karlsruhe) die Choroper „Graf Mirabeau“ von dem DDR -Komponisten Siegfried Matthus uraufgeführt wurde. Es ist der deutsche künstlerische Beitrag zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution, der auf eine Anregung des früheren Opernintendanten Rolf Liebermann zurückgeht, dem das Werk auch gewidmet ist. Die französische Botschafterin in der DDR, Joelle Timsit, bedankte sich beim Komponisten mit einem Blumenstrauß.

Es gab zwar in Ost-Berlin keinen überwältigenden, aber doch freundlichen und langanhaltenden kräftigen Applaus nach der Aufführung, die zeitgleich in einer eigenen Fernsehproduktion auch vom DDR-Fernsehen und vom Sender 3 -SAT ausgestrahlt wurde. Besonders starker Beifall galt neben dem Komponisten vor allem dem Sänger der Titelpartie, dem Bariton Jürgen Freier, an den Matthus (Jahrgang 1934) bereits beim Komponieren dachte. Die musikalische Leitung hatte Heinz Fricke, Regie führte Erhard Fischer.

Die szenische Realisation dieser Oper über die beiden letzten Lebensjahre Mirabeaus (1749-1791), der vielleicht schillerndsten Figur der Französischen Revolution, Lebemann und politischer Ehrgeizling mit zwiespältigen Ambitionen zugleich, gelang Peter Heilein nur in Ansätzen überzeugend, so wenn sich zum Beispiel Mirabeau und die Königin Marie Antoinette bei ihrem konspirativen Treffen auf einer festlich illuminierten Rampe begegnen, die sich zwischen beiden plötzlich teilt und das Volk von Paris demonstrativ in die Lücke drängt und ruft: „Mirabeau, unser Vertrauen hast du zerstört!“

Szenenbeifall gab es nur einmal an einer Textstelle des streckenweise bewußt satirischen Librettos, das der Komponist der „Judith“ und des „Cornets Christoph Rilke“ erstmals ohne literarische Vorlage selber schuf. Das Ost -Berliner Publikum, darunter auch Kulturminister Hans -Joachim Hoffmann und SED-Politbüromitglied Egon Krenz, hatte offenbar an dieser Stelle des sonst nicht immer gut verständlichen Textes sehr genau hingehört: „Das Heil des Vaterlandes gebietet, die Ausreise zu beschränken. Eine Kommission muß mit der Prüfung von Ausreisewünschen beauftragt werden.“ „Machen Sie aus Frankreich kein Gefängnis!“

In einem Beitrag der DDR-Zeitschrift 'Theater der Zeit‘ über das neue Werk von Matthus heißt es, seine Schauplätze erweckten den Eindruck, daß von allem Möglichen, nur nicht von deutscher Geschichte gehandelt werde. „Aber genau davon wird gehandelt. Es ist ihre geheime politische Bedeutung, die diese Opern anziehend macht.“ Schon die ersten Worte des Chores im ersten Akt unterstreichen das: „Eine kühne Hoffnung dämmert schon.“ Und im blutrünstigen Finale von „Mirabeau“ sagt Napoleon zum Volk: „Falsche Helden haben euch geblendet mit ihren Taten und Prognosen. Das Blatt hat sich gewendet.“ Darüber fällt der Vorhang mit der Wiedergabe der Deklaration der Menschenrechte der Französischen Revolution „Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Bedrückung“ und „Jeder Bürger darf sich durch Wort, Schrift und Druck frei äußern“. Ein offenbar etwas verblüfftes Ost-Berliner Publikum brauchte etwas Zeit, um den Schlußapplaus schließlich anschwellen zu lassen.

Matthus schrieb das Libretto ausschließlich nach Originaldokumenten. Mirabeau hatte unter anderem die Weigerung der Pariser Nationalversammlung, den Auflösungsbefehl des Königs zu befolgen, artikuliert (“...wir werden nur der Macht der Bajonette weichen!“) Den Komponisten interessierten nicht die zentralen Figuren der Französischen Revolution, sondern gerade die Tatsache, wie vermeintlich „völlig unbedeutende Leute“ an Führungsverantwortung wachsen oder scheinbar bedeutungsvolle untergehen. Den zwiespältigen Charakter Mirabeaus macht Matthus unter anderem durch Zitate aus „Don Giovanni“ und „Tristan“ deutlich - also mit dem Gegensatz „Wüstling/Außenseiter“ und „Erlöser“. Seine Musik, vor allem auf Bläser und Schlagzeug gestützt, aber auch mit Glockenspiel und Kastagnetten durchsetzt, hat ein Problem sie ist eine „das Wort verschlingende Musik“, wie es die Zeitschrift „Theater der Zeit“ formulierte. So auch wieder bei „Mirabeau“.

dpa