piwik no script img

Altbekannter Modistenmuff

 ■ S T A N D B I L D

(45 Fieber, Mo., 17.7., 21 Uhr, N3) „Ich geh gern bei Rot über die Ampel“, lispelt der Modeschöpfer, und deswegen lebt der mutige Mann auch lieber in Paris und nicht im Schwarzwald. Denn im Bastille-Viertel ist man so frei, „da lassen die Leute einen“. Ähnliche Erkenntnisse aus der fernen, geheimnisvollen und irgendwie stets faszinierenden Metropole und wahren Bewohnern der fremden Art verdanken wir im Sendebereich des Nordfernsehens dem Fieber-Magazin. Oh, wie aufregend, diese Franzosen! Gottfried Tollmann, Mitglied der Combo „Fred Banana“, kennt sich aus: „Die Franzosen möchten gut leben, mit schicken Accessoires, Clubs und so weiter, das muß alles zusammenpassen, so daß eine Elite entsteht, verstehst du?“ Schon gut, Gottfried, wir verstehen dich. Zack, der nächste Videoclip auf die Mattscheibe, „Singing in the shower tonight, we feel clean.“ Die Reporterin fragt: „Was gefällt dir an Paris?“ Gottfried antwortet: „Alles so kosmopolitisch hier“. Die Reporterin fragt: „Was gefällt dir an deinem Bastille-Viertel?“ Gottfried antwortet: „Alles ist so wie auf dem Dorf in Deutschland.“ Aha. Und - wisch! - der nächste Videoclip rauscht heran. Ein Zeitgeist-Redakteur erklärt die jüdisch -christliche Kultur für überholt und freut sich auf ein kulturelles Asylrecht für unterdrückte Künstler. Harlem Desir, der Beau des Multikulturellen, wiegt sich im Antillentakt, und die Studentenführerin von 1986, Isabelle Thomas, sitzt brav auf ihrer Ledercouch und schreibt eine Studie über „Jugend in Europa“.

Eins, zwei, drei, vier, fünf Pariser - man hätte auch fünfzig nehmen können, es wäre nicht mehr Erkenntniswertes ins Mikrophon geflossen, denn „Zeitgeist“ läßt sich nicht mit flüchtigen Zeitgeistreportierern ergründen. Das war keine spannende Trendanalyse, wie uns der SFB weismachen wollte, das war altbekannter Mansarden- und Modistenmuff. Mehr hätten wir gerne erfahren über die „Sapeure“, Pariser aus Schwarzafrika, die der Religion des Outfit huldigen und sich „lieber gut kleiden, als zu essen“. Den ganzen Monatslohn für einen Top-Anzug ausgeben - und das jeden Monat... Vielleicht wären hier die neuen Dandys von Paris aufzuspüren gewesen. Doch auch dieser Clip huschte vorbei und es blieb - rien.

smo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen