: Über die Grenzen der Toleranz und Liberalität
Ekkehard Wruck, ausländerpolitischer CDU-Sprecher, hat „breiten Widerstand“ gegen die Weisung Pätzolds zum Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge angekündigt ■ I N T E R V I E W
taz: Sie galten in der letzten Legislaturperiode als ein relativ liberaler Politiker, der in ausländerpolitischen Fragen auch schon mal mit der eigenen Fraktion über Kreuz lag. Jetzt sind Sie der lauteste Kritiker der Weisung des Innensenats zur Verbesserung der aufenthaltsrechtlichen Situation von Flüchtlingen. Wie kommt der Sinneswandel?
Wruck: Das ist unzutreffend. Ich habe gerade in der vergangenen Legislaturperiode meine eigene Partei, aber auch die Regierung dann kritisiert, wenn ich es für notwendig erachtet habe und bestimmte Grundsätze einer liberalen Ausländerpolitik nicht eingehalten worden sind. Das heißt ja nun nicht, daß ich nicht die jetzige Regierung mit der gleichen Heftigkeit kritisieren muß, wenn es Positionen gibt, die mit liberaler ausgewogener Ausländerpolitik nicht zu vereinbaren sind.
Hat denn die Sondersitzung nach Ihrer Meinung etwas gebracht, was über die bereits ausgetauschten Argumente hinausgeht?
Ich habe mir in der Debatte ja mehr Nachdenklichkeit gewünscht, und gerade die ist auf Seiten der Regierungsfraktionen auf der Strecke geblieben. Ich finde es auch unfair, wie die Regierungsfraktionen argumentieren, daß die einen die Menschlichkeit gepachtet und die anderen sie vergessen hätten - gerade wenn man weiß, daß Übersiedler und Aussiedler von diesem Senat schooflig behandelt werden und andererseits Straftäter unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht haben.
Hat die Nachdenklichkeit in dieser Debatte nicht schon dadurch gelitten, daß Ihr Fraktionskollege Diepgen im Zusammenhang mit der Weisung von Berlin als Einwanderungsland spricht?
Sie müssen die Weisung im Gesamtzusammenhang mit dem sehen, was die Grünen auf ihrem letzten Parteitag beschlossen haben. Sie haben sich für ein allgemeines Bleiberecht für Flüchtlinge ausgesprochen. Und diese Weisung ist ein Einstieg in diese Ausländerpolitik, wie sie von den Grünen und der AL programmiert ist.
Schätzungen sprechen von vielleicht 5.000 Menschen, die von der Weisung profitieren werden. Wie kann man es vor diesem Hintergrund denn vertreten, an Ängste in der Bevölkerung vor einer Einwanderungswelle zu appellieren?
An Ängste sollte niemand appellieren, aber man sollte auf Gefahren und Risiken hinweisen. Und die Gefahr einer Sogwirkung durch diese Weisung ist unverkennbar.
Sie halten also weiterhin an dem Szenario des Einwanderungslandes fest?
Das ist kein Szenario. Die Gefahr, daß durch diese Weisung Hoffnungen bei vielen Menschen in der Dritten Welt genährt werden, die wir nicht erfüllen können, weil wir ja noch nicht einmal die Leute aus Ost-Berlin hier aufnehmen...
Was ja nun so nicht mehr stimmt. Was halten Sie denn davon, wenn Ihr Fraktionskollege Buwitt im Zusammenhang mit der Weisung von einer „Gefährdung der deutschen Identität“ spricht?
Also, ich habe den Ausdruck nicht benutzt, aber es gibt sicherlich Menschen, auch ältere Leute, die solche Ängste haben. Und diese Ängste und Identitätsprobleme dieser Menschen muß man ernst nehmen.
Nimmt man diese Ängste ernst, indem man Sie durch solche Äußerungen faktisch bestärkt?
Das ist immer das Problem, wenn man etwas beschreiben oder analysieren will. Das hat natürlich auch immer die Wirkung einer Beeinflussung.
Zentraler Kritikpunkt Ihrer Fraktion an der Weisung des Senats ist die Regelung für ehemalige ausländische Straftäter. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, daß Berlin zum „Mekka für Straftäter“ wird?
Wenn jemand in Westeuropa in größerem Stil Rauschgifthandel betreiben will, dann wird der sich auch fragen, wo unter welchen Umständen das Risiko am geringsten ist. Das wird sich herumsprechen in diesen Kreisen, daß das Risiko in Berlin am geringsten ist und ein Bleiberecht besteht.
Was sagen Sie dazu, daß die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Bewährungshelfer die Regelung gerade in bezug auf ehemalige Straftäter begrüßt hat?
Ich will hier niemanden pauschal in eine Ecke stellen, aber es ist ein anderes Kriterium, das Bewährungshelfer in den Vordergrund stellen, als das Risiko für eine Gesellschaft.
Interview: Andrea Böhm
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