: MYTHOS MENTALITÄT
■ Vorschau beim Werkstattfrühstück
August 1914, deutsche Männer mit einem Hurra auf den Lippen, Freude im Gesicht, schwenken Hüte, ziehen jubelnd durch die Straßen: Es geht in den Krieg. Noch eine Woche vor Kriegsausbruch demonstrierten hunderttausend Menschen, unterstützt von der SPD, für den Frieden. Jetzt wurde selbst die Hoffnung auf das internationale Proletariat begraben, um als Vaterländler zum Frühstück in Paris zu sein. Was die deutsche Nation in diesen Tagen so stürmisch ergriff, hat von den Historikern den Namen Kriegspsychose bekommen. Wie diese konstruiert war, auf welcher mentalen Basis sie operierte, was sie zum Ausbruch brachte - darüber gibt es des Nachdenkens kein Ende, und die Antwort ist endgültig nicht gefunden.
Getragen von der Berliner Geschichtswerkstatt e.V., gefördert von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie, widmet sich ab dem 2. September dieses Jahres die Ausstellung „Zum deutschen Heldenkampf gegen eine halbe Welt, im Dienste des Vaterlandes zogen mit ins Feld...“ („Das Augusterlebnis 1914“) der Frage nach der mentalen Disposition der Deutschen, die die Begeisterung für den Krieg möglich machte.
Begründet wird die Ausstellung mit einem Defizit an Bewußtsein über die deutsche Mentalität vor dem Ersten Weltkrieg, da dieser und die nachfolgenden Geschichtskatastrophen den Blick darauf verstellt hätten. Um so schlimmer, weil erst aufbauend auf dieser Mentalität die deutsche Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts verstanden werden kann.
Nun ist es allerdings kein Leichtes, die Mentalität eines Volkes aus einer Zeit, die jetzt 75 Jahre zurückliegt, in einer Ausstellung zum Reden zu bringen. Das Ausstellungsteam (so wird das heutzutage genannt) wird den Weg der Inszenierung von Geschichte gehen. Heißt: über die Zusammenstellung von Dokumenten hinaus wird mit Installation, Video, Collage hinaus gearbeitet, „zur Verdichtung der inhaltlichen Aussagen“. Dazu wird es keinen Katalog, aber ein Buch geben, ein Rahmenprogramm mit Filmen im Arsenal, zusammengestellt von den FREUNDEN der deutschen Kinemathek, und Vorträge, Diskussionen, künstlerische Darbietungen. Es scheint, als hätte die Geschichtswerkstatt einen Blick in Richtung Gropiusbau riskiert und in 'Ästhetik und Kommunikation‘ geblättert. Hoffentlich gibt es im September im Künstlerhaus Bethanien Besseres als beim seeligen Mythos Berlin.
Heise
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