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Deutsch-deutsches Lehrstück

■ Matthus veropert erbarmungslos / die Heldentaten Mirabeaus: Zur „Ringaufführung“ einer Revolutionsoper in Berlin/DDR, Karlsruhe und Essen

Frieder Reinighaus Ihre Begabung und Ihr Geni

brauchen andere Tätigkeiten

(I. Akt, 9. Szene

Zum Bicentenaire bekamen die Franzosen neben der mäßig gelungenen Inszenierung des Weltwirtschaftsgipfels und der überzeugendsten Demonstrationen der Staatssicherheit einen modegeschöpften Umzug der einheimischen und exotischen Folklore in den Champs Elysees als postrevolutionären Hohn auf die einstigen Massenaufmärsche. Auch durften sie ein erstes Mal in ihr neues monströses Opernhaus spicken, in welchem das erbaulichste 19.Jahrhundert und nur die revolutionsfernsten Musikhäppchen serviert wurden. Die Deutschen - medial vorab und zum Stichtag bestens mit Historischem und Teilnahmsvollem versorgt -, die Deutschen in Ost und West erhielten aus gegebenem Anlaß ein Lehrstück. Das signalisiert, bei aller Annäherung und Nivellierung der nationellen Unterschiede, eine entscheidende Differenz.

An der Deutschen Staatsoper in Berlin/Hauptstadt der DDR und am Badischen Staatstheater Karlsruhe wurde sie zugleich und am Abend des Jubeltags präsentiert, im Essener Aalto -Theater 24 Stunden später: die neue Oper von Siegfried Matthus. Drei veschiedene Regieteams hatten sich parallel zueinander um das Auftragswerk und seine zitatenreiche, überhaupt geschichtsträchtige, hochgradig illustrative Musik gekümmert - der Krefelder Generalintendant Eike Gramss in Karlsruhe wohl mit dem geringsten Erfolg. In Essen fand das Stück und seine Zubereitung guten Zuspruch beim Publikum. In Berlin wurde dem Werk alle Ehre angetan, Komponist und Inszenierung ernteten Jubel.

Marat, Danton, Robbespierre - diese Namen stehen für 1789. Doch es sind die Wortführer der dritten, die Anstifter und Opfer der vierten Phase im gesellschaftlichen Gärungsprozeß. Neben dem Organisator der „Revolte der Privilegierten“ von 1788, dem Advokaten Antoine Barnave, und dem im nordamerikanischen Befreiungskrieg ausgezeichneten Offizier Lafayette war Honore-Gabriel-Victor Riqueti, Graf von Mirabeau, der Mann der ersten Stunde. Populär war er durch seine Rauf- und Liebeshändel; seine analytischen Schriften wurden bei Hof geschätzt, die Lettres de cachet vom aufbegehrenden Adel und den dynamischen Bürgern. In diesem Buch verarbeitete der Graf biographische Erfahrungen: die vom eigenen Vater erwirkte Verhaftung und Verbannung, die Flucht nach Holland, die Auslieferung, die neuerliche Einkerkerung im Fort von Vincennes.

In der politischen und wirtschaftlichen Krise des Winters 1788/89 bot sich Mirabeau dem Adel in Aix-en-Provence als Kandidat für die Generalstände an, wurde abgelehnt - und ließ sich vom dritten Stand als Delegierter nach Paris schicken. Neben dem Abbe Sieyes, der seiner Kaste den Rücken kehrte, wurde Mirabeau zum privilegierten Überläufer. Er widersetzte sich erstmals den Anordnungen des Königs und ertrotze die Nationalversammlung, deren Präsident er wurde, turnusmäßig kurz vor seinem Tod im April 1791, ebenso wie Parteivorsitzender der Jakobiner.

Er liebte das ausschweifende Leben und glänzte als Autor, Redner, Agitator, Schauspieler; seit Mai 1790 war er auch geheimer Berater von Ludwig XVI., der Mirabeaus immense Schulden beglich und dafür die Rettung der Monarchie erwartete. Der doppelt spielende Graf bot dem königlichen Schafskopf die politische Lösung einer konstitutionellen Monarchie an, die druch die Flucht der könglichen Familie nach Varennes dann endgültig vereitelt wurde. Mirabeau soll an einem Herz- oder Nierenversagen gestorben sein - Gerüchte über einen Giftanschlag und eine Orgie mit drei Damen zwei Wochen vor seinem Ableben ließen sich nicht bestätigen.

Dieser „Wüstling der Freiheit“ ist eine grandiose Figur wie geschaffen für den Kostümfilm oder die Oper nach dem Zuschnitt Verdis. Auch was er über Despotimus und Bürgerrechte geschrieben hat, hätte literarische Grundlage für reflektierendes Musiktheater werden können. Aber Siegfried Matthus wollte offensichtlich mehr. Er schrieb sich selbst das Libretto inklusive einer Zusammenfassung der ersten vier Jahre französischer Revolutionsgeschichte, zu der noch die Würdigung plus O-Tönen des schillernden Helden kommt. So krankt das Stück von Anfang an einem Übermaß historischer Erblasten - nicht nur in der Musik, die Gluck zitiert und Mozart, auffahrende Machtgesten von Richard Strauss und Wagner vor allem; es tristantönt, wann immer von Liebe oder auch nur von unterschwelliger Erotik die Rede ist. Und das war bei dem Grafen häufig der Fall.

Das Werk leidet an Stoffmenge und Erzählweise des Librettos: Welch enormen Hintergrund meinte der Komponist ausformulieren und gar noch erklären zu müssen. So wirkt die Geschichtsnachhilfe denn auch recht schematisch, DDR-geprägt und penetrant im Wechsel zwischen homophoner Chordeklamation oder turbulenter Chorpolyphonie und Heldenrezitation oder Geliebtenarioso. Wenn gar die Titelpartie mit einem derart indisponierten (oder überforderten) Sänger wie Stephen Kimbrough (in Essen) besetzt ist, dann bleibt die Bewunderung für das revolutionäre Subjekt vollkommen auf der Strecke zugunsten eines Schulunterrichts, der zwischen Hilflosigkeit und Moralisieren schwankt.

In Ost-Berlin ist die strukturelle Schwäche des Stücks zunächst von einer zügigen und überzeugenden Inszenierung überdeckt: vor einem klassizistischen Reiterstandbild (das beim Sturm auf die Bastille zerbirst), agieren die in Aufruhr geratenden Massen in einem großen freien Raum, der nur von ein paar (Grab)platten Zäsuren erfährt und gelegentlich noch von der schrägen Tribüne des Königs verstellt wird. Den Vater, der dem Comte erscheint wie der Komtur dem Don Giovanni, stellt der Regisseur Erhard Fischer an einen Neonpfahl. Die Erhebung des verstorbenen Helden in den Pantheon versinnbildlicht der Bühnenbildner Peter Heilein in einen appolinischen Halbrelief an klassizistischer Tempelfassade, umrahmt von einer Neonraute, die unersättliche Lebensgier in Form eines Cembalos. Das geht in einen immer länger sich hinstreckenden Laufsteg über, auf dem sich die Frauenerinnerungen an frühere Vergnügen nähern. (Ein Zitat auch das: Der nicht enden wollende Tisch mit Appetitlichem ist fast schon ein Topos der leicht ironisch gebrochenen opulenten Opernausstattungen.) Aber alle Ausstattungsraffinessen können die fatalen Botschaften des zweiten Finales nicht überdecken: Da wird Robbespierre als ein von quasi religiösem Wahn befallender Amokläufer dargestellt - und das Volk lechzt nach immer neuen Führern bis Napoleon erscheint und mit einer wenig überzeugenden musikalischen Wendung den letzten Matthus-Zweizeiler deklamiert: „Das Blatt hat sich gewendet. Die Französische Revolution ist beendet!“

Die Musik, schon zuvor streckenweise sehr eilfertig und grob plakativ, muß in zehn Minuten noch sieben Jahre weltbewegender Geschichte begleiten, illustrieren, ausleuchten. Das hat wohl auch einen so versierten Kunsthandwerker wie Siegfried Matthus überfordert. Ohnedies ist das Gesamtkunstwerk seine Sache nicht. Er sollte beim Komponieren bleiben.

„Die Gattung Oper ist nicht zwangsläufig unaktuell“, meinte Matthus in einem Beitrag für die 'Wochenpost‘. „Ich denke, mein Mirabeau ist ein gegenwärtiges Stück.“ Wenn dem so wäre: Warum haben dann die anderswo geäußerten Gedanken über Revolution und Reform, Gorbatschow und die Helden großer Dimension nicht Eingang in das Werk gefunden? Warum nur blieb es so reflexionslos an den Geschichtsdarstellungen hängen und vertraute nicht mehr auf die Möglichkeiten von Oper, die sich ja in der Parkszene (Mirabeau begegnet Marie -Antoinette) und beim Zug der hungernden Frauen nach Versailles brillant anküdigte? Auch wenn der Held so überzeugend gesungen und gespielt wird wie von Jürgen Freier (in Berlin): Läßt sich mit Triumph und Tod des Helden heute, nach aller geschichtlichen Erfahrung, so ungebrochen und naiv verfahren.

Ein Teil des Publikums dankt es dem Komponisten - auch daß er so hörbar für Sänger schreibt (in einem für viele westliche Ohren sehr altmodischen Sinn). Da es nun ein deutsches Lehrstück zum erborgten Jubiläum hat sein müssen: Warum bediente es sich nicht wenigstens der entwickeltsten Lehrmittel? Die Graf-Mirabeau-Oper ist dem Anspruch auf Aktualität nicht gerecht geworden und am Übergewicht ihres Themas gescheitert.

Warum freilich sollte ein Kunstwerk gelingen, gar noch in geschlossener Form, wenn die Sache, der er sich verschrieb, Torso blieb? Die Berliner Inszenierung zeigt sich geschickt aus der Affäre: Zum Schluß fiel, wie Deus ex machina, die Erklärung der Menschenrechte im Originalwortlaut von Bühnenhimmel; ein rascher Vorhang mit jenen Sätzen, die nach dem allgemeinsten Einverständnis das „Vermächtnis“ der ersten Französischen Revolution sind - und deren maßgeblicher Mitautor Gabriel Graf Mirabeau war.

Im Westen wirkte die neue Matthus-Oper wie ein Nachzügler aus dem Geiste Verdis - nur eben dramatisch nicht so intensiv, weil die Konzentration auf die tragikomische Figur nicht gelang und selbst modernisierter Verdi heute nichts als historisch ist. In der DDR, wo ja auch darüber nachgedacht wird, wie man sich und die Dinge umwälzen könnte, mag Graf Mirabeau einen anderen, über das Theater hinausreichenden Stellenwert haben - auch das gab es verschiedentlich in der Operngeschichte. So wie sich die Männer der jungen französischen Republik mit römischen Titeln, Vereinsformen, Kostümen schmückten und dem Volk die phrygische Mütze verordneten, so mögen die Entlehnungen der Opernbühne bei der Revolutionsgeschichtsschreibung und ihren Stereotypen dazu dienen, „in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen“ (Karl Marx: Der 18.Brumaire).

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