Bluefields hat seine Schulen wieder

■ Die taz-Hilfsaktion nach dem Hurrikan in Nicaragua ist erfolgreich beendet... und geht doch noch weiter

Die LeserInnen hatten 600.000 Mark gespendet, und die taz hatte ihn überredet, für vier Wochen nach Nicaragua zu fliegen: Tonio Milone, langjähriger tazler mit langjähriger Nicaraguaerfahrung, sollte den Wiederaufbau von 36 durch den Hurrikan im letzten Oktober zerstörten Klassenzimmern organisieren. Aus den vier Wochen wurden sechs Monate, aus den 36 Klassenzimmern wurden 90, und von der Hafenstadt Bluefields verlagerte sich das Projekt auf die Dörfer an der südlichen Karibikküste Nicaraguas. Ob Nägel, Zinkbleche oder Scharniere - alles mußte aus Managua erst per Lastwagen, dann per Lastkahn nach Bluefields transportiert werden. Und von dort die kleinen Flüsse hinauf mit einem kleinen Boot. 18 Schulen stehen und sind eingerichtet und noch immer ist Geld übrig. Wir haben beschlossen, damit den Neubau einer Sekundarschule auf der Karibikinsel Corn Island, 80 Kilometer vor Bluefields, zu unterstützen. Unseren LeserInnen danken wir noch einmal für ihre Spendenfreudigkeit, Tonio Milone schulden wir Anerkennung für seinen unermüdlichen Einsatz, und unserem neuen Projektkoordinator Robin Schneider wünschen wir ebensoviel Erfolg wie ihm.mr

Aus dem Lautsprecherwagen des Karnevalzuges tönt der alte Jimmy Cliff: „You can get it if you really want, you just try, try and try, you succeed at once.“ Junge Schwarze, in bunten Glitzerkostümen oder in Shorts, tanzen in einem Zug durch die Straßen, der sich durch die Stadtteile schlängelt. Einige der Trommler und Schlagzeuger, die den Rhythmus schlagen, tragen modernste Sonnenbrillen, die Haare kurz, andere langgedrehte Rastalocken und bunte Wollmützen. Bluefields feiert sein „Mayo Ya“, das traditionelle Fest um den Palo de Mayo (den Maibaum) herum, eine Mischung aus anglikanischem Maifest und afrikanischem Begrüßungsritus für den ersten Regen und die Zeit der Fruchtbarkeit.

Viele Nicaraguaner von der Pazifikküste finden diesen Tanz, den Palo de Mayo, obszön - die Bewegungen sind in der Tat eindeutig. Doch hier an der Atlantikküste, wo Schwarze, Miskito- und Rama-Indianer, Chinesen und Mestizen ein buntes Völkergemisch bilden, gelten eben die ästhetischen Normen und die moralischen Maßstäbe der Karibik. Im vergangenen Oktober zerstörte ein verheerender Hurrikan die Hafenstadt, trug Dächer ab und Wände davon, entwurzelte Palmen. Nur der Palo de Mayo scheint dem Wirbelsturm widerstanden zu haben.

Die Bilder vom zerstörten Bluefields gingen um die Welt, viele Hilfsgelder sind seitdem in die Stadt geflossen. Doch in den umliegenden Gemeinden, die nicht weniger zerstört sind, ist kaum etwas angekommen. Schon der Transport dorthin bereitet nämlich Probleme. Kukra Hill, Pearl Lagoon, Orinoco, Raiti Pura, Marshall Point und Haulover, wo mit Spendengeldern von taz-Lesern die Schulen wiederaufgebaut wurden, sind nur in Booten über Lagunen und Flußarme zu erreichen. Die Fahrt nach Orinoco etwa dauert vier Stunden. Wohlgemerkt im Schnellboot - im Einbaum, einem der gebräuchlichsten Fortbewegungsmittel der Einheimischen, sind das Tagesreisen.

Das Boot zischt an Ufern vorbei, die immer noch gespenstisch wirken: blattlose Bäume, Palmen ohne Wipfel, schwarze Holzstümpfe mit bizarren Armen. Der Hurrikan hat nicht nur zerstörte Häuser hinterlassen, sondern auch ein ökologisches Desaster. Wo früher dichter Dschungel mit seiner reichen Tier- und Pflanzenvielfalt wucherte, gähnt düstere Leere. Nicaraguanische Ökologen sind der Meinung, daß sich dieser Urwald erst in fünfzehn Jahren von den Schäden wieder erholt haben wird.

In Kukra Hill - hier ist der Bürgermeister chinesischer Abstammung - wird gefeiert: Die zwei neuen Schulen werden eingeweiht. Die Musikgruppe „Los Inspiradores“ singt Lieder

-über die Liebste, die mit einem anderen abgehauen ist und deshalb wahrscheinlich nie glücklich wird, über den Stolz, Kooperativbauer zu sein, zum produktiven Reichtum des Landes beizutragen und die Revolution zu unterstützen. Sie spielen auf Gitarren, die ihnen ausländische Besucher hinterlassen haben. Getextet und komponiert haben die musizierenden Bauern ihre Lieder selber - nach der täglichen Feldarbeit. Das Engagement dieser Leute mit ihren von Sonne und Wind verwitterten Gesichtern rührt an.

Ein kleiner Junge trägt ein Lied von Simon&Garfunkel vor. Luciano Garcia, der junge Verantwortliche für die Schulbauten, liest eine minutiöse Liste vor: verbrauchte Nägel, Wellbleche, Holzbretter, soundso viel Kilo Farbe. Dann bedanken sich William Schwarz, der Sekretär des regionalen Komitees der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), und die anderen Repräsentanten bei den LeserInnen, die gespendet haben, und bei taz-Vertreter Tonio Milone, der mit den Einheimischen ein halbes Jahr viele tägliche Schwierigkeiten teilte. Und an die Adresse der Kinder ergeht noch eine Mahnung: „Ihr habt jetzt die Verantwortung, diese Schulen gut zu pflegen. Wenn die ausländischen Companeros wiederkommen, sollen sie die Schulen so vorfinden, wie sie sie übergeben haben. Keine Schmierereien an den Wänden, hört ihr?!“

In Pearl Lagoon, der Nachbargemeinde, ist die Mehrheit der Bevölkerung schwarz, der Einfluß der englischen Kolonialherren unübersehbar. Typisch ist der grüne, englische Rasen, der sich wie ein Teppich über den ganzen Ort ausbreitet und dem Dorf eine heitere Friedfertigkeit verleiht. Hier sind die wiederaufgebauten Schulen schon seit einiger Zeit in Benutzung, und die Kinder haben gerade Unterricht. Die Direktorin wird über den Besuch informiert und schnell eine kleine Veranstaltung organisiert. Die Kinder und Lehrer sickern aus den Klassenzimmern heraus und stellen sich an der Wand entlang auf. Eine ältere Lehrerin beginnt die nicaraguanische Nationalhymne anzustimmen. Auch hier wieder Dankesworte, diesmal von Noel Acosta, dem Vertreter des Erziehungsministeriums in Bluefields, in spanisch. In Pearl Lagoon wird jedoch ein stark karibisch gefärbtes Englisch gesprochen, und die Direktorin, selbstverständlich zweisprachig, hätte gern etwas Englisches gehört. Aber Noel hat, ebenso wie die meisten anderen Repräsentanten der Regierung, die nach Bluefields kamen, nie englisch gelernt. Dafür kann er aber etwas deutsch und die taz lesen, die, über die Spenden ihrer engagierten Leserschaft, hier überall bekannt geworden ist.

Auf dem Weg nach Orinoco öffnet sich eine Bucht zum Meer, und wir peitschen über die Wellen hinweg, jede Welle wie ein harter Steinhuppel, den man mit einem Schlag überquert. Orinoco ist ein eigenartiger Ort. Hier hat sich ein Teil der Schwarzen, deren Vorfahren einst von den Engländern als Sklaven hierher verschleppt worden waren, das Garifuna bewahrt, eine Sprache mit afrikanischen Ursprüngen. Aber das ist nicht das einzige. Auch das Dorf gleicht, was die Anordnung und Bauart der Holzhütten betrifft, einem dörflichen Anwesen in Afrika.

Von seinen 800 Einwohnern besuchen 250 die Schule. Allerdings beherrschen von den jungen Leuten nur noch vier das Garifuna - von den Alten sind es immerhin noch 24. In Honduras, erzählt Victor Gonzalez, der örtliche FSLN-Chef, gebe es verschiedene Garifuna sprechende Gemeinden, wo selbst der Unterricht in Garifuna erteilt werde.

Auch die Schulen von Marshall Point, Raiti Pura und Haulover sind nur auf dem Wasserweg zu erreichen. In Marshall Point, idyllisch am Palmenstrand gelegen, sind die Klassenzimmer noch nicht ganz fertiggebaut: Schon seit Wochen fehlt der Zement, um die Wände zu verputzen. Gekauft ist er schon längst, er muß nur noch verschifft werden.

Mit dem Schnellboot geht es zurück nach Pearl Lagoon, wo jetzt auch der „Leader“ der Gemeinde, Noel Campbell, ein Schwarzer, die „Schuldelegation“ begrüßt. Über die monatelange Zusammenarbeit haben sich zwischen den verschiedenen „Schulbaubeauftragten“ und dem taz-Vertreter nicht nur sachliche Auseinandersetzungen, sondern auch menschliche Beziehungen entwickelt. Viele drücken die Hoffnung aus, daß Tonio einmal wiederkommt.

Eva von Hase-Mihalik