: „Die Chop-Suey-Gang“ - Tatort Bremen, 9.Teil
■ Der taz-Sommerkrimi in 32 Folgen / Aus einem Roman von Jürgen Alberts
Hier
bitte
das
Pictogramm
Joe Davids wurde von einem BMW überholt. Er hatte gerade seine nächtliche Radtour durch den Bürgerpark beendet, knapp zehn Kilometer zeigte sein Zähler an, er hatte stark geschwitzt.
Den ganzen Tag hatte er versucht, sich auf den Fall Scholz zu konzentrieren, aber ihm war Xiao Chens Verschwinden nicht aus dem Kopf gegangen. Immer wieder rief er im „Peking“ an, bei ihm zu Hause, zweimal war er persönlich dort gewesen. Er hatte nichts entdecken können. Im Lokal sagte man nur: „Chef unterwegs.“
Die Männer im BMW, die ihn am Stern überholten, waren Chinesen. Davids trat in die Pedale, die Normaluhr zeigte 23 Minuten nach Mitternacht.
Die Fahrt ging am Bahnhof entlang. Davids mußte sich anstrengen, aber er war gut im Training; solange sie im Stadtgebiet fahren würden, konnten sie ihn nicht abhängen.
Aber dann merkte er, daß der BMW, als er am Hauptbahnhof vorbeigefahren war, schneller wurde. Die Ampel sprang auf rot, der Wagen sauste weiter. Joe Davids sah keine andere Möglichkeit, als eine Verkehrsübertretung zu begehen. Hoffentlich war keine Streife unterwegs.
Die Verfolgungsjagd wurde fortgesetzt über den Herdentorsteinweg, dann war der BMW verschwunden. Mit einem Mal.
Davids hatte nach unten geschaut und verpaßt, in welche Richtung sie abgebogen waren. Inzwischen gab es für ihn keinen Zweifel mehr, daß es sich um die drei Chinesen handelte, die von Xiao Chen das Schutzgeld erpreßt hatten.
Davids fuhr nach rechts, die Bahnhofstraße runter. Steuerte einfach das nächstgelegene China-Restaurant an.
Saß sein Freund in diesem Wagen? Wurde er festgehalten? Hatten sie ihn sich geschnappt? Die Gedanken überschlugen sich. Davids strampelte. Zehnter Gang, die Muskeln an den Beinen straff angespannt. Wie ein Tourenfahrer kam er sich vor. Sein Outfit war zwar noch nicht ganz vollkommen, weil ihm der richtige, stromlinienförmige Anzug fehlte, aber eine Mütze von dem französischen Rennen trug er schon. Blau-weiß -rot, Tour de France, ein blauer Eiffelturm und ein roter Radler.
Der BMW stand vor dem „Mandarin“. Zufall dachte Davids, er strahlte. Sein Atem ging schnell, mit dem ledernen Handschuh wischte er sich den Schweiß weg.
Vielleicht ist es besser, wenn ich mich an die nächste Straßenecke stelle, dachte er und hob den rechten Zeigefinger, als wolle er die Windrichtung prüfen. Er benutzte immer diese Antenne, wenn er irgendwas einschätzen
wollte.
Diesmal ging es um die Fahrtrichtung des BMW. Wenn er richtig lag, dann konnte er sich so einen Vorsprung verschaffen. Davids schob das Fahrrad fünfzig Meter weiter. Er hatte wieder Glück.
Die Männer kamen aus dem „Mandarin“, stiegen gelassen in den Wagen und fuhren davon. Nicht einmal schnell.
Joe Davids folgte ihnen. Das konnte eine lange Nacht werden, wenn sie alle China-Restaurants abklapperten. Fahrrad gegen BMW. Davids als Verfolger. Er fühlte sich gut.
Die kommen nie drauf, daß ich hinter ihnen her bin, dachte er. Wer verfolgt schon die Bewegungen eines Radfahrers im Rückspiegel.
Xiao Chen war nicht dabeigewesen. Durch die Entfernung hatte er die Gesichter nicht erkennen können. Nur, daß die drei dunkle Anzüge trugen, Schlipse, Hüte. Wie drei Beerdigungsunternehmer.
Während er dem BMW folgte, überlegte Davids, was er sagen
würde, wenn sie ihn doch entdeckten. Aber war ein Radfahrer überhaupt auffällig? In dieser Stadt gab es so viele Radfahrer, selbst nachts waren einige von ihnen unterwegs. Und jemand, der trainierte, in kurzen Hosen, Tour-Mütze, durchlöcherten Handschuhen, der sah nicht aus wie von einer staatlichen Verfolgungsbehörde. Insofern trug er Tarnung.
Im hinteren Schwachhausen verließ einer der drei Männer den Wagen. Er hatte bisher am Steuer gesessen, betrat ein Wohnhaus und verschwand. Der BMW startete durch.
Davids strampelte. Nach kurzer Zeit brach er das Rennen ab. Auf der Parkallee erreichte der BMW schon hundert Stundenkilometer. Davids hatte sich gemerkt, in welches Haus der Chinese gegangen war.
Fuhr zurück. Stellte sein Fahrrad an den Baum. Wartete. Feine Gegend hier. Manche nannten es Schwachsinns-Hausen, andere wieder zogen den vornehmen Stadtteil allen anderen vor. Die Nachbarn hatten oft die Eigen
schaft, sich gegenseitig zu übersehen und dabei genau zu kontrollieren.
Im zweiten Stock brannte Licht. Sonst war das Haus dunkel. Joe Davids schlich näher heran. Er konnte den Mann am Eisschrank erkennen. Immer noch den Hut auf dem Kopf. Im Schattenriß. Auch so war vom Gesicht nicht viel zu sehen.
Die Vorgartentür quietschte ein wenig. Davids erstarrte. Dann mußte er lächeln. Wer sollte wohl einem Radfahrer den Zutritt verwehren? Er ging die sechs Treppenstufen hoch. Die Turnschuhe machten kein Geräusch.
„Ah San Chan“ stand an der Klingel. Davids suchte nach einer Eselsbrücke, um sich den Namen zu merken. Das beleuchtete Schildchen am Türrahmen.
Er blieb noch zehn Minuten vor dem Haus stehen, dann schwang er sich auf sein Rad.
„Ach sei schön“, sagte er immer wieder halblaut vor sich hin.
Vielleicht war Xiao Chen jetzt im „Peking“ anzutreffen. Manchmal hatte er so lange geöffnet.
Fortstzung folgt morgen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen