: Stalin im Winkel der Seele getroffen
■ Kommunisten-Streit über Psychoanalyse / Bremer Professor überwirft sich Freud zu Ehren mit Bundes-Ideologie-Parteivorsteher
Der Bremer Professor Dr. Wolfgang Jantzen ist im Grunde ein freundlicher, menschenfreundlicher Mann. Mit tiefliegenden Studieraugen im hageren Gesicht, einem harzigen Dauervibrato in der irgendwie ständig grundsätzlich ums Humane besorgten Stimme, vergrauten Haaren über der vergrübelgefalteten Nachdenkerstirn. Von weitem ist dem Professor kein böses Wort zuzutrauen. Und eigentlich auch nicht von nahem. Denn Jantzens Wissenschaft ist eine von Menschen, bei denen böse Worte am allerwenigsten nützen und am allerverkehrtesten sind. Jantzen ist Professor für Behindertenpädagogik an der Bremer Universität.
Was bringt einen solchen Mann dazu, alle berufsethisch gebotene Contenance über Bord zu werfen und einen Akademiker
streit anzuzetteln, in dem es - mutatis mutandis - zugeht wie im Dorfgasthof eines bayerischen Schützenvereins, die Polemik-Fetzen nur so fliegen und sich promovierte und habilitierte Akademiker wechselsseitig als „Ignoranten“, „Opportunisten“ und - zur Zeit wohl unflätigstes Schimpfwort im realkommunistischen Diskurs - „Stalinisten“ beschimpfen? Es ist die Sorge um die Zukunft des wissenschaftlich -westdeutschen Kommunismus. Genauer: Die Sorge um ein angemessenes spätes Plätzchen der Psychoanalyse im ideologischen Inventar der DKP samt sympathisierenden KopfarbeiterInnen.
Der Streit zwischen verschämten, weil innerparteilich endlich erwischten AltstalinistInnen und ErneuererInnen unter den letzten organisierten bundesdeutschen
Kommunisten kümmert sich inzwischen nicht mehr allein ums wahltaktische Kalkül oder das Verhältnis zur besseren, realsozialistischen deutschen Hälfte DDR. Er geht ans akademisch Eingemachte. Er geht an die Seele.
Welche Rolle spielt Freud 50 Jahre nach Freud im wissenschaflichen Partei-Kommunismus a la DKP? Wenn es nach Jantzen geht, fängt er wenigstens an, überhaupt eine Rolle zu spielen. Als Lektüre, Diskussionsstoff, Denkfeld. Denn Jantzen ist nicht nur Professor der Behindertenpädagogik sondern auch Mitglied im Bremer DKP-Parteivorstand und Mitherausgeber einer Jahrbuchreihe des durchaus DKP -freundlichen Pahl Rugenstein-Verlags über „Psychopathologie und Psychotherapie“. Dessen jüngste
Ausgabe und den neuen Debattenhunger in der DKP nutzte Jantzen jetzt für eine Provokation, die exemplarisch die Heftigkeit der gegenwärtigen Flügel- und Grabenkämpfe in der DKP signalisiert. Zumal: Als Objekt seines Frontalangriffs gegen das bisherige Parteidogma, nach dem Freuds pseudowissenschaftliche Scharlatanerie im gepflegten Garten von „Diamat und Histomat“ nichts zu suchen habe, suchte sich Jantzen gleich den obersten Nestor und Gralshüter aller Kommunisten-Weisheit, den ideologischen Parteivorsteher und Chefredakteur des DKP-Theorieorgans „Marxistische Blätter“, Robert Steigerwald.
„Wir wollen Namen und Positionen nennen“, schrieb Jantzen in seinem Jahrbuch-Vorwort, „von deren Umgansgweise mit
Freud und der Psychoanalyse wir uns offen distanzieren.“ Und setzt dahinter einen einzigen Namen: Robert Steigerwald. Einen „in der Tat beschämenden Umgang“ mit Freud“ wirft Jantzen dem allgewaltifgen DKP-Ideologie-Guru vor und die Kolportage „erst im Stalinismus entstandener Vorurteilsvarianten über Freud“. In „Kammerjägermanier“ sei in der Vergangenheit und auch durch Leute wie Steiegerwald Wissenschaft betrieben worden nach dem Muster der Moskauer Schauprozesse unter Stalin, sei die Position Andersenkender „als abweichlerisch, sektiererisch, unwissenschaftlich“ denunziert worden.
So habe Steigerwald gegenüber der Psychoanalyse die „paranoide Haltung des Aufstellens von Warntafeln“ eingenommen. Jantzens Gegenvorschlag und gleichzeitig Aufgabenbeschreibung seines Buchs: „Aber wenn der Weg zum Sozialismus durch sumpfiges Gelände führt, vielleicht wären gute Landkarten eher angesagt als das Aufstellen von Warntafeln“.
Nun wäre der Pahl-Rugenstein-Verlag nicht der Pahl -Rugenstein-Verlag, wenn er solche Polemik einfach publizierte. Punkt. Statt in der Druckerei landete Jantzens Vorwort vielmehr ausgerechnet auf dem Schreibtisch von Robert Steigerwald, der den „lieben Kollegen“ vom Pahl -Rugenstein-Verlag denn auch freundlichst dankte und auf eineinhalb Schreibmaschinenseiten obendrein verkündete, was sie von den Qualitäten des Bremer Professors zu halten hätten: „Der kann nicht mal richtig Texte lesen“. Schlimmer noch: „Er fälscht Lenin“, der bekanntlich „ein sehr distanziertes Verhältnis zu Freud“ gehabt habe - womit für den Marxistenleninisten Steuigerwald schon alles notwendige über Freud gesagt zu sein scheint. Nicht aber über Wolfgang Jant
zen: Der so Steigerwald, sei wissenschaftlich dabei, „seinen Ruf zu ruinieren“ und persönlich ein Beispiel dafür „wie recht Mehring hatte, als er schrieb, der Opportunismus verderbe nicht nur den Verstand, sondern auch den Charakter“. Jantzens Buch-Versuch sei nichts weiter als „'guter‘ Stalinismus“, nämlich der Versuch, den Marximus „zur Wissenschaft von und über alles aufzublähen“. Persönlich nimmt Steigerwald sich vor, zu - z.B. per Buch -Rezension - zu zeigen, daß Jantzen „ein Scharlatan“ ist, wie Stalin ihn hätte „gut gebrauchen“ können.
In einem fünfseitigen Antwortbrief hat der als Stalinist verdächtigte Jantzen Steigerwald inzwischen seiner Achtung „als eines für die linke Bewegung wichtigen Kampfgefährten“ und „trotz aller Schärfe der Auseiandersetzung nach wie vor geschätzen Kollegen“ versichert. Mit gleichem Schreiben erhielt Steigerwald das „selbstverständliche Angebot“, ihm in der nächsten Jahrbuchausgabe „die entsprechende Seitenzahl freizuhalten, sofern Sie zu replizieren wünschen“. Allein „maßlose Arbeitsüberlastung“ habe verhindert, daß er nicht selbst auf die Idee gekommen sei, Steigerwald das steigerwald-kritische Vorwort vorab zuzusenden.
Der Pahl-Rugenstein-Verlag soll Jantzens Manuskripte in Zukunft nicht mehr dem Genossen Steigerwald vorlegen müssen. Das will Jantzen künftig selbst tun: „Wir haben gelernt und werden bei derartig krischen Publikationen in Zukuft anders verfahren.“ Gegen die „zahlreichen persönlichen Verunglimpfungen“ und die „Totschlagmanieren“, ihn als „Ignoranten“, „Scharlatan“ und Opportunisten zu verdächtigen, verwahrt sich der Bremer Professor denn allerdings doch mit „freundlichen Grüßen“.
K.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen