Der 'WAZ'-Akkumulator

■ Westfälischer Zeitungsmonopolist plant Deutschlands größtes Stadtmagazin Mit kostenloser Vierfarb-Beilage setzt die 'WAZ‘ zum Schlag gegen die Alternativpresse an

Was mit schlauen Gedanken von Hans-Magnus Enzensberger, Oskar Negt und Alexander Kluge Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre begann, darf nun fast 20 Jahre später endgültig zu Grabe getragen werden: die Alternativpresse.

Schon lange herrscht Begriffsverwirrung bei PublizistikstudentInnen, aber auch -dozentInnen, was eigentlich genau unter Alternativpresse zu verstehen ist. Diejenigen, die noch die Anfänge des ID, des Münchener Blatt oder des Kölner Volksblatt mitbekommen haben, für diese Puristen sind die Kölner Stadtrevue oder das Berliner Zitty schon längst keine Organe der Alternativpresse mehr, weil diese Blätter sich frühzeitig nicht nur an ihre Leser, sondern auch an die Werbewirtschaft verkauft haben. Zeitgeist statt Gegenöffentlichkeit

Die Tendenz zu inhaltslosen Kulturpostillen mit alternativem Touch, die sich längst weiterentwickelt hat in Richtung auf den Zeitgeist, ließ sich schon früh im Ruhrgebiet beobachten. Während die verschiedenen, durchaus gelungenen politischen Stadtzeitungen nicht über ihren Förderturmhorizont schauten, gruben ihnen zwei Blätter mit kulturell orientierter Berichterstattung schnell das Wasser ab. Marabo und Guckloch, letzteres inzwischen umbenannt in Prinz und auf bundesweitem Expansionskurs, verkauften erfolgreich ihre Leserschaft im gesamten Ruhrgebiet an die Werbekundschaft aus Platten- und Filmindustrie.

Schon lange gibt es bis auf kleine Ausnahmen (Holzwurm in Recklinghausen) keine alternative Stadtzeitung mehr im Ruhrgebiet, die Gegenöffentlichkeit herstellt. Im Herrschaftsbereich der Krake 'WAZ‘ konnten nur noch Prinz und Marabo mit ihren monatlichen Ausgaben bestehen. Immer wieder war auch gerüchteweise zu hören, daß eines der beiden Hochglanzblätter in Verkaufsverhandlungen mit der 'WAZ‘ getreten sei.

Es kam anders: Prinz lehnte sich an den Hamburger Jahreszeiten-Verlag an, der mit einer Injektion frischen Kapitals bei der Neugründung von weiteren Lokalausgaben, so in Düsseldorf und Hamburg, half. Mittelfristiges Ziel: ein Netz von Prinzen in den Ballungsräumen. Doch nun ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Der 'WAZ'-Gruppe reicht es, daß die kleinen Fische in ihrem Marktbereich wildern. Dazu ist der ganze Markt zu profitabel. Vierfarb-Akkus für den Pott

Mit der geballten Macht des markterfahrenen Medienkonzerns schlägt das Essener Unternehmen zurück. Ab dem 3. Oktober überschüttet es große Teile Nordrhein-Westfalens mit der größten Stadtzeitung, die die Republik je gesehen hat: Mehr als 1,3 Millionen Exemplare von Akku werden wöchentlich dienstags den Blättern der 'WAZ'-Gruppe als kostenloses Vierfarb-Supplement beigelegt. Von der holländischen bis zur hessischen Grenze kommt die Leserschaft von 'WAZ‘, 'Neuer Ruhr-/Rhein-Zeitung‘, 'Westfalenpost‘ und 'Westfälischer Rundschau‘ in den „Genuß“ der dritten Farbbeilage nach der Fernsehpostille BWZ (freitags) und dem Saugschwamm für Touristik-Anzeigen Freizeit & Reise (samstags).

Die Strategie der 'WAZ'-Gruppe ist dabei langfristig angelegt. Sie macht sich nämlich „ernsthafte Sorgen um die Zukunft der Zeitung“ wegen des „veränderten Medienkonsum -Verhaltens“ der jungen Generation. Mit dem neuen Magazin will die 'WAZ‘ „diese junge Zielgruppe“ der 17- bis 35jährigen besser ansprechen, „als es im Rahmen der Zeitung möglich ist“. Allerdings kommt man in Essen gar nicht erst auf den Gedanken, daß es möglicherweise auch an der für eine Zeitung dieser Größe und dieser Wirtschaftskraft katastrophal schlechten Berichterstattung liegen könnte, daß der LeserInnen-Nachwuchs ausbleibt.

Doch letztlich ist die Nachwuchsfrage für die Konzernstrategen zweitrangig. Ihnen geht es nämlich vielmehr darum, Gelder aus der Markenartikel-Werbung in die Taschen der 'WAZ'-Gruppe umzuleiten. „Außergewöhnlich wirtschaftlich: im 1.000 Auflagen-Preis weit unter allen Stadtillus und Zeitschriften für junge Leute“ wirbt die 'WAZ‘ bei den Media-Agenturen für ihr Projekt. Und noch mehr spricht für Akku: die Größe und Kompaktheit des Verbreitungsgebiets, zumindest im Kernbereich mit Deutschlands größtem Ballungsraum und 5,5 Millionen Einwohnern. Bodo Zapp und Hermann Rademacher, die sich selbst in der 'WAZ'-Mitarbeiterzeitschrift Gruppe als die „Väter von Akku feiern lassen, sehen Akku nicht als die Konkurrenz zu den Szene-Illustrierten, sondern als wirtschaftliche Alternative für unsere Inserenten“. Und damit basta!

Gemacht werden soll das Blatt von ganzen drei RedakteurInnen, davon einer Person, die ausschließlich für den Terminkalender zuständig ist „und sich dabei auf den Vorteil einer Zusammenarbeit mit 94 Lokalredaktionen unserer vier Zeitungstitel stützen“ kann. Ob diese Zuarbeit wirklich von den Außenredaktionen geleistet werden kann, darf bezweifelt werden, denn die beiden „Väter“ geben andererseits zu, daß schon heute die „Szene-Kultur (...) in dieser Form in den Tageszeitungstiteln nicht dargestellt werden kann...“ Breitseite gegen Szene-Magazine

Mit den üblichen Themen der Stadtmagazin-Szene („Stadtkultur - allerdings ohne Stadttheater“), der üblichen grafischen Aufmachung und dem üblichen Kultur-Terminkalender schießt die 'WAZ‘ eine Breitseite gegen Prinz und Marabo. Sie hat den Vorteil, daß Akku kostenlos den Tageszeitungen beiliegt und durch die wöchentliche Erscheinungsweise aktueller sein kann als die alteingesessenen Konkurrenten.

Großverleger Springer hat es seinerzeit nicht geschafft, das altehrwürdige Münchener Blatt mit einem Konkurrenzmagazin an den Kiosken vom Markt zu verdrängen. Das blieb anderen vorbehalten: dem Kleinverlag der Münchener Stadtzeitung . Auch das Konzept des Jahreszeiten-Verlages, mit Prinz-Regionalausgaben den Markt aufzurollen, verspricht gegen Tempo und Wiener eher Verluste als Erfolge.

Mit einem Szene-Magazin als kostenlosem Supplement dagegen haben die Verleger der 'WAZ‘ ein ultimatives Instrument entdeckt, kleinkapitalistischer Konkurrenz den äußerst fruchtbaren Acker abzuknöpfen, den sie urbar gemacht hat. Überrascht über diese Entwicklung dürften allenfalls diejenigen sein, die noch immer naiv und undifferenziert kommerzielle Stadtmagazine als Teil von Alternativpresse ansehen.

Jürgen Bischoff