: Menschenausstellungen
■ Fritz Mauthner (1849-1923), bekannt durch seine sprachphilosophischen Arbeiten und seine 'Geschichte des Atheismus', schrieb auch Romane, Theaterkritiken und Glossen. Der Artikel über Menschenausstellungen...
Fritz Mauthner
Menschenausstellungen gelten gerade in der besten europäischen Gesellschaft nicht für unanständig. Die schönsten und vornehmsten Damen der Hauptstädte verschmähen es nicht, sich mit ihrem kostbarsten Schmuck zu behängen und bei einer ersten Vorstellung im Theater ohne Gage mitzuspielen. Und bei einem großen öffentlichen Balle ist die Menschenausstelung mit solchen Freiheiten verbunden, daß manch ein Wilder sich über die Nachsicht der betreffenden Gatten und Väter mit Recht wundern würde.
Afrikareisende erzählen wenigstens, daß die Negerweiber um so verhüllter erscheinen, je größer die Zahl der Zuschauer ist. Bei uns gestattet die Sitte das Umgekehrte.
Es gibt auch Menschen, welche sich nicht freiwillig oder doch nicht zu ihrem Vergnügen der öffentlichen Besichtigung preisgeben, Menschen, welche eine Absonderlichkeit an sich tragen, Riesen und Zwerge, welche wie Kälber mit zwei Köpfen oder wie ungeheure Birnen von der Menge gern angegafft werden.
Solche Abnormitäten sind fast so traurig daran, wie die Hofnarren des Mittelalters. Aber sie sind doch unter uns civilisierten und humanen Europäern nicht verraten und verkauft; sie sind unter uns aufgewachsen, freilich entweder zu viel oder zu wenig, sie kennen unsre Gesetze und Sitten, sie dürfen mit ihrem Mieter einen auch für sie vorteilhaften Vertrag schließen, kurz, sie sind eben so human und civilisiert wie wir andern und verstehen es oft vortrefflich, den Kampf ums Dasein mit den gewöhnlichen Menschen auszufechten.
Seit einigen Jahren hat die fortschreitende Gründlichkeit und Güte unsres Geschlechtes eine neue Form der Menschenausstellungen erfunden. Ein weltbekannter Tierhändler hat mit seinem Geschäft in Löwen, Affen und Schlangen noch einen Nebenzweig verbunden: die Einfuhr von wilden Völkerschaften.
Eine Anzahl von Männern, Frauen und Kindern aus Feuerland, Grönland, Centralafrika oder dem fernsten Asien wird durch die europäischen Großstädte geführt und zum Beispiel zu Berlin im zoologischen Garten, genau in der Mitte zwischen den Wohnungen der reißenden Tiere und der Widerkäuer in ihrem sogenannten Urzustande gezeigt. Und niemand scheint ein Arg darin zu finden, daß in der großartigen Menagerie neben den merkwürdigsten Geschöpfen der Tierwelt, neben der rauschenden Musik, dem plätschernden Wasser und dem guten Bier auch noch fremdartig gefärbte lebendige Menschen zur Unterhaltung geboten werden. Vor hundert Jahren, als die Lehre von den allgemeinen Menschenrechten sich in der Form von Jean Jaques Rousseaus Kulturhaß zu entwickeln begann, hätte man es nicht so bald wagen dürfen, im Herzen Europas seltene Menschen neben seltenen Tieren der Schaulust preiszugeben. Damals war man geneigt, in dem nordischen Thrantrinker wie in dem südlichen Adamiten ein besseres Wesen zu erblicken, dem nachzueifern die Hauptaufgabe von Europas übertünchter Höflichkeit wäre. Heutzutage hat eine schadenfrohe oder dünkelhafte Mißgestaltung Darwinistischer Lehren die nach unsern Begriffen ungebildeten Stämme dem Tierreich nahe gerückt, und man findet es in Ordnung, wenn schwarze oder gelbe Menschenkinder zwischen Widerkäuern und Raubtieren ihren Platz finden. Die Annäherung an das Tierreich hat aber nicht etwa eine größere Liebe zu den Tieren, sondern nur eine größere Verachtung gegen die Naturmenschen zur Folge gehabt.
Unter der Weltanschauung, welche vor hundert Jahren die allgemeine war, führte die Kenntnis fremdartiger Menschen und Sitten zu einer großartigen Vorurteilslosigkeit, zu jener Unbefangenheit des Urteils, die dann in Wissenschaft und Poesie so herrliche Früchte gezeigt hat. Einer unsrer besten deutschen Schriftsteller, der leider fast gänzlich vergessene Georg Forster, hat seinen freien liebevollen Blick für die Schwächen seiner Umgebung den großen Reisen zu verdanken, die ihn in seiner Jugend die europäischen Zustände nur als eine zufällige Form menschlicher Sitten erkennen ließen.
Aber nicht jeder Bürgersmann kann eine Weltumsegelung unternehmen; da hat sich denn das Wunder ereignet, daß die Berge wirklich zu Mahomet kamen, weil Mahomet nicht zu allen Bergen reisen konnte.
Die Wirkung einer solchen Begegnung ist nicht immer dieselbe. Der Forscher, welcher das allgemein Menschliche auch unter den Höhlenbewohnern und unter schwarzen Fetischanbetern zu achten vermag, wird nach seiner Heimkehr vielleicht über manche Gebräuche seiner Provinz lächeln, dagegen über die verkehrten Anschauungen der angeblich Wilden nicht lachen. Die Bekanntschaft mit vielerlei exotischen Völkern wird ihn freier und gerechter machen.
Der Pariser oder Berliner jedoch, der nie ernsthaft über das Weichbild seiner Weltstadt hinausgeblickt hat, wird vor so einer Menschenausstellung nur den äußerlichen Unterschied, das Kuriose und Lächerliche wahrnehmen und so von den Fremdlingen das einzige, das sie ihn unbewußt lehren könnten, nicht lernen: Humanismus. Das Wort bedeutet nämlich: Menschlichkeit; und es gibt sehr gelehrte Herren, die sich dieser Etymologie nicht mehr erinnern.
So weit geht die Sache uns an, die Besucher der Ausstellung. Wenn wir aber den Gedanken, daß alle Menschen der übrigen Natur gegenüber ein besonderes Ganze ausmachen, nicht preisgeben wollen, müssen wir auch die Gegenstände der Ausstellung, die fernen Völkerstämme, als fühlende Geschöpfe ansehen. Es mag ja auch unter ihnen viele Dickhäuter geben, welche sich die gute Kost, die vielen Cigarren und Groschen wohl bekommen lassen und vielleicht als afrikanische und asiatische Münchhausen in ihre Heimat zurückkehren werden.
Wenn sich aber unter diesen wildfremden Menschen, deren Sprache wir nicht verstehen, auch nur eine Seele finden sollte, welche das Entsetzliche fühlt, neben dem Seelöwen und dem Rhinozeros angestaunt zu werden, dann wäre dies Grund genug, uns allen die Freude an diesen Menschen -Karawanen zu verderben.
Man wende mir nicht ein, daß es freie Wahl der einzelnen war, die dem Führer nach Europa folgten. Die Frauen und Kinder mußten ohne Zweifel einem Befehle des Hausvaters Folge leisten; aber auch der selbständig verfügende Mann bereut vielleicht irgendwo auf der Reise seinen Entschluß, und ist nun nicht mehr im stande, gegen den Willen seines Herrn zurückzukehren.
Ja, seines Herrn! Der Wilde ist unter uns schlimmer daran, als der schwarze Sklave bei seinem Besitzer. Niemand versteht seine Klage, niemand kann und will ihm helfen, wenn ihm unrecht geschieht, niemand hat ein Interesse an seinem Wohlergehen. Der ärmste Negersklave wurde von rechtswegen ein freier Mann, wenn er den Boden eines modernen Staates betrat; der ausgestellte Wilde bleibt in der Fessel, denn der fremde Staat ist unfähig, ihm zu helfen. Der Schutzmann, der Richter versteht ihn nicht; die Staatsgewalt kann ihn totschlagen, wenn er sich gegen unsre Sitten auflehnt, sie kann ihm aber nicht einmal den Begriff beibringen, daß dies eine gesetzliche Strafe sei. Und wenn man so die völlige Rechtlosigkeit dieser armen Leute überlegt, kommt man am Ende freilich zu der Überzeugung, daß unter rechtlosen Bestien ihre Stelle ist - nur daß man für die Gesundheit von fremdländischen Tieren und selbst Pflanzen gewöhnlich mehr besorgt ist.
Was uns über das traurige Bild, welches unter solchem Gesichtspunkte eine Menschenausstellung bieten muß, zu trösten vermag, das ist ein gewisser humoristischer Zug, dessen das Verhältnis zwischen uns und den Wilden nicht entbehrt. Ich habe nämlich öfter bemerkt, daß die intelligenteren „Wilden“ uns Europäer mit ebenso großem Vergnügen als Raritäten ansehen wie wir sie. Eine Katze, die schielend an ihrem Ebenbild im Spiegel vorüberfaucht, kann kein komischerer Anblick sein, als die gegenseitige Musterung zwischen Wilden und Civilisierten, wobei sich wohl beide Parteien für die besseren Menschen halten.
Besonders ein Fall ist mir in Erinnerung. Es war an einem Vormittag, die Jugend mehrerer Schulen betrachtete die Nubier. Die Schwarzen mußten vor den kleinen Mädchen ihre Tänze aufführen und dazu die beliebte Musik machen. Darauf stimmten die kleinen Mädchen zu ihrer „Erholung“ eines der patriotischsten Lieder an. Ein prächtiger Nubier nickte recht befriedigt seinen Beifall und bat die Kinder durch Zeichen, im Singen fortzufahren; und eine halbe Stunde lang sangen ihm die deutschen Kinder unsre schönsten Melodien vor, während der „Wilde“ nach dem Takte tanzte und sich freute, wie ein König, der er war. Als er müde wurde, wollte er dem begleitenden Lehrer zum Dank eine Cigarre überreichen; er war mit unsern Leistungen offenbar zufrieden.
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