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Deutsche Volksmusik auf Japanisch

■ ZDF baut Zusammenarbeit mit japanischem Fernsehen aus / Austausch von Unterhaltungsprogrammen und Nachrichtensendungen geplant / Japanisches Satelliten-TV braucht „West-Futter“

Die Japaner, so hört man oft, arbeiten am längsten, wohnen am engsten, haben die längsten Arbeitswege, sitzen am längsten in Bars und vor allem vor dem Fernseher. Und der heißt im Land der Superlative Terebi, ein japanisches Synonym des englischen Television. Das Terebi ist fast überall und jederzeit parat, von 6 Uhr morgens bis Mitternacht, auf kommerziellen Sendern meist zwei Stunden länger und auf den neuen Satelliten- und Nachrichtenkanälen sogar rund um die Uhr.

Seit mehr als 35 Jahren hat Japan ein duales Fernsehsystem, in dem der öffentlich-rechtliche Sender Nippon Hoso Kyokai (NHK) mit den inzwischen 144 kommerziellen Stationen des Landes konkurriert. Trotz der immer härter werdenden Wettbewerbsbedingungen hat NHK immer noch die meisten Zuschauer, nicht zuletzt weil er bis 1953 eine Monopolstellung innehatte und auf die sichere Einnahmequelle der Rundfunkgebühren zurückgreifen kann. NHK sendet auf seinen zwei Kanälen 250 Programmstunden die Woche und hat 1987 ein 24-Stunden-Service via Rundfunksatellit (DBS) eingerichtet.

Was das japanische Publikum an NHK am meisten schätzt, sind die ausführlichen Nachrichten- und Informationsprogramme, die gut recherchierten und interessant aufbereiteten Dokumentarserien sowie die Fernsehspiele. Da die Produktion von Fernsehserien oft für eine Anstalt zu teuer ist, hat NHK in den letzten Jahren viele international bekannte Reihen wie Die Seidenstraße, Der gelbe Fluß oder die zur Zeit im ZDF ausgestrahlte Serie Wunderbarer Planet mit Fernsehanstalten aus anderen Ländern koproduziert.

Stoltes Joint-venture-Tour

Mit seiner jüngsten Ostasienreise hat der ZDF-Intendant Dieter Stolte die Zusammenarbeit nicht nur mit NHK, sondern mit weiteren privaten Sendern ausgebaut. NHK und ZDF werden in Zukunft verstärkt in den Bereichen Programmaustausch und Satellitenfernsehen zusammenarbeiten und gemeinsame Sendungen produzieren. Der Austausch von Programmen wird sich jetzt auf die Bereiche klassische Musik, naturwissenschaftlich-technische Sendungen und Fernsehspiele ausdehnen. Seit dem Start des Satellitenfernsehens sind in Japan Musikprogramme im Digital-Stereo-Sound zu empfangen, deren Qualität mit CDs vergleichbar sind. Klassische europäische Konzerte, wie die 1985 live übertragene Verdi -Oper Aida aus der Mailänder Scala scheinen in Japan sehr beliebt zu sein. So interessiert sich der Privatsender MBS in Osaka haupsächlich für die Zusammenarbeit im Musiksektor. Ende des Jahres wird den deutschen Zuschauern ein Live-Konzert aus Osaka geboten, dafür bekommen die Japaner im nächsten Jahr deutsche Volksmusik zu sehen und zu hören.

Der Satellitenkanal von NHK bietet in erster Linie das 14stündige Nachrichtenprogramm World News, das nicht nur von fast allen großen europäischen Fernsehanstalten beliefert wird, sondern auch mit dem sowjetischen Fernsehen und den kommerziellen Agenturen zusammenarbeitet. Dank dem neuen Abkommen kommen die japanischen Zuschauer jetzt in den Genuß, auf dem Nachrichtensatellitenprogramm von NHK auch heute zu sehen. Die ausländischen Nachrichtenprogramme werden von einem Moderator präsentiert und zweisprachig, mit Untertitel oder Simultanübersetzung in Zweikanalton übertragen.

Derrick in Japan

Während ihres Japanbesuches stellte die ZDF-Delegation fest, daß im Gegensatz zu früheren Verhandlungen mittlerweile ein großes Interesse an deutschen Kriminal- und Familienserien besteht. Bis Anfang der achtziger Jahre waren noch über 90 Prozent der Programme Eigenproduktionen, die in Japan beliebter sind als die importierten Programme. Die erfolgreichste ausländische Sendung war Inspector Colombo, deren Folgen zum Teil dreimal wiederholt wurden. Ob sich die Söhne und Töchter Nippons in Zukunft über Derrick, Der Alte oder Ein Fall für Zwei erfreuen dürfen, wird im Herbst endgültig feststehen. Die entsprechenden Rahmenabkommen wurden mit NTV, einem der führenden privaten Fernsehanbieter, der mit einem japanischen Tageszeitungskonzern verbunden ist, bereits abgeschlossen. Die neueste Aufgeschlossenheit und das Interesse an deutschen Sendungen ist gewiß nicht darin begründet, daß die Serien des ZDFs in der Qualität gestiegen sind. Einerseits müssen die enormen Programmkapazitäten, die durch das Satellitenfernsehen entstanden sind, gefüllt werden und das möglichst kostengünstig, da NHK mittlerweile auch in finanzielle Bedrängnis gerät. Andererseits gewinnen die hiesigen Anstalten durch die Ankündigung des europäischen Binnenmarktes auf dem internationalen Medienmarkt an Attraktivität, da einer der größten zusammenhängenden Werbemärkte erwartet wird.

NHK als Vorbild

Trotz des rein wirtschaftlichen Hintergrundes dürfte sich die verstärkte Zusammenarbeit für das deutsche Fernsehpublikum durchaus positiv bemerkbar machen. Der öffentlich-rechtliche Sender NHK befindet sich seit Jahren in der gleichen Wettbewerbssituation wie neuerdings ARD und ZDF. Während die deutschen Sender bisher hauptsächlich mit Jammern und Wehklagen darauf reagierten und ihre Programme spürbar im Niveau herunterschraubten, hat sich NHK gerade durch seine hochwertigen Informations- und Dokumentationssendungen im Wettbewerb bewährt. Außerdem kann man hoffen, daß ein paar amerikanische Konserven den im fernen Nippon gesponnenen Intrigen, präsentiert in prächtigen Kostümen, weichen müssen.

Marina Schmidt

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