: Im Himmel wie auf Erden
■ Im Oktober werden 25 Kilo Plutonium ins All geschickt, genug, um die ganze Menschheit zu verseuchen, aber nicht der einzige Müll im All
Marc Miller
Das kalifornische „Project Censored“ gibt eine jährliche Liste der zehn skandalösesten Fälle von Mißinformation, Nachrichtenunterdrückung oder Zensur in den USA heraus.
In seiner Liste für 1988 benennt die Organisation vier von zehn Fällen als Umweltgefahren oder -skandale; an dritter Stelle der Gesamtliste steht dabei der für Oktober 1989 von der Nasa geplante Raumsonderflug „Project Galileo“. Die Sonde soll unter anderem 25 kg Plutonium mit sich führen, eine Menge, deren gleichmäßige Verteilung um den Erdball die gesamte Menschheit auslöschen kann - und wie man inzwischen weiß, sind Unfälle möglich...
Der Chefredakteur der 'Technology Review‘ (Boston), Marc Miller, beschäftigt sich in diesem Artikel mit der Tatsache, daß bereits atomgetriebene Satelliten und Versuchsstationen, radioaktiver Abfall und einige Tonnen Unfalltrümmer in verschiedenen Höhen die Erde umkreisen und stellt die Frage, warum darüber so wenig zu erfahren ist.
Im Herbst letzten Jahres verloren sowjetische Weltraumtechniker den Funkkontakt mit dem sterbenden Cosmos 1900, der mit einer Ladung von vermutlich 25 kg Uran die Erde umkreiste. Über den Zustand der Sicherheitssysteme, deren Aufgabe es war, eine Gefährdung der Erde durch Trümmer auszuschließen, ließ sich seitdem nichts mehr sagen. Während der Satellit immer kraftloser seine Kreise um die Erde zog, fragte man sich unten ängstlich, wo die radioaktive Verseuchung wohl herunterkommen würde. Bis zwei Stunden vor der Landung hätte es theoretisch überall, außer in der Nähe der Pole, passieren können.
Die Geschichte lehrt, daß genug Gründe für solche Sorge vorhanden war.
Die Vereinigten Staaten haben zwischen 1961 und 1977 23 Satelliten hochgeschossen, die ihre Stromversorgung durch radioaktives Material beziehen. Vier davon haben versagt. Als der Navigationssatellit Transit-5B-3 seine Umlaufbahn 1964 nicht erreichte, zerfiel sein Stromgenerator in der Atmosphäre und setzte 17.000 Curie des Plutoniums 238 frei. Allein durch diesen Vorfall stieg die Gesamtbelastung der Erde durch Plutonium 238 auf das Dreifache. Außerdem erhöhte sich die Gesamtzahl aller Plutonium-Isotopen, die in erster Linie aus oberirdischen Waffentests stammen, um vier Prozent.
Bei zwei weiteren bekanntgewordenen Pannen fielen wärmegetriebene RT-(radioisotop-thermoelektrische) -Generatoren in den Pazifischen Ozean. Bei einem der Unfälle waren 1968 gleich zwei dieser Generatoren abgestürzt, und man brauchte zwei Monate, bevor man sie aufgespürt hatte. Der RT-Generator, der 1970 bei einer Apollo-Mondmission herunterkam, ist nie gefunden worden. 1965 hatte bereits ein 500-Watt-„Snapshot„-Reaktor versagt, bis dahin der einzige amerikanische Reaktor im Weltraum. „In 1.250 km Höhe zieht er weiter seine Kreise und streut Trümmer unbekannter Qualität aus“, berichtet die Zeitschrift 'National Journal‘.
Auch das sowjetische Register ist furchterregend. Dem 'Journal‘ zufolge gaben „die Sowjets sechs Fehlschläge aus insgesamt 39 nuklearen Energiequellen im Weltraum seit 1965“ bekannt. Die meisten dieser Reaktoren für die Stromversorgung des sogenannten Rorsat-Programms (Radar Ocean Reconnaissance Satellite) bestimmt - für sowjetische Spionage-Satelliten also. Beim Wiedereintritt von Cosmos 954 in die Atmosphäre sind 1978 winzige Urankugeln über Kanada verstreut worden. Joseph Treen, ein engagierter Journalist, der sich ausführlich mit nuklearen Satelliten befaßt hat und über sie publiziert, berichtete, daß die Säuberungsmaßnahmen nach dem Uran-Schauer 14 Millionen Dollar kosteten, von denen die Sowjetunion nur drei Millionen übernahm. Dieser Vorfall führte zum Vorschlag des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, Atomreaktoren in der Umlaufbahn zu verbieten; die Idee wurde allerdings nicht aufgegriffen. Der Cosmos -Unfall führte schließlich auch dazu, daß die Sowjets in den Cosmos 1900 gleich drei angeblich absolut zuverlässige Sicherheitssysteme eingebaut hatten. Nur eines davon hat zuletzt funktioniert - zwei Wochen vor dem errechneten Aufprall auf der Erde.
Dem amerikanischen Wissenschaftlerverein FAS (Federation of American Scientists) zufolge „erlitten etwa zehn bis zwanzig Prozent aller Missionen (die nukleare Energie im Weltraum plazieren) Pannen oder Unfälle aller Art“. Da man kaum etwas darüber weiß, wie Radioaktivität im Weltraum wirkt, sind diese Pannen natürlich besonders bedenklich.
Nur wenige Ereignisse dieser Art sind öffentlich so eingehend diskutiert worden, gewöhnlich ist die militärische Atomenergienutzung unter einem dichten Schleier der Geheimhaltung verborgen - aus Gründen der „nationalen Sicherheit“. Das Ergebnis ist, im Himmel wie auf Erden, radioaktive Verseuchung.
Ausführlicher dokumentiert sind die Atomunfälle auf der Erde. Ein versteckter Grund für den Mangel an automatischen Sicherheitssystemen im Tschernobyl-Reaktor ist die Tatsache, daß er älteren Mustern nachgebaut wurde, deren Aufgabe war, ohne Rücksicht auf Umwelt und Mensch so schnell wie möglich Bombenmaterial zu produzieren. Und gewiß haben eingefleischte sowjetische Politbürokraten vor 1986 keinerlei Sympathie gehabt für Warnungen, daß gefährliche Baufehler existieren. Unter den wenigen, die erfolglos versucht hatten, angehört zu werden, war auch Walerij Legassow; der Atomwissenschaftler leitete die Untersuchung nach der Katastrophe bis zu seinem Freitod im letzten Jahr.1
Die Landkarte der USA ist übersät mit großen Mengen radioaktiven Mülls - Abfall aus der Atomwaffenproduktion. In einem Artikel für die 'Technology Review‘ schrieben die Autoren Robert Alvarez und Arjun Makhijani: „Das Energie -Ministerium betreibt diese Anlagen unter völliger Geheimhaltung, ohne die geringste Kontrolle durch den Kongreß oder irgendwelche Umwelt-Institutionen.“ Im gleichen Heft der Zeitschrift kommt auch John Ahearne zu Wort, Vorsitzender des „Beratenden Komitees für die Sicherheit nuklearer Anlagen“, das das Ministerium erst im letzten Jahr einsetzte. „Ein Schleier der Geheimhaltung umgibt das Waffenprogramm“, so Ahearne. Er verhindert, daß das Ministerium die Verwirklichung der Verbesserungen überprüfen könnte, die von kommerziellen Kraftwerken nach dem Unglück von Three Miles Island eingehalten werden müssen. Ahearne betont, daß „keine Gruppe oder Körperschaft die Praktiken des Energieministeriums kontrolliert, weder innerhalb des Ministeriums noch außerhalb“.
Es wird geschätzt, daß zur Zeit 50 radioaktive Satelliten den Erdball umkreisen, und für beide Supermächte gilt, daß der Mangel an öffentlicher Kontrolle wesentlicher Bestandteil der nuklearen Verseuchung des Weltraums ist. Beispielsweise berichtete die Industriezeitschrift 'Aviation Week and Space Technology‘ im Herbst 1988, daß „die Regierung der Vereinigten Staaten eine Studie über die möglichen Konsequenzen von Raumfahrtprojekten mit nuklearer Energie für die öffentliche Gesundheit“ in Auftrag gegeben hat. So weit so gut. Allerdings wurden die Ergebnisse der Studie anschließend zur Geheimsache erklärt, mit der Begründung, daß ihre Veröffentlichung „nationale Sicherheitsinteressen“ verletzen könnten.
Auch bei den sowjetischen Behörden ist es mit der Öffnung noch nicht so weit her - trotz Perestroika und der offenkundigen Bereitschaft, Einzelheiten zum Unfall in Tschernobyl zu veröffentlichen. Die 'New York Times‘ und andere Zeitungen berichteten kürzlich, daß Gammastrahlen, die von unabgeschirmten Atomreaktoren der Sowjets im Weltraum ausgingen, US-amerikanische und japanische Versuchsreihen zum Studium der Sonne und einiger Sterne empfindlich störten. Und diese Gefahr wächst. Arthur Reetz, ein erfahrener Nasa-Wissenschaftler, sagt der 'New York Times‘: „Früher gab es höchstens zwei drei solcher Störungen pro Tag. Heute sind es zehn oder mehr.“ Inzwischen gefährden diese Emissionen das für 1990 geplante Gammastrahlen -Observatorium, ein 500 Millionen-Dollar-Projekt.
Der 'New York Times‘ zufolge haben sojwetische Verantwortliche jeden Kommentar verweigert. Und auch ansonsten kooperative sowjetische Wissenschaftler, die vor kurzem die USA besuchten, weigerten sich, über die radioaktive Strahlung von unabgeschirmten Rorsat-Reaktoren zu sprechen. Woher die Beharrlichkeit des sowjetischen Schweigens in diesem Fall? Weil es bei diesen Reaktoren um die Stromerzeugung für militärische Satelliten geht - und zwar für Spionagesatelliten, deren Aufmerksamkeit der amerikanischen Kriegsmarine gilt. Symptomatisch für die Verschleierungstaktiken sind die unklaren Formulierungen, die selbst die verläßlichsten Berichte über radioaktives Material im Weltraum kennzeichnet. Steven Aftergood beispielsweise, Direktor der Organisation „Bridge the Gap“, die gegen die Nuklearisierung des Weltraums arbeitet, weiß über das sowjetische Programm alles, was man im Westen darüber überhaupt wissen kann. Dennoch gebraucht auch er, wenn er über sowjetische Satellit-Reaktoren schreibt, Formulierungen wie diese: „Der Topaz-Reaktor ist offenbar immer noch im Gebrauch innerhalb des Rorsat -Programms. Die vermutliche Leistung des Topaz beläuft sich auf zehn kW...“ (Hervorhebungen von mir, M.M.). Um es vorsichtig auszudrücken: Seine Schlußfolgerungen, daß „Einzelheiten über das sowjetische Atomenergie-Programm im Weltraum in der Öffentlichkeit spärlich und oft widersprüchlich sind“, scheinen gerechtfertigt.
Geheimhaltung ist natürlich kein sowjetisches Monopol. Zwei US-amerikanische RT-Generatoren, die vor 1977 gestartet wurden, sind bis heute im All. 35.000 Kilometer oberhalb der Erdoberfläche ziehen sie ihre Kreise und dienen einer geheimen Überwachungsaufgabe. Und in einer Fußnote (weil die Information nicht verifizierbar ist) zitiert Aftergood einen anderen Autoren - der wiederum einen anonym bleibenden Informanten zitiert - mit der Information, daß RT -Generatoren auch einige US-amerikanische Militär-Satelliten mit Strom versorgen. 60.000 Schrott-Teile
Eine weitere, vom Militär verursachte Katastrophe droht und verstärkt noch die Umweltgefahren, die durch radioaktive Satelliten im All gegeben sind: die etwa 60.000 Schrott -Teile, die um die Erde kreisen. Ein großer Teil dieses Schrotts besteht aus toten Satelliten, Triebwerken, Satellit -Schilden, Explosions-Partikeln und direkten Abfällen. Aber ein nicht geringer Anteil des auf engeren Umlaufbahnen zirkulierenden Schrotts - dort, wo die Rorsats arbeiten stammen aus sowjetischen Killersatelliten-Testprogrammen zwischen 1968 und 1972 (Asat).
Seit 1976 haben die Sowjets ihre Asat-Tests auf entferntere Umlaufbahnen verlegt, aber auch das hat, wie Nicholas Johnson von der Teledyne-Brown-Engineering-Gesellschaft feststellt, seine eigenen Risiken. Um zu verhindern, daß tote Rorsats wieder in die Atmosphäre eintreten, wollen die Sowjets sie in eine 950 km hohe Lagerungs-Umlaufbahn schießen. Dieses Gebiet ist allerdings schon das am dichtesten „bevölkerte“ des Weltraums. Wie Joel Primack, Physiker an der kalifornischen Santa-Cruz-Universität, feststellt: „Über eine Tonne nicht mehr arbeitender, aber immer noch radioaktiv strahlender Reaktoren umkreisen die Erde“ auf dieser Höhe. (Der erste Sicherungsmechanismus von Cosmos 1900 hätte den Satelliten in eine höhere Umlaufbahn katapultiert; das wurde durch den Verlust des Funkkontakts mit der Bodenkontrolle unmöglich.)
Die Nasa, das Verteidigungsministerium und andere Agenturen sind über diese Vermehrung der nicht-atomaren Verschmutzung des Weltraums besorgt, da sie die Space-Shuttle-Flüge und andere zukünftige Programme gefährden. 1983 wurde ein Fenster des Space-Shuttle bereits durch ein solches Schrott -Teil, das mit einer Geschwindigkeit von acht Kilometern pro Sekunde um die Welt rast, demoliert. Der Nasa-Experte Don Kessler glaubt, daß ein solches Teil auch die Explosion von Cosmos 1823 verursacht hat; glücklicherweise war kein radioaktives Material hieran beteiligt.
Im Laufe des letzten Jahres führte die Bedrohung ziviler und militärischer Raumfahrtprogramme dazu, daß der Nationale Sicherheitsrat eine Studie über den Weltraummüll in Auftrag gab. Sein Bericht wurde im April 1989 veröffentlicht; jedoch ist es ein schlechtes Zeichen für das allgemeine Bewußtsein in dieser Sache, daß diese Agentur, die durch notorische Geheimhaltungssucht gekennzeichnet ist, gleichzeitig die Organisation ist, die alle Weltraumnutzer koordiniert... So schlimm wie die radioaktive Verseuchung des Weltraums bereits ist - es besteht die Gefahr, daß sie noch viel schwerwiegender werden kann. Die Direktoren des Programms zur Nuklearpolitik an der Universität Santa-Cruz, Primack und Hirsch, teilten im Januar vor der amerikanschen Vereinigung zur Wirtschaftsförderung AAAS mit, es habe „in den letzten Tagen Enthüllungen gegeben, die von einem Testprogramm einer neuen Generation sowjetischer Topaz -Reaktoren“ sprächen. Man muß befürchten, daß die USA dies zum Nachziehen motiviert, so daß sie ihre eigenen Reaktoren ins All schießen werden. Aber selbst, wenn man dieses mögliche Alibi beiseite läßt, so die zwei kalifornischen Wissenschaftler, bleibt die Tatsache, daß das US -amerikanische Energieministerium „bereits vor mehreren Wochen“ seine Absicht bekanntgegeben hat, einen Prototyp des SP-100-Weltraumreaktors für Bodentests zu bauen, und zwar ohne sich um eine Stellungnahme über mögliche Umweltfolgen zu bemühen.
In beiden Berichten begegnet man wiederum dem Muster der Geheimhaltung und Unbestimmtheit. Zu den „Anzeichen“, daß die Sowjets eine neue Generation von Rorsats bauen, bemerkt Aftergood, daß „Berichte in den späten siebziger Jahren über die verbesserte Stromerzeugungsleistung von 500 Kilowatt durch die Topaz-Reaktoren von geringem Wert waren“. Im Westen geht der Druck zu mehr Weltraumreaktoren vom Militär aus. Eine Studie des US-amerikanischen Nationalen Forschungsrats NRC über „Verbesserte Energiequellen für Weltraumaufgaben“ kommt zu dem Ergebnis, daß Atomkraft auch zu Weltraum-Routinearbeiten wie etwa Mondstationen herangezogen werden könnte. Vor allem ist aber klar, daß die Strategic Defence Initiative - Starwars - definitiv mit nuklearen Reaktoren arbeiten müßte. Genau dies sei es, was das Pentagon in die etwas merkwürdige Lage versetzt, die sowjetischen Reaktoren gegen Kritik aus dem Kongreß zu verteidigen, so behauptet Treen, und zwar obwohl sie zur Bespitzelung gegen die US-Kriegsmarine dienen.
Es ist bezeichnend genug, daß die Studie des Forschungsrats einem sehr engen Zeitplan folgte, in dem die Untersuchung der Umweltgefahren von atomgetriebenen Raumfahrtflügen keinen Platz mehr fand. Dennoch wurde in ihr immerhin auf Risiken für das System selbst hingewiesen, wenn auch ohne Bezug auf weitergehende Folgen. Nach dem Bericht sind einige der Energiesysteme, die zur Untersuchung anstanden, „womöglich nicht praktikabel, falls sie größere Mengen von Emissionen aufweisen“. Auch notiert der Bericht, daß chemische Laser vorgeschlagen worden seien, „obwohl man noch wenig weiß über mögliche Entwicklungen von strömenden Gaswolken in bezug auf Ausdehnung, Verteilung, Ionisierung, Reizabgabe und -aufnahme, radioaktive Emission oder Interaktion mit Oberflächen, Hintergrundumwelt, Sensoren und Rüstungssystemen“.
Die Vereinigten Staaten bauen den SP-100-Reaktor (Leistung: 100 kW), der mit 150 kg Uran als Brennelement ausgestattet ist, gezielt für die Stromversorgung der Starwar-Systeme. General Electric ist dabei, einen Prototypen zu entwickeln, der Mitte der neunziger Jahre seinen ersten Testflug machen soll. Außerdem untersucht man die Möglichkeiten für Multi -Megawatt-Reaktoren im Weltraum. Und da noch keine andere US -Behörde Bedarf angemeldet hat für im Weltraum stationierte Kraftwerke, ist SDI wohl der einzige Kunde. (Ironischerweise hatten die USA, die Weltraumreaktoren überhaupt als erste entwickelt hatten, das Projekt Anfang der Siebziger insgesamt fallengelassen. „Keiner wußte damit etwas anzufangen“, sagt Aftergood.)
Aftergood zufolge wären die SDI-Reaktoren „sehr viel stärker und langlebiger als die Rorsat-Reaktoren“. Daher würden sie auch sehr viel mehr radioaktives Material produzieren - „mindestens 159 mal mehr langlebige Isotopen“.
Die SDI-Pläne sind auch deshalb besonders gefährlich, weil sie Weltraumwaffen über den Abschußfeldern erfordern. Primack meint, daß dies nichts anderes bedeutet, als daß „eine große Zahl Atomreaktoren, die alle einzeln schon um das zigfache stärker sind als die heute schon kreisenden Rorsat-Reaktoren, über nahezu jedem Punkt der Erde ihre Bahn ziehen“.
Der Rechnungshof der US-Regierung sprach außerdem davon, daß den derzeitigen Baumodellen des SP-100-Reaktors Schlüsseldaten zur technischen Sicherheit fehlten, daß er außerdem zu schwer sei, um überhaupt hochgeschossen werden zu können und gleichzeitig viel zu anfällig für eine militärische Aufgabe. Wie der 'New York Times‘ zu entnehmen war, beklagte die Prüfungsbehörde auch, daß „Ingenieure weit über die verifizierbaren Daten hinaus extrapoliert haben“ und ein Design vorlegten, das mit einem „hohen Pannenrisiko belastet“ sei. Für ihre Studie hatte die Behörde zehn Experten aufgeboten, einschließlich Wissenschaftler der Air Force und zweier führender Atomlaboratorien, nämlich Los Alamos und Oak Ridge. Die Ergebnisse wurden jedoch geheimgehalten und erst durch die Organisation „Bridge the Gap“ an die Öffentlicheit getragen. Afterhood sagt, sie hätten die Studie von Informanten direkt aus dem Reaktorprogramm selbst. Atomarer Rüstungswettlauf im All
Angesichts beschleunigten Atomwaffenwettlaufs oberhalb der Atmosphäre warnte der demokratische Kongreßabgeordnete George Brown kürzlich: „Wenn der Gebrauch von Atomreaktoren im Weltraum unkontrolliert bleibt, könnten im 21.Jahrhundert Hunderte von nuklearen Kraftwerken um die Erde kreisen... Und wenn wir nicht verhindern, daß nukleare Energiequellen über unserem Kopf existieren, dann wachen wir womöglich eines Tages davon auf, daß uns so ein Ding auf denselben fällt.“
Brown unterstützt einen Vorschlag, der von Wissenschaftlern beider Nationen unterbreitet worden ist, nämlich nukleare Energiequellen im Weltraum zu verbieten. Für die sowjetische Seite repräsentiert Roald Sagdejew diese Bewegung, Direktor des „Komitees sowjetischer Wissenschaftler gegen die nukleare Bedrohung“. Sagdejew ist durchaus kein Einzelgänger, sondern Chef des Weltraum-Forschungsinstituts an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Auf amerikanischer Seite verkündete den Vorschlag Frank von Hippel, Physiker an der Princeton-University und Vorsitzender der Wissenschaftlervereinigung FAS. Die Idee wurde genau an dem Tag öffentlich gemacht, als die Sowjets bekanntgaben, sie hätten die Kontrolle über Cosmos 1900 verloren - ein beredter Zufall.
Die Wissenschaftlervereinigung ist außerdem der Auffassung, daß, insoweit zivile Missionen betroffen sind, in naher Zukunft Sonnenenergie eine angemessenere und sicherere Energiequelle in der Erdumlaufbahn sein wird. Sagdejew meinte, auch zukünftige Überwachungs- und Kontrollsatelliten könnten mit Sonnenenergie betrieben werden.
Aber selbst in dem sehr unwahrscheinlichen Fall, daß die beiden Regierungen dieses Verbot akzeptieren, beträfe es doch nur Reaktoren, die um die Erde kreisen. Weder die RT -Generatoren noch nukleare Kraftwerke, die fest im Weltraum stationiert sind (also nicht kreisen), wären davon betroffen.
Es scheint den Befürwortern dieses Verbotsvorschlags vor allem darauf anzukommen, Programme wie Starwars zu stoppen, die den Rüstungswettlauf mit Macht ins All tragen würden. Ihr Schwerpunkt sind weniger die Gefahren der Atomenergie per se für die Umwelt; die Risiken durch atomkraftgetriebene Weltraummissionen für die Erde scheinen ihnen relativ wenig Sorge zu machen.
Daher würde ein solches Verbot auch den für Ende des Jahres geplanten Galileo-Flug nicht verhindern. Diese Raumsonde würde vom ersten bekannten RT-Generator der USA im Weltraum seit 1977 mit Energie versorgt werden. Mit seinem Flug zu Jupiter würde Galileo die Erde vor allem beim Start mit Radioaktivität gefährden.
Die Explosion der Raumfähre Challenger innerhalb der ersten Flugsekunden nach dem Start läßt Befürchtungen auch für den Start von Galileo begründet erscheinen, die mindestens 20 kg Plutonium in zwei RT-Generatoren an Bord haben soll. Ihre Sicherheitssysteme reichen für einen Druck von 1.000 kg pro Square-Inch (6,4 cm2) aus, jedoch können Unfälle beim Sart einen neunmal so hohen Druck erzeugen.
Seit 1986 hat die Zeitung 'The Nation‘ vergeblich gewarnt vor dem Plutonium an Bord der Galileo, die sich bei ihren ersten Erdumkreisungen nur 850 km oberhalb der Erdoberfläche befinden wird.
Als Lohn für ihre Mühe bekam die Zeitschrift die jährlich verliehene Auszeichnung für die Veröffentlichung der am wirksamsten unterdrückten Nachricht des Jahres. Sie erhielt dafür den Preis gleich zweimal: beide Male für die gleiche Geschichte.
Marc Miller ist Autor des 1988 erschienenen Buches „The Irony of Victory“ (University of Illinois Press)
1 Walerij Alexejewitsch Legassow, sowjetischer Atomphysiker, stellvertretender Direktor des Moskauer Mendelejew -Instituts, war Leiter der sowjetischen Tschernobyl -Untersuchungskommission. Am zweiten Jahrestag der Reaktorkatastrophe nahm er sich das Leben. Einen Monat nach seinem Tod veröffentlichte 'Prawda‘ Auszüge aus seinen Aufzeichnungen, die eine radikale Abrechnung mit der Entwicklung der Atomenergie in der Sowjetunion darstellen. („Es wuchs eine Generation von Ingenieuren heran, die ihre Arbeit qualifiziert verstanden, aber an die Anlagen selbst und deren Sicherheitssysteme nicht kritisch herangingen...“ „Häufige Fehler in den wichtigsten Leitungen, schlecht funktionierende Ventile, defekte Kühlmittelkanäle im RBKM -Reaktor - all dies wiederholte sich Jahr für Jahr...“) Die Zeitschrift 'Kommune‘ (Frankfurt) hat in ihrem Heft Nr.7/88 Auszüge aus der 'Prawda‘ dokumentiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen