: Das Kloster in Auschwitz
Jüdische Gemeinden verlangen die Räumung des Karmeliterinnen-Klosters auf dem Lagergelände des ehemaligen KZs / Antisemitische Flugblätter aufgetaucht ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Die polnische Regierung hat ein schwieriges Problem mehr. Mit Unruhe und Sorge betrachte man die Entwicklung in Oswiecim, heißt es in einer am Dienstag vom Pressebüro der polnischen Regierung veröffentlichten Erklärung zu den Vorgängen um das Karmeliterinnenkloster auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz. Die Regierung nimmt damit zum ersten Mal in diesem Streit Stellung, obwohl sie, wie in der Erklärung betont wird, darin nicht verwickelt sei.
Am Sonntag hatte es wieder eine Protestkundgebung westeuropäischer Juden vor dem Kloster gegeben. Sie hatten auf mehrsprachigen Transparenten den Abriß des Klosters gefordert, denn dessen Existenz bedeute die „Christianisierung des Holocaust“. Der Bürgermeister der Stadt rief inzwischen zu Ruhe und Besonnenheit auf. Gerade daran hatte es gefehlt, als vor zehn Tagen sieben amerikanische Juden auf ähnliche Weise protestierten: sie waren von Arbeitern, die im Kloster zugange waren, handgreiflich entfernt worden, ein Rabbiner hatte dabei aus dem zweiten Stockwerk des Klosters den Inhalt eines Nachttopfes über den Kopf bekommen. Da sich die Nonnen auf Rufen der Besucher nicht gemeldet hatten, war die Gruppe über den Zaun geklettert.
Die staatliche polnische Nachrichtenagentur 'pap‘ bezeichnete in einer Meldung die sieben Demonstranten als „Angreifer“ und „Aggressoren“, wofür sie sich nach Protestens des Rabbiners Weiss anschließend öffentlich entschuldigen mußte. Inzwischen, so berichtete die opppositionelle Wahlkampfzeitung, seien in Auschwitz auch bereits von Unbekannten verbreitete antisemitische Flugblätter aufgetaucht.
Die Affäre um das Kloster hat eine Vorgeschichte, die bereits mehrere Jahre zurückreicht. Die 14 Karmeliterinnen hatten das Gebäude, das außerhalb des Vernichtungslagers liegt, aber von den Nazis zur Aufbewahrung von Zyklon B verwendet worden war, bereits 1984 bezogen.
Zwei Jahre später setzten die ersten Proteste von seiten jüdischer Organisationen aus Israel und den USA ein, darunter auch des angesehenmen Jerusalemer Yad Vashem Instituts. Da in Auschwitz 90 Prozent der Opfer Juden waren, gilt das Lagergelände nicht zu Unrecht als jüdische Grabstätte. Die Errichtung eines Klosters würde den Charakter des Ortes verfälschen, würde den Holocaust quasi „christianisieren“ befürchten jene Juden, die in den letzten Wochen dagegen protestierten. „Da die Kirche in der Zeit unserer Verfolgung geschwiegen hat, hat sie nun auch kein Recht, an diesem Ort anwesend zu sein“, hieß es in der Erklärung von Yad Vasham 1986. Trotz des Unverständnisses und der Sprachlosigkeit, die in diesen Fragen zwischen Polen und Juden herrscht, kam es 1987 zum sogenannten Genfer Kompromiß, demzufolge die Karmeliterinnen bis zum 22.Juli dieses Jahres ausziehen sollten; zugleich sollte eine internationale und überkonfessionelle Gebetsstelle auf dem Gelände des ehemalogen Vernichtungslagers entstehen. Widerstand gegen diese vom zuständigen Krakauer Bischof, Kardinal Macharski, vertretene Linie kam vor allem aus örtlichen Kirchenkreisen in Warschau.
Zahlreiche katholische Zeitungen berichteten darüber und schlossen sich den Protesten gegen die Verlegung des Klosters an. In Schweigen hüllte sich dagegen das Organ der Krakauer Kurie, die Wochenzeitung 'Tygodnik Powszechny‘, die sich bei früheren Gelegenheiten um den jüdisch-polnischen Dialog verdient gemacht hatte.
Während der im Pepiskopat für den jüdischen Dialog zuständige Bischof Muszynski im Zusammenhang mit der ersten Protestaktion von einem „Gewaltakt“ der Juden sprach, fühlte sich Jacek Kuron, im Bürgerkomitee Solidarnosc für Minderheitenfragen zuständig, „zutiefst beschämt“ von der Behandlung der sieben jüdischen Demonstranten, wie er Rabbiner Weiß gegenüber erklärte.
Die in Polen lebenden Juden haben sich bisher noch nicht zu Wort gemeldet, was, wie unter der Hand zu erfahren ist, ebenfalls darauf zurückzuführen ist, daß sie den Konflikt nicht noch weiter zuspitzen möchten. Während die polnische Seite den Streit häufig aufs Formale - Hausfriedensbruch reduziert, hat die Angelegenheit für die betroffenen Juden einen viel tieferen Sinn: „In der katholischen Tradition verlangt Leiden nach Gebet“, versucht es Krzysztof Sliwinski in der Wahlkampfzeitung zu erklären. „In der jüdischen Tradition ist jeglicher Kult außer Trauerlithurgie an einem solchen Ort undenkbar“. „Dieser Konflikt wird nicht gelöst, solange nicht jede Seite den Holocaust mit den Augen der anderen Seite betrachtet.“ Einer der wenigen, die dazu imstande sind, der polnisch-jüdische intellektuelle Stanislaw Krajewski meldete sich dann auch in einem Leserbreif zu Wort: „Was würden denn die Polen dazu sagen, wenn in Katyn eine orthodoxe Kirche errichtet würde?“, fragte er. Doch Nachdenklichkeit ist längst nicht mehr gefragt in diesem Konflikt.
Ein polnischer Fernsehkommentator verstieg sich angesichts der Diskussion um Auschwitz als eine jüdische Grabstätte zu den Worten: „Wieviele Polen hätten denn sterben sollen, damit wir's polnisch nennen dürfen?“
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