: Ermordet wegen Aids
WHO liegen Berichte über die Ermordung Hunderter Aidskranker vor / Über Motive und Täter herrscht noch Unklarheit / WHO unterdrückt Berichte ■ Aus Genf Andreas Zumach
Hunderte Aidspatienten aus Brasilien, dem Sudan, Thailand und Haiti sollen wegen ihrer Immunschwäche ermordet worden sein. Entsprechende Berichte liegen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der ebenfalls in Genf ansässigen Internationalen Kommission der Juristen (IKJ) vor. Aus Thailand und Brasilien wurde über die Ermordung von mindestens 200 Aidskranken berichtet - überwiegend Prostituierte und Drogenabhängige. Aus Haiti wurde der gewaltsame Tod von 15 Aidskranken bekannt. Die 50 aus dem Sudan gemeldeten Todesopfer sollen vor allem Kinder gewesen sein.
Über die Täter gibt es bislang keine eindeutigen Informationen. Berichte aus Brasilien weisen auf die Beteiligung lokaler Polizeikräfte hin. Über etwaige Motive für die Ermordung von Aidspatienten äußerte sich die für Menschenrechtsfragen zuständige WHO-Mitarbeiterin Dr.Katharina Tomasevski: „In einigen Ländern wird Aidskrankheit als Strafe Gottes oder der Natur für ein sündiges Leben empfunden, deren Opfer kein Recht auf Hilfe haben.“ Offiziell bestreitet die WHO seit Tagen die Existenz dieser Berichte. Dr.Tomasevski, die letzte Woche am Rande einer gemeinsam mit dem UNO-Menschenrechtszentrum durchgeführten Konferenz „Aids und Menschenrechte“ auf die Berichte von Mitarbeitern und Zeugen aus den vier Länder hingewiesen hatte, wurde diszipliniert. Der Sprecher der WHO, Gino Levy, wies sie schriftlich an, öffentliche Äußerungen künftig zu unterlassen. Ein führender Mitarbeiter der Informationsabteilung des Aids-Programms der WHO bestätigte inoffiziell jedoch die Existenz dieser Aussagen, die „sehr ernst genommen“ würden. Auf Anfrage der taz räumte gestern der Direktor des Aids-Programms, Dr.Jonathan Mann, ein, daß seine Abteilung entsprechende Informationen erhalten, jedoch „sofort an das UNO-Menschenrechtszentrum weitergegeben“ habe. Dort lagen sie jedoch nach Aussage von MitarbeiterInnen des Zentrums bis gestern noch nicht vor. Auf einer Pressekonferenz appellierte Mann gestern an alle Regierungen, beim Umgang mit der Immunschwächekrankheit die internationalen Menschenrechte nicht aus dem Auge zu verlieren. Sie müßten ihre Aidsvorsorge- und Kontrollprogramme daraufhin überprüfen, ob sie mit dem „Menschenrechtsstandard“ übereinstimmten. Für die WHO wäre eine offizielle Bestätigung der Berichte über Ermordungen von Aidskranken ein Eingeständnis über die Grenzen ihrer bisherigen Aids-Aufklärungs- und -Informationskampagne. Außerdem fürchtet die WHO-Spitze offensichtlich den Konflikt mit den Regierungen der Länder, aus denen die Mordfälle gemeldet werden. Mann räumte ein, daß seine Abteilung bisher nicht das Recht hat, Berichte über die Diskriminierung, Verfolgung oder gar Ermordung von Aidskranken vor Ort zu verifizieren. Die bestehenden, klassischen UNO -Instrumentarien bei Menschenrechtsverletzungen (Untersuchung vor Ort durch UNO-Beauftragte, öffentliche Brandmarkung, Sanktionen etc.) greifen im Fall von Verletzungen der Rechte Aidskranker fast überhaupt nicht. Nach dreitägigen UNO-Konsultationen mit Experten zum Problemfeld „Aids und Menschenrechte“, die gestern zu Ende gingen, konnte die Genfer Konferenz sich nur über erste Ansätze zu einer weltweiten Konvention einigen, durch die Menschenrechte von Aidskranken eines Tages effektiver geschützt werden können.
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