Bremen übern Deister

■ Ion Tiriac sattelt für seine Bremen-Premiere/German Classics im September

Falls der Andrang bei den kommenden German Classics so sein sollte wie bei der Generalprobe vom Kartenvorverkauf, dann Gnade Paul. Dann wird sich der alte Veranstalter-Fuchs Ion Tiriac noch nachträglich und derbe in die Waden beißen, daß er sich bei der Standortfrage nicht doch gegen seinen Newcomer-Compagnon Paul Schockemöhle durchgesetzt hat. Denn Tiriac war gegen Bremen, er wollte im Süden bleiben, im Stammland von Geld und Sponsoren.

Nichts war gestern morgen so,

wie es dem anzukündigenden Ereignis angemessen wäre. Vom 21. bis 24. September finden in der Bremer Stadthalle die German Classics statt, das höchstdotierte Pferdereitturnier Europas. Ein gelungener Fischzug für die Hansestadt, die damit den Einzug in die Phalanx der wenigen bundesdeutschen Großstädte geschafft hat, die mit lukrativen Sport-Turnieren ihr urbanes Image aufpolieren. Für 700.000 Mark Preisgelder geht an den vier Tagen die Creme des internationalen Reitsports in den Sattel. Gestern wollte der ehemalige Weltklasse-Springreiter Schockemöhle den Kartenvorverkauf in der Stadthalle eröffnen. Einhundert Liter Freibier, zwanzig Freikarten (vom Meister handsigniert) und einhundertelf Eintritts-Billetts zum halben Preis sollten die Pferdenarren Punkt elf vor der Halle versammeln.

Die fünfzehnjährige Vera Fröllje eröffnete um acht Uhr morgens die vermeintliche Schlange. In Erinnerung an die Campierer vor den Ticketschaltern in Wimbledon war sie mit ihren Freunden frühzeitig gekommen - um anderthalb Stunden allein zu bleiben. Erst um halb zehn trudelten die nächsten ein, um elf warens grade mal fünfzig, die für den verbilligten Eintritt anstanden. Gänzlich unverrichteterdinge zogen die Bierschenke ab, Freibier war nicht gefragt.

Ion Tiriac hätte das vermutlich prophezeit. Schließlich hat er wie kein anderer das Ohr am Lebensgefühl der zahlenden Leute. Versteht es, den Beigeschmack sportlicher Veranstaltungen so umzudeuten, daß die Teilnahme ab

einer gewissen Einkommenshöhe zur sozialen Pflicht wird. Auch in Bremen werden die German Classics nicht ohne Logen und „außergewöhnliche VIP-Bereiche“ von der Bühne gehen. Man wolle, so Paul Schockemöhle, das Springturnier „im Image dem Tennis angleichen“. Dazu aber bedarf es der ausgiebigen Finanzierung durch Sponsoren. Welche heimischen Geldgeber es sein werden,

wollte Schockemöhle gestern nicht verraten. Nur daß Tiriac Sponsoren „aus dem Süden“ mitbringt, das sei gewiss. Mit einem gewieften Clou aber wird das Turnier allemal aufwarten: die Schirmherrschaft über die German Classics werden sich „Halla“ und „Deister“'die Inkarnationen des deutschen Springpferdes teilen.

Andreas Hoetzel