Das Grundrecht auf Beleidigung

■ Der Dramatiker Arnold Wesker ist der Auffassung Salman Rushdie und jedem anderen auch, müsse die Freiheit zur Blasphemie zugestanden werden.

Es gibt keinen Grund zu zweifeln an Roy Hattersleys Einsatz für das umfassende und uneinschränkte Recht eines Autors, seine Sicht der Dinge auszudrücken und zu publizieren. Salman Rushdies „Satanische Verse“ aber betrachtet er als eine Beleidigung der Moslems und er meint, die Taschenbuch -Ausgabe sollte zurückgehalten werden. So könnte man das Bedauern über die angetane Beleidigung zum Ausdruck bringen und würde gleichzeitig die Wut der Moslems besänftigen.

Wäre ich ein Moslem, so empfände ich das als Beleidigung. Eine Beleidigung ist eine Beleidigung: gebunden oder broschiert. Die wirkliche Frage lautet: lassen sich hienieden Beleidigungen vermeiden?

Es gehört nun einmal zum Gang der Dinge, daß etwas, was wir ganz legitim tun, sagen und denken für andere eine Beleidigung sein kann. Es ist das ganz und gar unvermeidlich und es zeugt von Reife, wenn man das akzeptiert. Das heißt nicht, daß wir uns nicht mit diesen Leuten auseinandersetzen oder nicht versuchen sollen, im Rahmen der Gesetze, ihre Meinung zu ändern; aber es heißt, daß wir nicht jedesmal vor Wut in die Luft springen, wenn es zu einer Beleidigung kommt und „Tod dem Beleidiger“ brüllen.

Beleidigungen lassen sich in drei Kategorien teilen: billige, geplante und unvermeidbare. Billige Beleidigungen sind geistlos, beruhen auf Ignoranz oder Gefühllosigkeit. Bei geplanten Beleidigungen ist die Absicht klar, ein bestimmtes Ziel wird angestrebt, jemand soll verletzt werden. Entweder indem man ihm voller Verachtung vor die Füße spuckt oder aber indem man ein Hakenkreuz auf das Grab eines Juden schmiert; oder man beschmutzt eine Nationalflagge, weil man mit der Innen- oder Außenpolitik eines Landes nicht übereinstimmt. Mit diesen Fällen läßt sich leicht umgehen. Die dritte, mit der wir es bei der Rushdie-Affäre zu tun haben, ist schwieriger, zumal es bei der Beleidigung um die Gottes, um Blasphemie also, handelt.

Ich hatte mich bei der Arbeit an drei meiner Stücke mit dieser Frage zu beschäftigen. In „Shylock“ überlegt die Titelfigur, ein Renaissance-Jude, sich, wie Abraham darauf kam, Gott zu erfinden. Ist die Vorstellung, Gott sei eine Erfindung, für monotheistische Religionen blasphemisch? „Caritas“ handelt von einem Gläubigen des 14. Jahrhunderts, der, nachdem er sich drei Jahre hatte einmauern lassen, um auf eine göttliche Eingebung zu warten, erklärt: „Es gibt keinen Gott“. Blasphemie? „Als Gott einen Sohn wollte“ ist der Titel eines Stücks, das bald als Buch und auf der Bühne erscheinen wird. Es geht darin darum, herauszufinden, worüber und über wen gelacht werden kann und worüber und über wen nicht. Handelt es sich bei dem respektlosen Titel um Blasphemie?

Ein Modemacher mag von Leuten, die er oder sie für schlecht gekleidet hält, beleidigt werden; ich kenne Leute, die sich von Margaret Thatchers melodramatischen Auftritten beleidigt fühlen; vieles von dem, was über den Bildschirm läuft, beleidigt Verstand und Empfindung gleichermaßen; andere wieder fühlen sich beleidigt von dem, was sie als pubertäre Phantasien an den Paradiesvorstellungen des Koran betrachten; und ich fühlte mich schwer beleidigt als dreizehnjährige Kinder für einen heiligen Krieg in den Tod geschickt wurden. Ich teile Fay Weldons Ansicht, daß man vom Koran sagen kann, er beleidige Juden, Christen und Frauen. (Als Jude fühle ich mich bei bestimmten christlichen Schriften nicht wohl und mißbillige einige Äußerungen in der Bibel.) Aber wir rufen nicht zum Mord an den Schlechtgekleideten auf oder wollen Koran und Bibel verbrennen.

Zentrale Frage der Rushdie-Affäre ist nicht: 'Was ist Blasphemie?‘ sondern 'Gibt es ein Recht auf Blasphemie?‘ Eine Figur in meinem Stück glaubt, Gott sei eine Erfindung Abrahams. Ich habe ein Recht auf diesen meinen Gedanken. Aber mein Recht beleidigt Gott, denn es bestreitet, daß es sich bei Altem und Neuem Testament und Koran um von Gott inspirierte Texte handelt. Wie wird der Gesetzgeber mit diesem Problem fertig? Er muß sich sehr dezidiert und sehr schnell äußern, denn zur Zeit wird Salman Rushdie, weil er das Recht auf Blasphemie in Anspruch genommen hat, in seinem eigenen Land von einer fremden Macht, Iran, gefangen gehalten. Das ist eine neue Stufe politischen Wahnsinns, die zu ignorieren für uns und unsere Regierung sehr gefährlich ist.

Daß kein Mißverständnis aufkommt: Fragen sie mich, ob ich bereit bin das Recht auf Blasphemie vor einer Kirche, einer Synagoge oder einer Moschee zu verteidigen und ich werde es tun. Aber wir haben 1989. Die Aufklärung hat mich geprägt. Männer und Frauen sind gestorben, damit ich die die freie Luft der Vernunft atmen kann. Und doch muß mein Freund und Kollege sich in Angst um sein Leben verstecken, weil wieder einmal ein paar bigotte Priester den mittelalterlichen Staub aufwirbeln, aus dem vor langer Zeit simple Ansichten für simple Gemüter geformt wurden. Es werden nicht nur Schriftsteller bedroht, sondern die ganze säkularisierte Welt.

Wir haben es hier nicht mit „einem Moslem“, sondern mit einem „Typus“ zu tun, der die ganze Weltgeschichte über „Zelot“ genannt wurde. Dr. Hesham el Essawy, Vorsitzender der Islamischen Gesellschaft für die Verbreitung religiöser Toleranz, ist, so hoffe ich, ein wahrer Moslem. Im „Independent“ schrieb er am 9. Juli: „Auch die Art wie wir den Dialog führen, ist wichtig. Wie sollten wir es also tun? Gütig, freundlich und tolerant sagt der Koran. Jeder muß seine Beweise vorlegen und jeder muß dem anderen das Recht einräumen, sie nicht zu akzeptieren. 'Deine Aufgabe ist es, die Botschaft zu verbreiten. Ob die anderen sie annehmen oder nicht, das geht dich nichts an‘, sagte Gott zu seinem Propheten...“

Zeloten sind solche Gedanken fern. Zeloten haben eine Reihe von unangepaßten Heiligen auf dem Gewissen, sie legten das Holz auf den Scheiterhaufen, auf dem die Heilige Johanna verbrannte; sie standen strickend daneben als die Guillotine Schuldige und Unschuldige enthauptete; sie schlachteten die Bauern nieder, die dem Kommunismus in Rußland im Wege standen; sie lynchten die Schwarzen in den USA, führten Juden in die Gaskammern; sie duckten die chinesischen Wissenschaftler, die im Namen der Kulturrevolution die Felder düngten; sie bauten Häuser auf der Westbank des Jordan, verbrannten ein Buch in Bradford und setzten drei Millionen Pfund auf den Kopf des Autors aus.

Wir haben es hier mit einer ganz eigenen Mentalität zu tun, die keine Abweichung von den eigenen Überzeugungen und Glaubenssätzen erträgt. Es gibt diese Mentalität seit Adams Zeiten. Sie hatte im Lauf der Zeiten unterschiedliche Namen, aber sie ist tief verwurzelt in der Geschichte der Menschheit. Es muß immer wieder gejätet werden.

Übersetzung: Albert Willer

The Independent, 25.7.89