Kunst Zeitschriften

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Das Kunstforum International bringt in seinem 102. Band, dem für die Monate Juli und August neben vielen kleineren Beiträgen zwei große Blöcke zu den Themen Das Theater der Embleme und Sponsoring. Jürgen Raap bringt in seinem Beitrag eine sehr einleuchtende Überlegung von Boris Nieslony: „Der Künstler sieht das Problem in der praktischen Realisierung seiner Arbeit. Aber was Kunst moralisch und ideologisch in der Gesellschaft zu leisten hat, wird nicht von den Künstlern, sondern von den Kunstvermittlern definiert, von einer Kunstkritik, die sich gegenüber der Kunst verselbständigt.“ Nieslony hat vollkommen recht. Der Künstler möchte etwas machen, das kostet Geld. Wer ihm das Geld gibt ist ein Gönner, ein Mäzen, ein Sponsor. Wer ihm das Geld nicht gibt ist ein miefiger Kleinbürger, ein Feind der Kunst. Künstler haben nur darum etwas gegen Sponsoring, weil entweder nur oder eben doch auch die anderen gesponsort werden. Die Aufregung übers Sponsoring kommt von den Bewohnern der Zwischenwelten, von den Parasiten der Produktion. Freilich sind sie auch das erste Publikum, die Öffentlichkeit, für die die Bilder, Environments und Aktionen gemacht werden. Wenn sie feststellen, daß Einfälle im Geld erstickt werden, daß Effekte mittels Effekten erzeugt werden, statt durch Ideen, dann ist es nicht nur ihr gutes Recht, sondern auch ihre Pflicht, aufzuschreien, Einspruch zu erheben und die Kunstproduzenten einer neuen Sponsoring Industry ordentlich zu rüffeln.

Richtig ist auch, daß die Kunstkritik sich gegenüber der Kunst verselbständigt hat. Warum das negativ sein muß, vermag ich nicht zu sehen. Ein Kritiker, der kein selbständiges Urteil hat, ist keiner. In die mafiose Cliquenwirtschaft des Kunstmarktes, in der ins und outs produziert werden wie in der Popmusik, sollten die Kritiker sich gar nicht erst einklinken. Zuviele tun es nur zu gern.

Die Verselbständigung der Kritik gegenüber den Werken ist das wirkliche Problem. Ein schönes Beispiel dafür findet sich im selben Heft des Kunstforums. Heinz Schütz, der einen riesigen, immer wieder sehr informativen Aufsatz zum Thema Theater der Embleme geschrieben hat, leistet sich aber auch jenen Branchenjargon, der die Lektüre von Kunstzeitschriften zu einer Tortur macht. „Wenn dem Theater der Embleme heute unverkennbar ein Moment von Reprise eignet und ein Erinnerungshof die Auftritte umgibt, kommt den dem Tachismus entwachsenen Bildern Cy Twomblys besondere Bedeutung zu. Unter dem ständigen Anprall des Nichtmöglichen verdichten sich Schraffuren, die bestrebt sind, Schrift zu werden, nur noch an wenigen Stellen zu Worten und vergegenwärtigen - selbst ständig vom Verschwinden bedroht verschwundene Namen wie Apollon oder Orpheus. Die verunmöglichte Schrift wird zum Rettungsversuch des Ich, das in den Bedeutungs- und Erinnerungsfragmenten den Spiegel der eigenen Identität sucht.“

Die routiniert angestrengte Syntax täuscht eine Gedankenarbeit vor, die nicht geleistet wird. Einen Blick für die Arbeit des Künstlers, für die handwerklichen Seiten seiner Tätigkeit, erwarte ich mir von den Meistern der gewerblichen Kunstkritik schon lange nicht mehr. In diesem Bezirk tummeln sich Leute, für die die Wissenschaft zu mühsam und die Literatur zu schwer ist. Solange sie jung sind, erfahren sie das als Niederlage, dann merken sie, daß sie Einfluß haben, daß Maler, vor denen sie, wenn sie ein wenig moralisches Rückgrat hätten, auf dem Boden lägen vor Bewunderung, hinter ihnen herlaufen, einen Artikel haben wollen, in dem sie dargestellt, gewürdigt, wenn möglich gefeiert werden. Noch ein wenig später sind sie keine Journalisten mehr - wie du und ich -, sondern Publizisten, schreiben wie es ihnen zwischen zwei Whiskeygläsern kommt, und je älter sie werden, desto pubertärer werden ihre Texte. Raddatz und Karasek erfüllen sich ihre Pennälerträume und schreiben Literatur. Heinz Schütz ist noch nicht auf den Höhen solcher Idotien. Aber der philosophische Maikäfer, der seine Texte mit Bildung statt mit genauen Beobachtungen aufpumpt, ist abstoßend deutlich.

Das ändert nichts daran, daß Schütz anregende Gedanken, hervorragende Zitate liefert, aber er ist infiziert vom Virus unseres Berufsstandes. Er klappert, er argumentiert nicht. Woher kommt jenes „Ich“ von dem Schütz spricht? Was hat es mit der Schrift zu tun? Wieso ist die Schrift ein „Bedeutungs- und Erinnerungsfragment„; warum bedrohen die Schraffuren die Identität? Diese Auslassungen haben mehr mit Hegel und Frankfurter Schule zu tun als mit Cy Twomblys Arbeiten. Beide miteinander zu konfrontieren wäre möglicherweise interessant. Ganz und gar uninteressant dagegen ist, so zu tun, als hätte man, wenn man auf die Bilder des einen, die Begriffe der anderen drückt, schon etwas getan. Seinem Essay vorangestellt hat Schütz einen Text von Andreas Gryphius aus Catharina von Georgien. Der ist so schön, daß ich ihn auswendig gelernt habe: „Der Schauplatz liget voll Leichen / Bilder / Cronen / Zepter / Schwerdter etc. Über dem SchauPlatz öffnet sich der Himmel / unter dem Schau-Platz die Helle. Die Ewigkeit kommet von dem Himmel / und bleibet auf dem Schau-Platz stehen.“ Das Emblem ist eine solche Versteinerung. Mit ihm wird jetzt wieder gerne gespielt. Thomas Schüttes Schlafzimmer, über desen Bett in großen Lettern steht „Alles in Ordnung“, ist eine solche emblematische Installation. Milan Kunc mit Palette, Proletenmütze, Hammer und Sichel und Coca Cola aus dem Jahr 1979 ist ein anderer Versuch, die Welt anzuhalten und ein Bild der Epoche zu geben. Nicht wie bei Gryphius gewalttätig und gewaltig, sondern verspielt, ironisch.

Das Heft 7 von APEX bietet einen anderen, eher noch unerträglicheren Jargon, den der Verteidiger der Ganzheitlichkeit. Hans-Jürgen Müller versammelt unter dem Titel Die Ratlosigkeit unserer Zeit eine Menge der derzeit in diesem Genre gängigen Gemeinplätze. Das beginnt mit der privaten Geschichte des Autors - „als Zwanzigjähriger habe ich begonnen...“ - und endet in der Forderung: „Der allgemeinen Endzeitstimmung muß man dringend mit Visionen, Utopien, Ideen begegnen.“ Eine solche ist für den Autor ein Atlantis-Projekt, denn „dem Zusammenspiel von Kunst, Musik und Medizin wird in Atlantis eine wichtige Bedeutung zukommen.“ Das Abweichende, Skurrile bis Radikale unterwirft Hans-Jürgen Müller der verwalterischen Versiertheit seines Büros, das auch das, was den arbeitsteiligen Definitionen bislang entzogen war spielend in einen Hängeordner „grenzwissenschaftliche Gebiete“ unterbringt. Das Wort sagt zwar nicht, was Müller meint, aber es verrät, was er macht: Er verwandelt die schmale Schnittfläche zwischen zwei Claims in ein neues Terrain, in sein Terrain.

Künstler reagieren auf die hochgespannte Begrifflichkeit ihrer Makler unterschiedlich. Es gibt die, die staunend vor so viel Gelehrsamkeit den Mund aufsperren, ohne je wieder einen Ton herauszubekommen, andere sind ebenfalls stumm, denken sich aber ihr Teil, während eine dritte Kategorie den Aufstand probt. Je vornehmer sie besprochen werden, desto fäkalischer werden ihre Auftritte.

Das Milieu tobt sich aber auch ganz konventionell aus. Anette Frick berichtet mit ein paar anderen darüber im selben Heft von APEX. Unter dem Titel Alle Menschen sind gleich nur Frauen sind Fotzen, berichten sie: „Während der Vernissage von 3 gleichzeitig stattfindenden Ausstellungen am 18.5.89 im Kunsthaus Rhenania (Köln) wurde der freie Zugang zu den Ausstellungsräumen vom V.e.B. (Männergruppe im Kunsthaus Rhenania) und dem Syndikat 'Habgier und Meineid‘ und seinen Freunden versucht zu verhindern. Sie blockierten den Eingang zu den Ausstellungsräumen so weit, daß die Besucher nur noch durch einen Engpaß das Haus betreten konnten. Sie forderten die Besucher eindringlich auf, eine Broschüre des V.e.B. zu kaufen. Kamen die Besucher dieser Aufforderung nicht nach, wurden sie zum Teil handgreiflich gehindert, das Haus zu betreten. Als mich einige Gäste der Ausstellung da traf David auf den karibischen Prinzen von Gaby Kutz auf diese Pöbeleien am Hauseingang ansprachen, ging ich zum Eingang und forderte sie auf, die Gäste nicht zu belästigen, woraufhin mir Bernd Lieth mit folgenden Worten Prügel androhte: 'Frick, du alte Fotze, ich schlag dir noch eins in die Fresse, wenn du deine Klappe nicht hältst, ich trau mich dat.'“ Der mutige Künstler gehört dem Verein „Habgier und Meineid“ an und sieht sich selbst angeblich in der Tradition des Anarchosyndikalismus. Annette Fricke berichtet, daß die Herren sich am nächsten Tag brüsteten 600 DM durch ihre „Nötigungsaktion“ beschafft zu haben. Eine Aktion von Zwölfjährigen, die alte Frauen überfallen, um sich das bißchen Rente zu holen. In neunzig Prozent der Fälle gehen Gewalttätigkeit und Dummheit zusammen. Die Lieth-Gruppe scheint dafür wieder ein Beispiel zu sein. Statt mit etwas Raffinesse einen eitlen Galeristen ganz legal um ein paar Zehntausender leichter zu machen, fallen die Herren, wenn Frau Frick richtig berichtet hat, über ein paar Ausstellungsbesucher her. Es ist die Mentalität von Leuten, die nicht wissen, wie sie ihren nächsten Suff finanzieren sollen. Frau Fricke fragt zu Recht: „Wie kann ein Geist der Freiheit gedeihen, wenn hinter den hohlen Phrasen der blanke kleinkarierte Neid und Haß unmaskiert hervorschaut?“ Boheme das ist nicht nur ein eiskaltes Händchen und der Ohrenschmalz eines Puccini, sondern auch Adolf Hitler und Josef Goebbels. Es wird Zeit, daß das die kapieren, die glauben, diesem Milieu alles durchgehen lassen zu sollen.

In Heft 4/89 des Wolkenkratzer erfahren wir, daß in der Galerie Crousel-Robelin/Bama in Paris Cindy Sherman neue fotografische Arbeiten vorstellt. Sie zeigen die Künstlerin in Kostümen der französischen Revolution. Citoyennes, Citoyens heißt die Ausstellung. Bettina Ruhrberg liefert einen distanzierten Rückblick auf die „Arte Povera“. Es sei die Zeit gekommen, meint sie, „die von der Kunstkritik in die Arte Povera hineininterpretierten Merkmale anhand der Theorie oder der Arbeiten der einzelnen Künstler zu überprüfen.“ Sie stellt selbst zunächst einmal heraus, daß die Arte Povera zwar viel Parolen der politischen Studentenbewegung übernommen habe, z.B. „sitin“, „che fare“, daß sie aber mehr an eine „poetische Aufklärung“ im Sinne Novalis‘ denken lasse. Bettina Ruhrberg hat noch rechter als sie denkt. Auch die Studentenbewegung hatte in ihrer ersten Phase und in wichtigen Strömungen mehr von der deutschen Frühromantik und ihrem kritischen Kunstbegriff als von der SPD und den Traditionen der Arbeiterbewegung. Die Künstler der Arte Povera lagen nicht falsch in ihrer Übernahme der studentischen Parolen. Sehr deutlich arbeitet Ruhrberg die ideologischen Unterschiede zwischen Kounellis‘ Ruf nach einer starken staatlichen Führerperson, einem „Chef des Volkes„ und den Ansichten eines Mario Merz, der versucht, politische Verfestigungen aufzulösen, heraus.

Kunstforum International, Bd. 102, Juli/August 1989, 428 Seiten, Bischofsweg 50, 5000 Köln 51, 29,80 DM

APEX, Mainzer Straße 24, 5000 Köln, 131 Seiten, 10 DM

Wolkenkratzer, Juli/August 1989, Friedrichstraße 45, 6000 Frankfurt/Main, 84 Seiten, 12 DM