: Der Winter geht zu Ende
Zur Neugründung des PEN-Clubs in der Tschechoslowakei ■ G A S T K O M M E N T A R
Die Große Kapitulation der tschechoslowakischen Gesellschaft nach der Invasion des Warschauer Pakts 1968 begann in der KPC. Trotz der Warnungen Weitsichtiger stimmten auch viele Progressive für die Ablösung Dubceks durch Husak, der dann die Niederlage der Reform schnellstens besiegelte.
Die Intelektuellen hatten damals immer noch Petitionen signiert, in denen sie feierlich ungebrochene Solidarität jenen Kollegen schwörten, die für ihre Aktivitäten während des Prager Frühlings bestraft werden sollten.
Als diese dann wirklich ein Jahr später mit dem großen Bann belegt wurden, hat sich die große Masse jedoch schnellstens mit der Macht arrangiert. In vorauseilendem Gehorsam räumte sie auch ungefragt Positionen, die immerhin den freien Fall hätten bremsen können. So hat die Leitung der tschechoslowakischen PEN-Organisation ohne Wissen der meisten Mitglieder erklärt, daß sie ihre Tätigkeit einfriere.
Was folgte, war ein zwanzig Jahre dauernder nationaler Polarwinter, den erstaunlicherweise am besten die Verfemten überstanden. Der Kern der Literatur, eine große Gruppe bedeutender Autoren, deren Doyen der spätere Nobelpreisträger Jaroslav Seifert war, stand aller Verfolgung zum Trotz weiter zur erkannten Wahrheit und schrieb sogar unter denkbar schlechtesten Bedingungen ihre besten Werke. Wer völlig scheiterte, waren die Arrangierten, die zwar ihr Lebensniveau behielten, als Schriftsteller jedoch fast ausnahmslos zur Bedeutungslosigkeit abstiegen.
Wenn heute einer der Einfrierer von einst, Jiri Mucha, die Aktivitäten des PEN-Clubs wieder auftaut und sich dabei mit Namen wie Ivan Klima, Vaclav Havel und Ludvik Vaculik flankieren kann, dann ist das vor allem für ihn und seinesgleichen wichtig.
Zwei Jahrzehnte absoluten Verbots haben auch Positives mit sich gebracht: Die Betroffenen, denen jede Art Hilfe und Solidarität verweigert wurde, begriffen langsam, daß sie auch ohne Stelzen und Krücken von Institutionen und Vereinen leben können, ja, daß sie dadurch sogar ihre eigene Identität und Integrität viel besser bewahren können.
Daß sie heute, nachdem ihre private Schlacht siegreich geschlagen wurde, trotzdem das Bündnis mit jenen eingehen, die ihre unendliche Isolation wenn nicht mitverschuldet, dann wenigstens feige zur Kenntnis genommen hatten, liegt in der Natur ihres nach wie vor moralischen Denkens und Handelns:
Sie nehmen die ständigen Angebote eines Dialogs, wie er am eindringlichsten in der Erklärung der Charta77 formuliert wurde, ernst. Und sie sind sogar bereit, durch ihre Mitwirkung in dem aufgetauten PEN-Club jenen Kollegen, die sich im Laufe der Jahre das schlechte Image der Regimeschriftsteller verdient hatten, eine faire Chance zu geben, ihr Gesicht dadurch zurückzugewinnen, daß sie sich an der Rückkehr der tschechoslowakischen Gesellschaft aus der Normalisierung der Normalität beteiligen.
Das Wunder aus der politischen Tiefkühltruhe ist angesichts der nach wie vor unveränderten Lage in der CSSR scheinbar unwesentlich. Man erinnere sich jedoch, daß die entscheidende Phase der Reform, die im Prager Frühling gipfelte, mit einer harmlosen Literaturkonferenz über Franz Kafka eingeleitet wurde.
Pavel Kohout
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