: SCHARF WIE EIN RASIERMESSER
■ „Figaro“ und die Guillotine in der Sommertheater-Werkstatt
Natürlich wird das Sommerloch wieder mit Werkstattprogrammen gestopft. Natürlich ist, wie schon letztes Jahr, die Theatergruppe Pupi e Fresedde aus Florenz zu Gast - sie präsentiert heuer gemeinsam mit La Carriera aus Arles eine italienisch-französische Co-Produktion, natürlich ein Stück zur 200-Jahr-Feier der Französischen Revolution. Und wie erwartet ist das Hebbeltheater nur ganz schwach besucht.
Kein Vorhang, keine Ouvertüre. Es geht gleich los mit einer Schaumschlägerei. Figaro persönlich kommt links aus den Kulissen und klappert mit dem Handwerk, nur ist er diesmal nicht Barbier in Sevilla, sondern in Neapel - und er kann auch nicht aus dem Vollen schöpfen, dazu fehlen eben die gepfefferten Dialoge des Herrn de Beaumarchais und auch das satte Opernorchester (nur vier Mann sitzen da an sechs Instrumenten). Also seift der Frisör uns verbaliter ein oder vielmehr: erst quatscht er seinen Papagei voll, dann seine Kundschaft und redet sich dabei um Kopf und Kragen. Denn erst kommt der potente Capitano Almaviva, Chef des revolutionären französischen Truppen, zur Rasur und danach Don Bartolo, der ist Neapolitaner, ein guter Katholik und durch und durch königstreu. Am Ende des ersten Aktes wird guillotiniert, mit Musik und dem eclat triumphale der Revolution in allen Stimmlagen. Es erwischt freilich vorerst nur den Papagei des Barbiers, der sich wie sein Herr neutral verhalten, aber zum falschen Zeitpunkt den Schnabel aufgemacht hat.
Der Barbier ist Philosoph, Kuppler und Beichtvater zugleich, die aufgeregten Jakobiner und Royalisten aber werden, sobald sie auf seinem Stuhl sitzen, mit Schaum am Kinn und dem Messer an der Kehle, gleich ganz friedlich und moderat. Die Revolution bleibt draußen und blitzt nur durch den blutroten Spalt im Hintergrund herein, das ist der Vulkan, aus dem das Personal ständig schnell auf- und abtritt. In der guten Stube sind sie allesamt nur Witzblattfiguren einer menschlichen Komödie: der revolutionäre Capitano ein greiser Lustmolch, die Exilgräfin eine komische Alte, das Mündel Rosina die junge Naive, der schöne Cherubino ein jugendlicher Liebhaber mit Werther -Allüren - die Menschenrechte werden vertreten von einer Opernsängerin in strammer Hosenrolle, und die Stimme des Volkes macht sich Luft in den patzigen Reden der putzsüchtigen Wäscherin. Nichts ist ausgelassen, was zu einer echten Commedia dazugehört: Verkleidung, Verwechslung, Ohrfeigen und sogar ein Theater im Theater, dazu wird immerzu gnadenlos gesungen, getanzt, geschrien, gelacht oder auch mal geweint. Die Musik (Jean Pierre Neel) plündert Lully und Pergolesi, Rossini und Mozart, Gluck und Gretry, Dialog und Regie (Angelo Savelli) ziehen alle Register, die Pointen prasseln schneller als ein Ferkel blinzeln kann, und die Chargen knattern, daß es nur so knallt.
Die Revolution, eine Farce. Jede Geste, jeder Clou so übertrieben, daß die Klamotte ständig umkippen will ins Groteske, aber sie kippt immer nur beinahe. Jeder Schauspieler ein Drahtseilartist in Schräglage, aber nicht ein einziges Mal stürzt die Story ab. Nicht einmal ganz am Schluß vom dritten Akt, als der tödlich verwundete Cherubino in den Armen der Contessa stirbt, die ihn gerade noch rechtzeitig als ihren verlorenen Sohn wiedererkannt hat. Da verwandelt sich die komische Alte für ein paar Augenblicke in eine tragische Heroine, aus der Komödie wird ein echtes Melodram oder vielleicht auch ein bürgerliches Trauerspiel so genau kann kann das nicht wissen, ob es Spiel ist oder Ernst. Freilich weiß man, daß die jakobinische Herrschaft in Neapel im Jahre 1799 nur ein kurzes Intermezzo war, am Ende siegt also die Trägheit des Herzens, und alles ist wieder, wie es war. Nicht ganz, wie es war: dem klugen Figaro, der sich so fein herausgehalten hat, zittert jetzt immerhin die Klinge vor verhaltenem Zorn, und das Berliner Publikum, das doch eigentlich von dem italienisch-französischen Feuerwerk nur einen Bruchteil verstanden und doch zweieinhalb Stunden lang Tränen gelacht hat, hält jetzt die Luft an.
Das ist Theater, wie es sein soll. Und für so ein Stück kann man getrost den ganzen Kurfürstendamm samt seinen Komödien aufrollen und in die Ecke stellen.
Elisabeth Eleonore Bauer
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