Streetfighter Seximus Sprechverbot

■ Frauen aus Berliner Antifaschistengruppen kritisieren die „Männerkriegsanordnung“ bei Demonstrationen / Aus Angst vor Angriffen bleiben sie anonym / Der „Antisexismus“ im „Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus“: ein hohler Begriff

taz: Auf der Demonstration gegen den Parteitag der „Republikaner“ in Berlin kam es zu „Entwaffnungsaktionen“. Einige von Euch haben mitgemacht. Warum?

Anna: Ich stand erst nur da, als es plötzlich große Schiebebewegungen auf das Absperrgitter zu gab. Acht bis zehn Vermummte machten sich dran, es niederzureißen. Ich und ein paar Frauen haben uns erst einmal dagegengestellt, um an dieser Stelle die action nicht eskalieren zu lassen. Die Typen gingen dann direkt auf uns los, haben uns als Faschisten beschimpft. Dann haben sie die Stange unseres Transparents umgedreht und damit versucht, durch das Gitter auf die Bullen dahinter loszugehen. Und damit auch auf uns, weil wir dazwischen standen. Sie haben da keinen Unterschied gemacht und uns gesagt, wenn wir uns in den Weg stellen, sind wir so drauf wie die Bullen.

Von unserer Seite war das eine ganz spontane Aktion. Ich kannte auch die Frauen um mich herum nicht. Mir ist wichtig, daß hinterher in der Presse steht, warum die Demo stattgefunden hat und nicht, daß es Zoff gab. Das war meine Hauptmotivation in dem Moment, einzugreifen. Klar hatte ich auch ein Interesse, den Parteitag zu verhindern oder in jeder möglichen Form zu behindern. Aber man muß dabei auch Kräfteverhältnisse und den politischen Sinn abschätzen.

Diese „Entwaffnungsaktionen“ haben in bestimmten Kreisen ganz schön Wirbel ausgelöst. Frauen haben gewagt, an den Auseinandersetzungsformen öffentliche Kritik zu üben. Warum jetzt? Gab es da in der letzten Zeit eine Eskalation?

Berta: Ich kann mir vorstellen, daß dies mit dem Inhalt zusammenhängt. Daß Frauen, vorsichtig und pauschal gesagt, bei der antifaschistischen Arbeit diese Formen noch weniger einsehen als bei früheren Sachen, IWF oder so. Was ist sinnvolle antifaschistische Arbeit? Es ist eigentlich niemandem so richtig klar, wo der Ansatzpunkt liegt.

Anna: Für mich ist das schon eine Entwicklung gewesen. Bei Auseinandersetzungen in Kreuzberg, am 1.Mai zum Beispiel, sind bestimmte Sachen aus dem Schutz der großen Masse heraus passiert. Da wurden zum Beispiel Privatautos abgefackelt. Die haben weder mit der Sache zu tun noch sind es die richtigen Angriffspartner. Das schadet dem Kapitalismus an keiner Stelle. Zum ersten Mal habe ich gedacht, daß ist ja Wahnsinn, daß ich dabei stehe und zugucke und dadurch auch Schutz biete. Da habe ich auch als Einzelperson eine politische Verantwortung dafür, daß da keine Sachen passieren, die das eigentliche Ziel in den Hintergrund schieben.

Es scheint, daß Antifaschismus für viele eine ganz gefühlige, wenig politisch definierte Sache ist. Eine Legitimation, um auf der Straße action zu machen.

Anna: Wenn man dieses System prinzipiell bekämpfen will, das ist ja von vielen der Ansatz, dann ist jeder Anlaß willkommen. Da wird kein Unterschied gemacht. Ob der Ausgangspunkt ein Lausitzer-Platz-Fest ist, eine IWF- oder Antifa-Demo. Ich hatte das Gefühl, daß war für einige ein Abenteuerspielplatz.

Clara: Der Punkt ist, die denken über ihren Steinwurf kaum hinaus. Das macht mich so ärgerlich. In der ganzen Diskussion, seitdem die REPs existieren, ist von der Linken gesagt worden, daß hier die CDU und bundesweit die CDU/CSU verantwortlich dafür ist, daß sich so eine Gruppe wie die REPs formieren konnte. Beispiel: Verschärfung der Ausländergesetze. Ich denke aber auch, daß die Linke und insbesondere das autonome Spektrum sich an die eigene Nase packen muß. Man provoziert einen Rechtstrend auch mit solchen Aktionen.

Berta: Dieses gegen etwas zu sein, ist für viele etwas sehr verbindendes.

Anna: Für etwas zu sein ist viel schwieriger. In diesen ganzen Antifa-Gruppen und Bündnissen ist es im Moment ganz schwierig, was Positives zu formulieren.

In dieser Zeitung haben sich Frauen ganz drastisch dazu geäußert, daß sie die Schnauze voll haben von der Männerkriegsanordnung, von den Typen, die sich auf Demos vom Ritual her benehmen wie Bullen, auf Pfiff reagieren, ein unheimliches Machoverhalten an den Tag legen. Da scheint sich ja einiges angestaut zu haben.

Anna: Ich kann nur sagen: Ich habe die Schnauze voll, daß ich den Schutz dafür biete, daß andere Leute etwas, was mir wichtig ist, in eine Ecke ziehen, wo ich sie nicht haben will. Gewaltauseinandersetzungen sind für mich zum großen Teil nicht die Formen, durch die ich real etwas erreiche. Ich würde andere auch gern davon überzeugen, daß andere Formen die richtigeren sind. Darüber muß man streiten. Wenn da aber einer auf der Demo im tiefsten Schwäbisch zu mir sagt: Geh doch zurück nach Wessiland, dann habe ich den Eindruck, daß die Ziele nicht mehr stimmen können, wenn sich das Feindbild so schnell ändert.

Berta: Das mit dem Feindbild ist ganz wichtig. Aus den Erfahrungen mit meiner Gruppe kann ich sagen, daß Männer einfachere Feindbilder haben und sie viel mehr brauchen. Sie haben eine ganz klare Analyse eines Systems im Kopf, und daran gekoppelt sind bestimmte Feindbilder, auf die draufgeschlagen wird. Ich denke, Frauen sind überlegter. Sie differenzieren auch mehr. Sie wollen nicht jetzt und hier nur ihren Stein loswerden. Sie überlegen mehr, was dieser Stein mit dem Ziel zu tun hat.

Hängt das wirklich damit zusammen, daß Frauen überlegter sind? Hat das nicht vielmehr damit was zu tun, daß wir wissen, daß wir in dieser Art der Auseinandersetzung keine großen Chancen haben? Für mich hat die Auseinandersetzung mit der Militanz in der Häuserbewegung angefangen. Da entwickelte sich eine klare Werteskala: Wer am weitesten vorne in der Demo stand, die meisten Steine warf, der war der Crack. Viele Frauen hatten damit Probleme. Auf der einen Seite fanden wir die Militanz die richtige Antwort, auf der anderen Seite merkten wir, daß wir oft nicht mithalten konnten, weil uns Mut und Kraft fehlten. Gleichzeitig kamen uns aber auch Zweifel, denn das Machotum blühte. Wir waren verunsichert, haben uns aber nicht richtig getraut, unser Unbehagen öffentlich zu machen. Weil wir nicht die Peace -Frauen sein wollten. Nach den jüngsten Vorfällen hatte ich den Eindruck, daß Frauen sich öffentlich an die Entmystifizierung der Militanz heranwagen.

Anna: Ich fände es gut, wenn es zu dieser Entmystifizierung käme. Aber die jüngsten Übergriffe auf Kritikerinnen zeigen ja, daß so etwas sich gnadenlos gegen eine selbst richtet. Ich hatte auch das Gefühl, daß es da eine Entwicklung gab, aber das war, glaube ich, ein Trugschluß.

In den Antifa-Gruppen, in denen ihr mitarbeitet, wird dort über die Frage der Gewalt und des Machotums diskutiert?

Dora: Bei uns in der Gruppe wird sehr, sehr viel über diese Sachen diskutiert. Wir reden über nichts mehr, als über diese Mann-Frau Geschichten. Zum einen anhand des REP -Programms - die Republikaner als frauenfeindliche Partei...

Anna: Auch bei uns in der Gruppe sind es sicher die Frauen, die die Frage der Gewalt überhaupt ansprechen. Die sind die ersten, die überlegen: wollen wir, daß das weiterhin so läuft oder nicht. Andererseits herrscht bei uns intern in dieser Frage aber auch Konsens, daß wir das in dieser Form nicht wollen - vor allem auch in Bezug auf antifaschistische Arbeit. Sich aber öffentlich in irgendeinem Rahmen hinzustellen und zu sagen, man findet es zum Kotzen, wenn Antifaschisten Steine schmeißen oder rumprügeln, das kann man im Moment nicht sagen, ohne eben zum Beispiel zerstochene Reifen zuriskieren. Die Angst an diesem Punkt ist unheimlich hoch. Das merke ich ja auch bei unserem Gespräch hier, wo jede Panik hat, erkannt zu werden. Die Militanz richtet sich dann sofort gegen die Leute, die sie in Frage stellen. Da herrscht Sprechverbot.

Clara: Wenn Ihr in eurer Gruppe mit Männern über die Ereignisse diskutiert, zeigen die denn die Bereitschaft, öffentlich zu kritisieren?

Anna: Nein - die Szene soll man am besten nicht anscheißen. Intern sagen zwar viele, daß sie das nicht gut finden, aber öffentlich nicht.

Berta: Da kommt dann eben das Totschlagargument der Spaltung. Bloß nicht spalten - und keiner fragt mehr, wer hier eigentlich was spaltet.

Anna: Niemand ist bereit, das Bündnis an diese Punkt zum Knacken zu bringen.

Dora: Sehe ich nicht so. Letztes Mal kam bei uns das Statement von einer Frau, daß es darauf hinauslaufen kann, aus gemischten Gruppen wieder rauszugehen, was ich im übrigen auch so sehe.

Und mit welcher Begründung?

Berta: Kommunikationsstörungen...

Anna: An irgendeinem Punkt gehts nicht weiter in der Diskussion.

Berta: Wegen derVerständnislosigkeit gegenüber Positionen von Frauen. Du mußt unheimlich viel Arbeit darauf verwenden, denen unsere Positionen klarzumachen.

Dora: Das ist auch eine Frage der Effizienz. Wenn ich politisch effizient arbeiten will, komme ich irgendwann doch an den Punkt, wo ich sage, ich mache es besser nur mit Frauen.

Das Bündnis hier richtet sich gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus. Was hat denn der dritte Begriff überhaupt für einen Stellenwert?

Anna: Es ist eine ungeheure Anmaßung des Bündnisses, zu behaupten, daß da auch gegen Sexismus gekämpft wird.

Berta: Der Begriff wurde halt mit hineingenommen, weil relativ viele Frauen in den Bündnissen sind. Inhaltlich bleibt das ganze ziemlich hohl.

Anna: „Antisexisumus“ - das wurde eben nochmal mit rangehängt, damit man die Frauen befriedet hat. Eine inhaltliche Diskussion findet dann nur in ganz kleinen Zirkeln statt. In der Frage des Sexismus kommt sie meist dann erst auf, wenn wieder einer Frau was passiert ist. Wobei ich sagen muß, es sind alle drei Begriffe inhaltlich nicht gefüllt. Da erlebe ich ständig eine umfassende Hilflosigkeit.

Wird denn der üble Angriff auf die Kritikerin aus dem Kiez für euch in euren Gruppen und im Bündnis ein Thema sein? Auch unter dem Aspekt der Frauenfeindlichkeit?

Anna: Wenn das im Bündnis zum Thema gemacht wird, wird's erst mal wieder darum gehen, daß sie sich wie 'ne Bullin verhalten hat. Das in den eigenen Gruppen zu diskutieren, ist natürlich absolut notwendig.

Seht Ihr trotzdem die Möglichkeit, daß Frauen sich trauen, diesen Vorfall im Bündnis zum Thema zu machen und sich auch gegenseitig den Rücken stärken?

(Lange, lange Pause)

Dora: Ich weiß nicht. So stark hängen wir in dem Bündnis nicht mit drin. Ich zum Beispiel habe nicht so sehr viel Lust, mich da groß einzumischen.

Berta: Ich stelle fest, daß ich noch gar nicht daran gedacht habe, daß man der Frau vielleicht helfen könnte. Das ist ja auch bezeichnend.

Das Gespräch führten Andrea Böhm und Ulrike Helwerth