: Sexualität der Frau
■ Marie Langers „Mutterschaft und Sexus“
Zwar ist die weibliche Sexualität nicht mehr - wie noch zu Freuds Zeiten - der „dark continent“ der Psychoanalyse, Freuds erste, tastende Entwürfe zu einer Theorie der weiblichen Sexualität, sind jedoch in den darauffolgenden Jahrzehnten - auch von Analytikerinnen - nur wenig überzeugend kritisiert oder weiterentwickelt worden.
Das jetzt im Kore Verlag erschienene Buch Mutterschaft und Sexus der Analytikerin Marie Langer, das 1951 erstmals auf Spanisch erschien, ist einer der ersten Versuche, eigene Konzepte jenseits der Freudschen Doktrinen zu entwickeln und der weiblichen Sexualität eigenständige Qualitäten zuzuschreiben.
Marie Langer, 1910 geboren, studierte in Wien Medizin und war frühzeitig in der damals verbotenen Kommunistischen Partei aktiv. Angesichts der Gefahr des Nationalsozialismus emigrierte sie und arbeitete als Ärztin im Spanischen Bürgerkrieg. Ihr Weg führte von Wien über Spanien, Argentinien und Mexiko nach Nikaragua, wo sie als Analytikerin tätig und aktiv am Aufbau eines Zentrums für psychische Gesundheit beteiligt war. Sie ist 1987 gestorben. In ihrem Buch über den Körper und die Psyche der Frau beschreibt sie anhand von Fallbeispielen psychosomatische Störungen der weiblichen Sexualität. Jedem bedeutsamen Schritt in der weiblichen Entwicklung hat sie ein Kapitel gewidmet: Von der Menarche bis zur Menopause ergibt sich bedingt durch die Verzahnung von individuellen und gesellschaftlichen Konflikten - eine reichhaltige Palette von Störungen, die sie aus ihrer eigenen analytischen Praxis in Lateinamerika schildert.
In ihren Interpretationen fühlt sich Marie Langer der Freudschen Psychoanalyse zwar grundsätzlich verpflichtet, äußert jedoch auch ihre Kritik an Freuds Ansichten zur weiblichen Sexualität.
„Ich begriff, daß unsere Sexualität anders ist als die, die Freud uns zugeschrieben hat, und daß er sich wirklich geirrt hat... Freud beschreibt uns das Mädchen als kastrierten Jungen.“
Melanie Klein jedoch berücksichtige in ihren Konzepten die spezifisch weibliche Fähigkeit zur Reproduktion, über die Freud nur wenig zu sagen hat.
Die Verwicklung der weiblichen Psyche in Probleme mit dem Partner oder dem Kind verdeutlicht Marie Langer nicht nur mit Fallbeispielen; oft greift sie auf Margaret Meads Untersuchungen über primitive Gesellschaften zurück. Die wechselseitige Beleuchtung der weiblichen Rolle in unserem und in einem fremden gesellschaftlichen Gefüge macht das Buch spannend: Es wird deutlich, daß Frauen in primitiven Gesellschaften ganz andere Rollen übernehmen und doch ähnliche Konflikte erleben wie europäische oder lateinamerikanische Frauen.
Die Konflikte, deren direkter Ausdruck aus individuellen oder gesellschaftlichen Gründen nicht wünschenswert erscheint, erzeugen körperliche Symptome, die auf den ersten Blick rein organischer Natur zu sein scheinen: Der Körper der Frau erweist sich als feinfühliger Seismograph, der jede psychische Irritation genau registriert. Ein Beispiel dafür ist die psychogene Sterilität, deren Aufhebung durch die analytische Behandlung Marie Langer eindrucksvoll schildert.
Es ist schade, daß die Autorin keine Gelegenheit mehr hatte, selbstverständliche Setzungen, von denen sie sich erst später distanziert hat, wie zum Beispiel die vom Primat des vaginalen Orgasmus, in ihrem Buch noch einmal kritisch zu überarbeiten. Immerhin schafft sie mit einigen ihrer Überlegungen die Grundlage für eine souveräne Relativierung der Freudschen Perspektive. Mit seinen reichhaltigen Fallbeispielen liegt hier ein spannendes Lesebuch aus dem Erfahrungsschatz einer überaus lebendig und unkonventionell denkenden Analytikerin vor.
Christina Schiche
Marie Langer: Mutterschaft und Sexus. Körper und Psyche der Frau. Aus dem Spanischen von Vera Saller. Kore Verlag, Freiburg 1988, 380Seiten, 42 DM.
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