piwik no script img

DDR-Flüchtlinge bleiben hartnäckig

■ 'Neues Deutschland‘ berichtet über Botschaftsbesetzungen / „Frontberichterstattung“ der BRD-Medien / Situation für die Menschen in den Vertretungen der BRD in Ost-Berlin, Prag und Budapest weiterhin ungeklärt

Berlin (dpa/afp/taz - Die Lage der DDR-Flüchtlinge in der Ständigen Vertretung der BRD in Ost-Berlin und den Botschaften in Prag und Budapest ist weiterhin ungeklärt, Kontakte zwischen Vertretern beider Staaten brachten keine Lösung. Unterdessen meldete sich der DDR-Unterhändler, Rechtsanwalt Vogel, dessen Handlungsspielraum Parteichef Honecker Anfang der Woche durch persönliche Intervention eingeschränkt hatte, wieder zu Wort. „Ist verläßlich geklärt, daß DDR-Bürger, die sich in diplomatischen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland festgesetzt haben, dafür straffrei bleiben, sollte ein weiterer Aufenthalt nicht zwingend sein. Dies gilt um so mehr, als diesen Besuchern ohnehin nur der Rat gegeben werden kann, sich an die für die Anwendung der Reiseverordnung zuständigen Behörden zu wenden.“ Den Flüchtlingen war zwar Straffreiheit zugesichert, aber nicht wie in ähnlichen Fällen eine Ausreisegarantie gegeben worden. „Ich bin sehr besorgt, auch für meine Aufgabe, und mahne Augenmaß, vor allem aber Ruhe an“, meinte Vogel.

In der DDR war gestern zum ersten Mal über die Vorgänge um die bundesdeutschen Missionen berichtet worden. Alle Zeitungen der DDR veröffentlichten einen Artikel eines Bonner DDR-Fernsehkorrespondenten, der den BRD-Medien „Frontberichterstattung“ vorwarf. „Mit Regieanweisungen für illegale Grenzübertritte, mit der Lüge von einer angeblichen Einschränkung des Reiseverkehrs nach Ungarn, mit wilden Zahlenmanipulationen wird versucht, Bürger der DDR zu unüberlegten Schritten zu veranlassen.“ Weiter fragte sich der Kommentator, was hinter dieser „Kampagne“ stecke. Offenbar wolle man von eigenen Problemen mit Asylanten, der Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot ablenken. Wohlwollend dagegen zitierte er den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Horst Ehmke, der der Bundesregierung vorgehalten hatte, „das Ganze noch zu ermuntern nach dem Motto: Näher meine Deutschen in aller Welt, zu mir!“ Indem er eine kritische Bemerkung der Sprecherin der Grünen, Antje Vollmer, zu nationalistischen Tönen aus dem Innerdeutschen Ministerium aufgriff, sah er die „Drahtzieher“ dieser „Kampagne“ auch hier angesiedelt.

In dem Artikel ist die Rede davon, daß die Bonner „Einmischung“, „eine härtere Gangart“ seitens der DDR geradezu provoziere. Kein Staat könne sich erpressen lassen. Wie aus gutinformierten Kreisen in der DDR verlautete, scheint das Verhalten der Flüchtlinge in weiten Teilen der Bevölkerung nicht unbedingt auf Zustimmung zu stoßen. Ein überstürztes Ausreisemotiv sei auch die Angst der DDRler, die BRD könnte wegen der zunehmenden Aussiedlerfeindlichkeit der Bevölkerung die Tore bald dicht machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen