: SPANIENS TOURISMUS VOR DER KRISE
■ Rückgänge der Urlauberzahlen
Nach drei Jahrzehnten als Motor der Wirtschaftsentwicklung steht der spanische Fremdenverkehr vor der Krise. Nach Ansicht von Branchenkennern und Regierungsbeamten werden die Einnahmen aus dem Tourismus in diesem Jahr erstmals nicht mehr das steigende Handelsbilanzdefizit decken können, da sich viele Urlauber anderen Gestaden zuwenden.
Nach einer Unterredung mit König Juan Carlos auf der spanischen Ferieninsel Mallorca verkündete Ministerpräsident Felipe Gonzales kürzlich, die Fremdemverkehrskonjunktur habe ihren Höhepunkt überschritten. „Jetzt müssen wir sorgfältig mit dem umgehen, was übriggeblieben ist.“
Der Touristenboom entlang den spanischen Küsten hatte Ende der 50er Jahre mit der zunehmenden Verbesserung des Lebensstandards im Nachkriegseuropa eingesetzt. Die Reisenden brachten begehrte Devisen ins Land. Heute machen die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr zehn Prozent des Bruttosozialprodukts aus, und der Tourismus bietet zehn Prozent der aktiven Erwerbsbevölkerung Arbeit und Brot.
Im vergangenen Jahr deckten die auf 16,7 Milliarden Dollar (rund 31 Milliarden Mark) bezifferten Einnahmen aus dem Fremdenverkehr noch mühelos das mit 15,9 Millionen ausgewiesene Handelsbilanzdefizit. Doch wird dies in diesen Jahr kaum mehr möglich sein. In der ersten Hälfte des Jahres beliefen sich die Fremdenverkehrseinnahmen nach Angaben der Bank von Spanien auf 7,3 Milliarden Dollar, das ist ein Rückgang um 2,7 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Die Gesamtzahl der Spanientouristen erhöhte sich im ersten Halbjahr zwar um 1,6 Prozent auf über 20 Millionen, doch verbrachten viele der Besucher weniger als vier Nächte in einem Hotel und erfülllten damit nicht die von der Internationalen Fremdenverkehrsorganisation aufgestellten Kriterien für „echte“ Touristen.
Die Zahl der britischen Touristen, die das größte Kontingent bei Gruppenreisen stellen, ging im Berichtszeitraum um 1,2 Prozent, die der Touristen aus der Bundesrepublik sogar um drei Prozent zurück. Briten und Bundesbürger stellen nach Angaben der spanischen Touristenhotelorganisation „Zontur“ alljährlich zusammen 65 Prozent der Spanienurlauber. Auch aus Schweden, Norwegen und Dänemark trafen weniger Buchungen ein.
„Die Sonne war mehrere Jahrzehnte lang der wichtigste Industriezweig der Nation, und Sangria brachte soviel Devisen wie Öl“, schrieb die Madrider Zeitung 'Independiente‘ kürzlich in einem Leitartikel. „Doch die Gans, die goldenene Eier legte, ist alt geworden, und niemand scheint zu wissen, wie man sie ersetzen könnte.“
Angesichts ständig steigender Preise für Essen, Unterkunft und Getränke finden es spanische Reiseveranstalter zunehmend schwerer, ihre traditionelle Erfolgsformel Sonne, Meer und billiges Vergnügen an den Mann und die Frau zu bringen. „Die Lage ist nicht gut, und die Folgen sind auf lange Sicht ungewiß“, sagte Antonio Martorell, Präsident des Hotelierverbandes der Balearen.
ap
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