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Blutige Nasen im Schlacht-Busineß

■ In der Vieh- und Schlachthofbranche wird der EG-Binnenmarkt zur Argumentation für Fusionen genutzt, mit denen die Bauern in stärkere Abhängigkeit getrieben werden sollen / Agraroposition: Von der Europapanik lassen wir uns den Schneid nicht abkaufen

Teil 28: Hugo Gödde

„Metzgerblut ist keine Buttermilch.“ Diese alte Bauernweisheit hat an Aktualität nichts eingebüßt. Im Gegenteil hat sich in den letzten Jahren dieses Bild vom brutalen Ethos eines Berufes auf die gesamte Fleischbranche ausgedehnt. Blutig im wahrsten Sinne des Wortes geht es nicht nur auf den Schlachthöfen, sondern im Vieh- und Fleischhandel insgesamt zu. Beim zunehmenden Konkurrenzdruck holen sich aber nicht allein Schwein und Rind blutige Nasen. Das Hauen und Stechen scheint auch auf die beteiligten Unternehmen übergegriffen zu haben. Fast alle großen Schlachtbetriebe schrieben 1988 rote Zahlen. Rückgang des Fleischverzehrs (bei der Centralgenossenschaft Hannover im ersten Quartal 1989 um 13,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und der Schweineproduktion, mangelnde Kapazitätsauslastung (heute bundesweit um zehn Prozent weniger als 1988), die Nachfragemacht der Lebensmittelkonzerne von Aldi, Edeka bis Tengelmann, durch die die Abnahmepreise gedrückt werden können, und grandioses Mißmanagement haben dazu beigetragen. Besonders die Raiffeisen-Genossenschaftlichen Fleischriesen im Norden (Nordfleisch, Centralgenossenschaft Hannover) und im Süden (Südvieh/Südfleisch) suchen ihr Heil in der Flucht nach vorn. In den letzen Wochen fusionierten sie zur „Norddeutschen Fleischzentrale“ (Umsatz: drei Milliarden DM) und zur Südvieh/Südfleisch GmbH (3,8 Milliarden DM) und übertreffen ihre nächsten Konkurrenten um mehr als das Doppelte. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen ging es eher um die Bereinigung von Management-„Altlasten“ beim Zusammenschluß, in Bayern und Baden-Württemberg glaubt man dagegen an die Notwendigkeit einer Strukturbereinigung, um sich für den europäischen Binnenmakrt zur rüsten. Während es sich bei der Süd-Vereinigung vor allem um eine „vertikale Konzentration“ aus Schlacht- und Handelsunternehmen handelt, sind im Norden auch große Schlachtkapazitäten zusammengelegt worden („horizontale Konzentration“).

Südvieh für McDonalds

Mit dieser Argumentation hat man offensichtlich die jahrelangen Feindschaften zwischend den Aufsichtsräten der beiden Firmen überwinden können. „Wir erwarten eine generelle Stärkung der Wettbewerbskraft im EG-Binnenmarkt, eine bessere Kapazitätsauslastung und eine verstärkte Wirkung für die vertikale Integration“, verteidigt Südvieh -Geschäftsführer Dr.Roigel den Beschluß. Möglichst schnell will man die Geschäftsstellen von 66 auf 34 reduzieren. Südfleisch, unter anderem Hauptlieferant von McDonald's Deutschland („Wir arbeiten nur mit mittelständischen Unternehmen“) erhofft sich aber auch eine engere Abhängigkeit der Bauern vom Unternehmen. Mit 40.000 bayerischen Landwirten hat man bereits Lieferverträge ausgehandelt. Aber auch die anderen Großgenossenschaften wollen zur Sicherung ihrer Auslastung der Lieferfreiheit der Bauern an den Kragen. Von Auflagen für Ferkelrassen oder Futtermittel bis zu direkten Verträgen über den Ablieferungszeitpunkt und -ort reicht die „Integrations„ -Palette, die derzeit den Schweinemarkt erfaßt. Das Vorstandsmitglied des Dachverbandes der Deutschen Agraropposition e.V., Karl Friedrich Osenberg, sieht daher „die bäuerliche Landwirtschaft zu reinen Rohstoffablieferern verdammt und dem Preisdiktat der aufnehmenden Industrie machtlos ausgesetzt.“ Anders der offizielle Bauernverband. Er propagiert dies als die beste Lösung gegen die Strukturkrise. „Es gibt zu viele Individualisten. Bindung rettet die Freiheit“, verkündet er im Auftrag der Genossenschaften in einer Schlagzeile seiner Zeitung. Erst dann gäbe es für die Genossenschaften die Grundlage für millionenschwere Investitionen in neue Schlachthöfe.

Natürlich sind die Raiffeisen-Führungsetagen (unter Bauern gern „Raffeisen“ tituliert) an Integration interessiert, aber der Neubau von Schlachthöfen hängt weniger von widerborstigen Mitgliedern als von Landes- und EG-Geldern ab. Mit rund zehn Mio. DM Subventionen aus Brüssel und von den Landesregierungen rechnet man z.B. bei der Südfleisch pro neuem Schlachtbetrieb. Und nur kurze Zeit nach dem umstrittenen Bau im bayerischen Waldkraiburg plant man bereits für Nördlingen. In Bayern haben die Südfleisch -Manager besonders gute Drähte zur Landesregierung. Immerhin sitzt mit Manfred Nüssel als Präsident des Raiffeisenverbandes Oberbayern der Sohn des Landwirtschaftsministers Simon Nüssel im Verwaltungsrat. Das habe sich - so die Opposition im bayerischen Landtag - für die Südfleisch bei Grundstückserwerb und Subventionen schon bezahlt gemacht.

Für die Bauern sind die negativen Folgen der Fusionswelle unübersehbar: höhere Kosten durch weitere Absatzwege, Abhängigkeit von regionalen Monopolen und deren Lieferbedingungen, ständig, geradezu strukturelle Manipulationen bei der Preis-, Gewichts- und Handelsklassenfeststellung (Branchenlosung: Wer nur fünf Prozent betrügt, ist ehrlich!). Und vor allem schwindet mit der Vergrößerung der Unternehmen der letzte Rest an bäuerlichem Einfluß.

Selbst bei der Südfleisch, zu 80 Prozent in Besitz bäuerlicher Erzeugergemeinschaften, ist es damit nicht weit her. Resigniert stellte der Präsident im Aufsichtsrat des mächtigen bayerischen Bauernverbandes, Gustav Söhler, fest: „Wir tun, was wir können, um die Interessen der Bauern zu vertreten. Teils gelingt es, teils nicht.“ Die Agraropposition hält dem Verband dagegen vor, bei den kleinen und großen Gaunereien kräftig mitgemischt, zumindestens davon gewußt zu haben. Der Dachverband der Agraropposition hat deshalb jetzt das Kartellamt aufgefordert, die Fusionen in Nord und Süd zu verhindern.

Einem Argument aber stehen die noch halbwegs basisnahen Interessenvertreter weitgehend hilflos gegenüber, der immer stärker ins Spiel gebrachten Vorstellung von der Vollendung des europäischen Binnenmarktes. Bisher stand die EG nicht zuletzt im Fleischsektor unter anderem im Verruf eines wundersamen Terrains für Subventionsbetrüger und Abkassierer, wo man z.B. mit Falschdeklarationen oder gezinkten Papieren und Stempeln bei Exporten Millionen abzocken konnte. (So hat die Münchener Imex GmbH, eine der größten Viehhandelsfirmen der Welt, in sechs Jahren 140 Mio. DM Exportgelder erschlichen und, als es auffiel, den Konkurs vollzogen. Heute dagegen vergeht keine Versammlung in der Landwirtschaft und im vor- und nachgelagerten Sektor, auf der nicht die Gefahren und Chancen des Binnenmarktes als neuer Sachzwang beschworen werden. Vom Raiffeisenverband bis zu den Ministerien sucht sich jeder seine Zahlen, um die mangelnde Wettbewerbskraft der deutschen Fleischwirtschaft in der EG zu belegen und eine Strukturbereinigung zu fordern. Solche Kraft ist hierzulande tatsächlich vonnöten, wenn man in der Geschäftspolitik mit den Lebensmittelketten bestehen will, die in der BRD hochkonzentriert sind wie in kaum einem anderen Land. Und die wirtschaften seit langem multinational. Aber auch die vielgepriesenen Schlachtunternehmen in Holland, Dänemark und Frankreich sind keineswegs größer als die bundesdeutschen, auch wenn ihr Marktanteil in den kleineren und stark exportabhängigen Ländern höher ist und einzelne Schlachthöfe als schlagkräftiger gelten.

Nichts als Bluff?

Die Diskussionen um Umstrukturierung und Modernisierung bestehen seit über 20 Jahren. Das Binnenmarktgerede hat daran erst einmal nichts geändert. Das Wachstumstempo der Branche hängt von anderen Faktoren ab als von offenen Grenzen, die es bisher ja auch schon gab. Ist die Binnenmarktpropaganda daher nichts als ein großer Bluff? Oder entwickelt sich eine Idee zur materiellen Gewalt, nur weil alle an sie glauben oder doch fürchten, daß etwas daran sein könnte? Momentan jedenfalls gibt es kein Argument, mit dem z.B. die Großgenossenschaften ihre Internationalisierungspläne besser durchsetzen können. Die Entemotionalisierung der Konzentrationsdiskussion heraus aus dem Interessengeflecht örtlicher oder regionaler Genossenschaften hin zur großen EG entwaffnet den Widerstand der betroffenen Bauern und Bäuerinnen.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft warnt denn auch eindringlich davor, sich von der Europapanik den Schneid abkaufen zu lassen und auf eigene Interessen zu verzichten. Der Ausbau regionaler Produktions-Absatz -Kreisläufe und die Stärkung wendiger, mittlerer Unternehmen dürfte für viele bäuerliche Betriebe auch heute ebenso interessant sein wie das Hoffen auf die Rationalisierungs und Exporterfolge der Großunternehmen.

Andererseits erhält der europäische Fleischmarkt durch die regionale Konzentration der Fleischproduktion und die wachsende Zahl der Transporte auf allen Autobahnen stetige Nahrung. Die Schweineregionen Südoldenburg/Münsterland in der BRD, Nordbrabant in Holland, Belgien, die Bretagne und Normandie in Frankreich und Katalonien in Spanien lassen sich weithin mit der Nase erspüren. Die Umweltprobleme in diesen Gebieten sind gewaltig, Trinkwasserbelastung, durch Güllekonzentration, Bodenerosionen, Monokulturen.

Die Vorteile für die Masse der Bauern und Bäuerinnen sind gering. In der Bretagne, einer der expansivsten Gegenden der EG, hat beispielsweise in den letzten sieben Jahren jeder zweite Schweinehalter aufgegeben. Das holländische Modell der großen Schweinefabriken steht knietief in Gülleproblemen und kann wahrlich kein Vorbild mehr sein. Und der sinkende Fleischkonsum, die Kritik an der Massentierhaltung, an den ökologischen Risiken und am legalen und illegalen Medikamenteneinsatz sollten eher zum Nach- und Umdenken über die ganze Produktionsrichtung anregen. Aber heute scheint vielen Ökonomen der Binnenmarkt die Lösung ihrer Fragen, der Weg nach vorn - er wird in vielen Teilen eine Sackgasse sein.

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