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Bunte Vielfalt im Mittelmaß

Die hessische Frauenbehörde kürzte drastisch die Mittel für das Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel / Der Fall ist symptomatisch: Immer mehr Projekte müssen mit weniger Geld auskommen  ■  Von Helga Lukoschat

Befragt man die Frauen des Archivs der Deutschen Frauenbewegung nach ihren Wünschen, ist die Antwort ein Stoßseufzer: „Eine alte Villa und eine reiche Mäzenin, die sagt: Nun forscht mal schön.“ Die Realität ist, wen wunderts, von den Träumen weit entfernt. Das Archiv mit dem weltweit größten Bestand an Texten aus der ersten deutschen Frauenbewegung ist in Kassel in einem modernen Flachbau mit dem Charme der 60er Jahre untergebracht. Ist die weitläufige Etage irgendwann einmal vollständig mit Büchern, Registerbänden und Zeitschriften bestückt, ist noch nicht gesagt, daß die Böden die tonnenschwere Last überhaupt tragen werden. Doch das ist Zukunftsmusik. Gegenwärtig plagt die Archivfrauen das Problem, daß sie nicht einmal soviel Bücher anschaffen können, wie sie gerne möchten. Es fehlt das Geld.

Keine großzügige Mäzenin finanziert das Archiv. Jedes Jahr aufs Neue müssen die Mittel bei der Hessischen Frauenbehörde unter Staatssekretärin Otti Geschka (CDU) beantragt werden. „Im Dezember stellten wir unseren Antrag, Ende Juni kam der Bescheid. Und das war ein Schock“, sagt Gudrun Maierhof, die als einzige der 10 bis 15 Mitarbeiterinnen eine bezahlte Halbtagsstelle innehat. Letztes Jahr betrugen die Fördergelder 150.000 DM, diesmal wurden knapp 80.000 DM bewilligt. In Kompromißverhandlungen wurden es dann rund 90.000 DM, doch dafür wurde ein Forschungsprojekt über Frauen im Exil geopfert. Viel zuviel unbezahlte Frauenarbeit

Allein für den Ankauf von Büchern und Druckschriften gibt das Archiv, das seit 1985 besteht und inzwischen 13.000 Titel umfaßt, jährlich zwischen 60 bis 80.000 DM aus. Wo also Sparen? Die Archiv-Mitarbeiterinnen entschlossen sich, der Finanzierung der Halbtagsstelle Priorität einzuräumen: „Hier arbeiten ohnehin soviel Frauen ehrenamtlich und unbezahlt - Studentinnen, erwerbslose Frauen, Praktikantinnen. Und dabei ist die Bezahlung von Frauenarbeit eine der Kernforderungen der Frauenbewegung“, erklärt Gudrun Maierhof.

Mit den rigiden Kürzungen ist ein Forschungsvorhaben gestorben, das den Archiv-Frauen besonders am Herzen lag. 40.000 DM hatten sie dafür gefordert, den Spuren emigrierter Frauen nachzugehen. Da gibt es zum Beispiel den Nachlaß der Sexualreformerin Helene Stöcker, die 1933 aus Nazi -Deutschland emigrierte und 1941 in Pennsylvania, USA, die letzte ihrer zahlreichen Exilstationen erreichte. Dort lagern ihre Briefe und weitere unveröffentlichte Texte. Eine Fundgrube für Forschungen über die Debatten in der ersten deutschen Frauenbewegung zu den Fragen von Mutterschaft, „freie Liebe“ und Sexualität.

Und das ist nur ein Beispiel unter vielen. Lohnenswert und bereichernd wäre es auch, die Nachlässe der zahlreichen jüdischen Frauen zugänglich zu machen, die sich im „Jüdischen Frauenbund“ engagierten und Deutschland verlassen mußten. Doch diese Forschungsvorhaben sind in weite Ferne verschoben.

Nicht einmal der Service, monatlich Materialien zum Geburtstag einer Frauenrechtlerin herauszugeben, ist gewährleistet. Die Mappen des Archivs - vergangenes Jahr gab es aus aktuellem Anlaß profunde Informationen zu „70 Jahre Frauenwahlrecht“ - waren beispielsweise bei Medienfrauen willkommene Anregung und Arbeitshilfe. Fördern nach dem Gießkannenprinzip

Die Bedeutung des Archivs will die Hessische Frauenbehörde auch keineswegs in Abrede stellen: nur hätten einfach nicht mehr Gelder zur Verfügung gestanden. 1988 betrug der Topf der Frauenbehörde für Bildungsprojekte 1,3 Millionen Mark, 1989 wurde er sogar um 100.000 DM aufgestockt. Warum also die Kürzungen? „Das Antragsvolumen ist gestiegen. Leztes Jahr hatten wir 29 Antragstellerinnen, dieses Jahr bereits 37 und statt 1,7 wurden über zwei Millionen DM gefordert“, rechtfertigt Josefine Trimborn, zuständige Abteilungsleiterin in der Frauenbehörde, die Kürzungen. „Wir mußten bei allen Projekten Gelder streichen. Und nach welchen Kriterien sollen wir einzelnen Projekten größere Bedeutung zumessen?“

Mit dieser Strategie erreicht die Frauenbehörde allerdings nur, daß alle ein bißchen bekommen und keine genug. Neue Projekte kommen mit viel unbezahlter Arbeit gerade noch über die Runden, wichtige und erfolgreiche Projekte haben dagegen keine Entwicklungschance. Das Mittelmaß ist vorprogammiert. Doch das Gießkannenprinzip wird im Hause Otti Geschkas mit dem Hinweis verteidigt, es gelte eben die „bunte Vielfalt“ zu fördern. Die andere Strategie wäre, energisch eine Erhöhung des eigenen Etats zu fordern. Doch in den Auseinandersetzungen mit dem Finanzressort hat die Frauenbehörde bisher immer den Kürzeren gezogen. Ob die gewünschte Etaterhöhung um 500.000 DM für den kommenden Doppelhaushalt 90/91 durchgehen wird, ist noch offen. Die Projekte arrangieren sich

„Einfrieren und kürzen“ lautet die Devise der CDU-Regierung in Hessen, seitdem die bundesweit erste rot-grüne Koalition 1987 ihren Abschied nehmen mußte. Da die Zahl der Projekte kontinuierlich wächst, wird so das Geld für die einzelnen immer knapper. Öffentlichen Ärger gab es vor allem bei den Mittelkürzungen für die autonomen Frauenhäuser. Am härtesten hatte es jedoch nach dem Regierungswechsel die Frauengesundheitszentren erwischt: ihnen wurde die Förderung ganz verweigert. Zumindest das Frankfurter Zentrum schaffte es, mit Spenden und Kursangeboten zu überleben - und in der Hoffnung auf Rot-Grün in Frankfurt. Der neue Magistrat wird denn auch im kommenden Haushalt einspringen - so gut es geht. Das feministische Gesundheitszentrum soll wieder gefördert, der Etat der Frauenhäuser aufgestockt werden.

Das anfangs befürchtete „Aus“ für die hessischen Frauenprojekte ist nicht eingetreten - die allermeisten Projekte konnten überleben. Die Kürzungen wurden schließlich hingenommen, zwar unter Protest und Zähneknirschen, aber die Frauen lernten sich mit der neuen, schlechten Situation zu arrangieren. Anlaß zu Selbstkritik

In der ersten Aufregung nach dem Regierungswechsel und der Ungewißheit über ihre Zukunft hatten sich die Projekte noch zum einem Dachverband zusammengeschlossen, um politisch Druck zu machen und sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Doch die Treffen schliefen bald ein. Aus Frust, aus Arbeitsüberlastung, weil die Situation sich dann doch nicht als existenzbedrohend herausstellte.

Vielleicht könnte jetzt der Fall des Kasseler Archivs Anlaß für Selbstkritik sein. Bevor frau sich von der Frauenbehörde eine Beliebigkeit der Förderung vorschreiben läßt, wäre es angebracht, über die eigenen Prioritäten zu diskutieren. Nicht jedes Projekt hat den selben Stellenwert. Den politischen Zielen der autonomen Frauenbewegung ist jedenfalls wenig gedient, wenn sich die Frauen in ihren Projekten einigeln und sich im Durchwursteln üben.

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