piwik no script img

LUFTSCHIFFE: Helmut Reinicke "Aufstieg und Revolution"

Ganz so programmatisch, wie Titel und Untertitel es nahelegen, ist die Schrift nicht geraten. „Aufstieg und Revolution. Über die Beförderung irdischer Freiheitsneigungen durch Ballonfahrt und Luftschwimmkunst“. Der kunstvoll-umständliche, ironisch-kokette Stil des Untertitels begleitet den Leser durch das ganze Buch. Der Hauptgedanke ist schnell mitgeteilt und fast ebenso schnell verstanden, um so schöner sind die Pirouetten und Volten der Details. In der Zeitschrift 'Das graue Ungeheuer‘ schrieb 1784 ein unbekannter Autor: „Seit der Montgolfierschen Epoche hat man das Recht, auf alles Anspruch zu machen.“. Das „wir wollen alles“ der Spontibewegung der frühen 70er Jahre war offensichtlich schon damals nicht so frisch revolutionär nannte man es -, wie es sich vorkam. Helmut Reinicke hat aus der Geschichte der Ballonfahrerei das philosophisch Relevante, die Augenblicke himmelstürmender Begeisterung zusammengetragen und vorgestellt. Das liest sich dann so: „Die Luftschifferei stülpt die Welt um, selbst das Heiligste, die Himmelfahrt, wird Menschenwerk. So ist die Luftkugel nicht nur Symbol der Vernunft, sondern trägt zugleich Aufrührerisches mit aus alten Tagen, als die Vernunft noch in Geisterwelten eingehüllt war.“ Das ist einsichtig und scheint selbstverständlich. Aber wer hat je solche Fragen zu stellen sich getraut: „Was wäre Fichtes 'Ich‘ ohne Ballonfahrerei?“ Die Komik, die in solchen Bündelungen liegt, verdeckt das Richtige daran: die Einsicht in den Zusammenhang von Ichhypostasie und Himmelssturm. Heute kommen uns die Glanzleistungen unserer Ingenieure weniger prometheisch vor, und keiner, der nach Fuerteventura fliegt, denkt an Himmelfahrt und Jesus Christus. Aber ganz sicher muß man bei den ersten Luftschiffern so gedacht haben.

Freilich gar zu anders sollten wir uns die Menschen damals auch nicht vorstellen. Als Herr Blanchard am 3.10.1785 von Frankfurt/Main nach Weilburg flog, da hatte er einen Exklusivvertrag für seinen Reisebericht mit der Eßlingerschen Buchhandlung in der Tasche.

Helmut Reinicke, Aufstieg und Revolution, Transit Verlag, 136 Seiten, s/w Abbildungen, 24 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen