Spaniens linke Katholiken unter päpstlichem Druck

Kritik an päpstlichem Massenspektakel auf der iberischen Halbinsel: Über 300.000 Jugendliche sollen am heutigen Samstag im galizischen Santiago de Compostela mit dem Papst zusammentreffen / Nicht dabei sind die progressiven Basisgruppen  ■  Aus Madrid Antje Bauer

So viele Gläubige wie an diesem Wochenende hat die alte Pilgerstadt Santiago de Compostela, in der angeblich die Gebeine des Apostels Jakob begraben sind, noch nie gesehen. Mehr als 300.000 - zumeist jugendliche Katholiken - werden erwartet, um am heutigen Samstag gemeinsam mit Papst Johannes PaulII den von Rom erfundenen „Weltjugendtag“ zu feiern. Doch die Massenveranstaltung verdeckt, daß ein Teil der spanischen Gläubigen zu Hause geblieben ist. Es ist der kritische Teil der Katholiken, der sich vom Vatikan und von der landeseigenen Hierarchie zunehmend an den Rand gedrückt fühlt.

Im Juli hatten die „Basiskirche“ und einige andere sozialkritische kirchliche Gruppierungen dem Papst einen Brief geschrieben, in dem sie den finanziellen Aufwand und den Pomp für den Papsttrip kritisiert hatten. „Unsere Jugendlichen werden an diesem Treffen sehr wahrscheinlich nicht teilnehmen können“, hatte es in dem Brief geheißen. „Nicht nur, weil sie nicht eingeladen worden oder damit nicht einverstanden wären, sondern weil sie ihr weniges Geld anderen Gesten der Solidarität widmen müssen.“ Der finanzielle Aufwand für die Papstreise ist nur ein Anlaß für eine sehr allgemeine Kritik. „Die Kirche versucht in den letzten Jahren, das Zeremonielle und Kultische zu verstärken“, kritisiert Rafael Junguera von der „Basiskirche“ in Madrid. Die Gruppen hingegen, die sich mehr den sozialen Aufgaben zuwenden, würden zunehmend diffamiert und entmachtet. Damit würden zehn Jahre linker Kirchenarbeit zerstört. In den letzten Jahren des Franco-Regimes war die Kirche Spaniens, die zuvor einen wichtigen Pfeiler der Diktatur gebildet hatte, zunehmend auf Distanz zur Macht gegangen. Der aufgeschlossene Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Vicente Enrique y Tarancon, hatte den progressiven Flügel der Kirche verstärkt. Doch Papst Wojtila muß bei seinem zweiten Spanien-Besuch 1984 einen heftigen Schreck bekommen haben. Im Land der strengen und mächtigen Staatskirche herrschten seit zwei Jahren die Sozialisten, die Kirchgänger nahmen ab, und die Jugend wandte sich lieber weltlichen Genüssen zu. Der Vatikan beschloß einzugreifen. Als ein neuer Primas von Spanien ernannt werden mußte, erhielt der stockkonservative Kardinal Angel Suquia den Posten. In den Jahren darauf wurde ein Großteil der progressiven Bischöfe durch konservative ersetzt, und auch der von Rom ernannte Nuntius Mario Tagliaferri liegt voll auf der Linie des Vatikans. Die linken Basisgruppen bekamen den Umschwung zu spüren. In einem offenen Brief an den Papst, in dem im vergangenen April mehr als 60 spanische Theologen die vatikankritische „Kölner Erklärung“ unterstützten, heißt es: „In der Gemeinschaft stellen die disziplinarischen Zensurmaßnahmen, die Lehramtsenthebungen, die Einschüchterung von Zeitschriften und das Verbot theologischer Aktivitäten einen Angriff auf das Recht der Forschung dar. (...) Die Stärkung der sogenannten „neuen kirchlichen Bewegungen“ neokonservativer Tendenz durch einen wichtigen Teil der Hierarchie und die häufige Verächtlichmachung der Basisgruppen progressiver Ausrichtung sind deutliche Zeichen für einen Rückschritt.“

Den Grund für diese Rückwärtsentwicklung der spanischen katholischen Kirche sehen die Kritiker zum einen in der allgemeinen reaktionären Entwicklung der Kirche seit der Ernennung Karol Wojtilas zum Papst. Seither sei die Politik des Vatikans immer autoritärer geworden. So klagen sie. Und auch die Ernennungen der Mitglieder der Kirchenführung folge Kriterien der Linientreue statt Qualitätsmaßstäben. Außerdem jedoch vermittle die spanische Kirchenführung dem Vatikan ein falsches Bild vom Zustand des Katholizismus in Spanien. „Überall sehen sie die Gottlosigkeit und die Feinde der Kirche auftauchen“, klagen die kritischen Theologen in ihrem Brief an den Papst.

Daß die Zahl der Gläubigen abnimmt, mag wohl stimmen. Zwar bezeichnen sich noch immer 90 Prozent aller Spanier als gläubige Katholiken. Als sie im vergangenen Jahr jedoch zum ersten Mal in ihrer Steuererklärung angeben mußten, ob sie ein halbes Prozent ihrer Abgaben der Kirche oder lieber anderen sozialen Zwecken zuführen wollten, entschied sich nur ein gutes Drittel für die Kirche, mehr als die Hälfte äußerte sich gar nicht.

Daß der Rückgriff auf die alte autoritäre Staatskirche dieser Entwicklung Einhalt gebieten wird, bestreiten die Basisgruppen energisch. Doch die Zeiten sind gegen sie „die heutige Kirche hat etwas Stalinistisches“, klagte kürzlich ein spanischer Theologe gegenüber der Wochenzeitung 'Cambio 16‘, „und es gibt keine Anzeichen von Perestroika oder Glasnost in Sicht.“