: Kolumbiens Kokainmafia erklärt den Krieg
■ Luis Galan, der Präsidentschaftskandidat der Liberalen Partei, wurde ermordet / Von Ciro Krauthausen
Kolumbiens Kokainbarone haben den Krieg erklärt, und zwar ganz förmlich: In einem Schreiben kündigten sie am Samstag ihren Gegnern im Staatsapparat „einen Kampf bis aufs Blut“ an. Man wolle in Ruhe gelassen werden, heißt es in der Erklärung, doch werde man um den Frieden nicht betteln. Am Tag zuvor waren der liberale Präsidentschaftskandidat Luis Carlos Galan und der Polizeichef von Medellin Killern zum Opfer gefallen.
Freitag abend in Bogota: Die Bewohner der Hauptstadt bereiten sich darauf vor, das Wochenende ausgiebig zu feiern. Die zweiwöchentlich zu zahlenden Gehälter sind ausgezahlt worden, und eine lange Arbeitspause einschließlich des zum Feiertag deklarierten Montags steht bevor. Dann die Nachricht, blitzschnell von Rundfunksendern in der Stadt verbreitet und von vielen Mündern, nicht zuletzt auch denen der Straßenkinder, weitergeleitet. Luis Carlos Galan, der populärste Politiker des Landes, ist bei einem Attentat verletzt worden. Bekümmerung macht sich breit. Es ist, als ob in der Bundesrepublik Oskar Lafontaine angeschossen würde. Oder doch nicht ganz, denn vor zwei Tagen war ein hoher Richter und am Morgen ein Polizeikommandant in Kolumbien von der Drogenmafia ermordet worden.
Die Kolumbianer sind vieles an Gewalt gewohnt. Und doch bricht Entsetzen aus, als um 23 Uhr die Radiostationen bestätigen, daß Galan um 22.40 Uhr im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. „Das kann doch nicht wahr sein“, stöhnt eine Studentin, die gerade aus dem Kinosaal kommt. „Galan umzubringen, das hat dem Land gerade noch gefehlt. Jetzt ist Kolumbien endgültig am Ende“, meint ein Mann bestürzt. Ein anderer kontert, ins Nichts blickend: „Verdammt, wie oft haben wir das schon gesagt?“ Die Straßen leeren sich, der Bürgermeister verbietet den Ausschank von Alkohol. Jeder versucht, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen.
Das Attentat auf Luis Carlos Galan, den Präsidentschaftskandidaten der Liberalen Partei, der die besten Aussichten hatte, im kommenden Jahr die Wahlen zu gewinnen, fand auf einer öffentlichen Kundgebung vor den Augen von 12.000 Menschen statt.
Der Spitzenpolitiker sprach vom Fenster des Rathauses von Soacha, einer Kleinstadt 15 Kilometer südlich von Bogota aus, als die Attentäter aus einer Maschinenpistole auf ihn feuerten. Im allgemeinen Tumult und der Panik, die ausbrach, konnten die Mörder entkommen. zwei Stunden später starb Galan im Krankenhaus. Ein Schuß hatte ihm die Hauptschlagader zerrissen. Nach Polizeiangaben hatte die Drogenmafia ein Kopfgeld in Höhe von 500.000 US-Dollar für seine Ermordung ausgesetzt.
Der liberale Politiker hatte in den vergangenen Wochen wiederholt Todesdrohungen erhalten und war am 4.August nur knapp einem Attentat in der zweitgrößten kolumbianischen Stadt, Medellin, entgangen. Damals entdeckte die Polizei einen von der Drogenmafia bereitgestellten Wagen, in dem Sprengstoffraketen verstaut waren.
Luis Carlos Galan ist innerhalb von nur drei Tagen das dritte namhafte Opfer eines von der kolumbianischen Kokainmafia entfesselten Krieges gegen den Staat und seine politische Führungsschicht. Am Mittwoch wurde der oberste Richter Carlos Valencia Garcia erschossen. Es war der zehnte Richter Kolumbiens, der in diesem Jahr Killerkommandos zum Opfer fiel. Er hatte kurz zuvor den Vorladungsbefehl gegen den Kokainbaron Pablo Escobar, mutmaßlicher Chef des „Kartells von Medellin“, und gegen den Drogenmafioso Rodriguez Gacha, der die Ermordung des linken Parteiführers Jaime Pardo Leal in die Wege geleitet haben soll, bestätigt.
Am Freitag, wenige Stunden vor den Schüssen auf Galan, wurde Oberst Valdemar Franklin, Polizeichef der Provinz Antioquia, deren Hauptstadt Medellin ist, ermordet. Er hatte die Operation „Regenbogen“ geleitet, in deren Rahmen seit Juni 28 Rauschgiftlabore zerstört und mehr als elf Tonnen Kokain beschlagnahmt wurden. Der Polizeichef hatte erst kürzlich ausdrücklich auf Leibwächter verzichtet und empfohlen, diese besser zum Schutz der Richter abzustellen, die gefährdeter als er selbst seien. Die sogenannte Gruppe der „Auslieferbaren“, eines mysteriösen Bündnisses der von der Auslieferung an die USA bedrohten Kokainbarone, bekannte sich zu dem Mord an Franklin und begründete ihn damit, daß der Oberst nie den Dialog mit der Drogenmafia gesucht habe. Wie die Tageszeitung 'La Prensa‘ aus gut unterrichteten Quellen zu wissen meinte, beharrt Pablo Escobar auf einen Dialog mit der Regierung: Solange es jedoch nicht zu diesem Dialog komme, werde das Morden weitergehen.
Der Mord an Luis Carlos Galan löste in ganz Kolumbien Entsetzen aus. Den ganzen Samstag über zogen Tausende von Menschen an seinem, in dem Planarsaal des Kongresses aufgebahrten Leichnam vorbei. Die Beerdigung des Mannes, den viele schon als den nächsten Präsidenten Kolumbiens sahen, war für gestern, Sonntag, angekündigt.
Noch bevor Luis Carlos Galan im Krankenhaus verstarb, verkündete der liberale Präsident Virgilio Barco in einer Fernsehansprache den Ausnahmezustand und gab ein Maßnahmenpaket zum Kampf gegen die Drogenmafia bekannt. Fortan ist nun die Auslieferung kolumbianischer Staatsbürger an die USA auch ohne gerichtlichen Beschluß möglich. Das Oberste Gericht hatte den Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Kolumbien wegen „technischer“ Probleme suspendiert. Güter der Drogenmafiosi dürfen ohne Verurteilung der betreffenden Personen beschlagnahmt werden, und der Ministerrat kann die Festnahme der „Störung des öffentlichen Friedens verdächtiger Personen“ beschließen. Bis zu sieben Tage dürfen Verdächtige ohne Kontakt zur Außenwelt in Untersuchungshaft festgehalten werden.
Zudem gab Präsident Barco die Schaffung eines Fonds in Höhe von hundert Millionen Dollar bekannt, aus dem Schutzmaßnahmen für bedrohte Richter bezahlt werden sollen. Gleichzeitig forderte er die mehr als 4.600 Richter, die am Donnerstag aus Protest gegen die Ermordung ihres Kollegen Carlos Valencia ihre Ämter niedergelegt hatten, auf, weiterzuarbeiten.
Indes haben die Führer des Landes damit begonnen, Beileidserklärungen und Stellungnahmen abzugeben. Sie hören sich genauso perplex an wie die Leute auf der Straße, nur drücken sie sich großspuriger aus.
Präsident Virgilio Barco: „Es ist ein Krieg gegen ganz Kolumbien. Ganz Kolumbien muß reagieren.“ Präsidentschaftskandidat Hernando Duran Dussan: „Durch ein solches Verbrechen gerät die Demokratie in die Gefahr der Destabilisierung“. Dem Kardinal Alfonso Lopez Trujillo fällt ein: „Die Führer Kolumbiens müssen zur Einigkeit aller Kolumbianer aufrufen. Es kann nicht weiter in Richtung Chaos marschiert werden.“ Ähnlich sieht das der Präsident der Menschenrechtskommission, Alfredo Vasquez Carrizosa: „Ohne Rücksicht auf innerparteiliche Interessen müssen wir uns einigen, um den Staat zu retten.“ Der Präsident der linken „Union patriotica“, Bernardo Jaramillo, meint: „Wir haben schon immer gesagt, daß es sich nicht bloß um Gewalt gegen die Linke handelt, sondern gegen alles in diesem Land“.
Die Erklärungen sind beliebig austauschbar. Das gleiche wurde 1984 gesagt, als die Drogenmafia den damaligen Justizminister Rodrigo Lara Bonilla erschoß. Derartige Aufrufe zur Einigkeit der Nation gab es auch 1986, als der bekannte Zeitungsverleger Guillermo Cano unter den Kugeln der Kokainbarone starb. Oder 1987, als der linke Parteichef Jaime Pardo Leal ermordet wurde. Auch 1988, als der Generalstaatsanwalt Carlos Mauro Hoyos einem Killerkommando zum Opfer fiel. Oder im März diesen Jahres, als ein linker Politiker und der liberale Präsidentschaftskandidat Ernesto Samper Pizano, der nur knapp überlebt, einem Attentat zum Opfer fielen. Bei all den vielen Morden in Kolumbien: Immer die gleiche Sprachlosigkeit und das entsetzliche Fehlen einer Perspektive für die Zukunft.
Und doch schallt es am Samstag morgen auf der Plaza Bolivar vor dem Plenarsaal des Kongresses, wo die Leiche Galans aufgebahrt liegt: „Gegen den Faschismus innerhalb der Liberalen Partei.“
Ein paar Dutzend Anhänger des linksliberalen Galan durchbrechen die offizielle Sprachlosigkeit. In ihren Sprechchören prangern sie die Komplizenschaft eines ganzen Staates und der politischen Führungsschicht mit der Drogenmafia und deren faschistischen Tendenzen an. Die, die da gekommen sind, um mit Tränen in den Augen der Witwe Galans und Chefredakteurin einer Fernseh-Nachrichten-Sendung das Beileid auszusprechen, stammen, von ihrer Kleidung her zu schließen, vorwiegend aus der unteren Mittelschicht. Sie sind es nicht gewohnt, Sprechchöre zu bilden, die meisten schweigen. Eine gespenstische Stille.
Im Plenarsaal, vor der Leiche Galans, geben die Spitzenpolitiker weiterhin unverbindliche Erklärungen ab. Wirklich harte Worte gegen die Drogenmafia sind kaum zu hören. Nur ein linker Nachwuchspolitiker der Liberalen Partei bemerkt, es fehle innerhalb der Regierung und des Staates an dem politischen Willen, der Gewalt ein Ende zu bereiten. Sicher- Präsident Virgilio Barco und seine Minister meinten es vielleicht gut, aber ansonsten seien sämtliche Organe des Staates, einschließlich der Sicherheitskräfte, von der Drogenmafia infiltriert und vereinnahmt. Er blickt sich unter den Trauernden langsam um, als suche er jemanden, und erzählt dann von jenem noch amtierenden Kongreßabgeordneten, der noch vor ein paar Jahren im Parlament Stellvertreter des Kokainbarons und damaligen Kongreßabgeordneten Pablo Escobar war. „All diese Gewalt geschieht, weil der korrumpierte Staat vor ein paar Jahren der Drogenmafia, als sie noch schwach war, nicht entschlossen genug entgegengetreten ist“, schlußfolgert der Redner, „heutzutage kann es der immer noch korrumpierte Staat noch weniger.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen